Umfrage

Wie sieht Deutschland nach der COVID-19-Pandemie aus?

Die Corona-Pandemie kann und muss die Gesellschaft nachhaltig verändern. Kliniken, öffentlicher Gesundheitsdienst, essenzielle Arzneien und Schutzausrüstung müssen als Elemente der öffentlichen Daseinsvorsorge verstanden werden. Weniger Gewinn-, mehr Gemeinwohlorientierung – das sind Ergebnisse einer aktuellen Umfrage von Springer Medizin.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Eine FFP-Maske in Nahansicht.

Eine FFP-Maske in Nahansicht.

© Kirsten Nijhof / dpa-Zentralbild

Neu-Isenburg/Berlin. Ist die Politik, ist die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen kompetent mit der Covid-19-Pandemie umgegangen? Und was muss sich als Folge der Pandemie in der Gesundheits-, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, aber auch bei jedem einzelnen Bürger ändern? Das hat Springer Medizin, wozu die „Ärzte Zeitung“ gehört, mit einer aktuellen Umfrage zum Hauptstadtkongress unter ihren Lesern – überwiegend Ärzte aus Praxis und Klinik, aber auch Pflegekräfte, nichtärztliche Gesundheitsberufe und Angehörige des Managements – versucht, herauszufinden. Die Ergebnisse sind aufgrund der Methodik nicht repräsentativ, können aber als Stimmungstrend verstanden werden. 470 Leser haben sich an der Umfrage beteiligt.

Neue Nachdenklichkeit

Die Antworten auf Fragen, die frei durch eigene Statements gegeben werden konnten, sind Spiegelbild einer pluralistischen Gesellschaft: zum Teil widersprüchlich. Sie zeigen aber auch eine neue Nachdenklichkeit: hinsichtlich des Ausmaßes an Einschränkungen von Grundrechten, der Auswirkungen auf vulnerable Gruppen wie Kinder und alte Menschen, des Stellenwerts von Gesundheit und öffentlicher Daseinsvorsorge und der Art des Wirtschaftens im Gesundheitswesen – Stichwort Ökonomisierung. Und sie werfen ein Schlaglicht auf das Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach klaren, möglichst widerspruchsfreien, evidenzbasierten Informationen und einer möglichst demokratischen, breit fundierten Meinungsbildung auch unter Einbeziehung von Außenseitern.

Wesentlicher Bestandteil von Krisenmanagement in offenen demokratischen Gesellschaften ist Kommunikation: über die aktuelle Lage, die mögliche Entwicklung, ihre Risiken, die politischen Handlungsoptionen. Die Leser sollten zu diesem Statement ihre Meinung sagen: „Die Politik tut alles dafür, dass ich gut und umfassen über die Covid-19-Pandemie informiert bin“.

Nachholbedarf in der Kommunikation

36 Prozent halten diese Aussage für zutreffend, 49 Prozent stimmen dem nur teilweise zu, und 15 Prozent sehen ein weitgehendes Kommunikationsversagen der politischen Instanzen. Unter den Ärzten ist das Urteil ein wenig kritischer. Rund 33 Prozent würden dieser Aussage voll zustimmen, gut 50 Prozent teilweise und knapp 17 Prozent sehen sich schlecht oder eher schlecht durch die Politik informiert.

Deutlich besser fällt die Beurteilung der politischen Kommunikation durch Mitarbeiter aus der Verwaltung und des Managements im Gesundheitswesen aus: 44 Prozent geben der Informationspolitik eine gute Note, gleich groß ist der Anteil derer, die sagen, dies treffe nur zum Teil zu. Nur zwölf Prozent sehen ein Versagen.

Etwas besser als die Informationspolitik staatlicher Institutionen wird die Kommunikation der eigenen Selbstverwaltung und Berufsverbände gesehen: Gut 37 Prozent der Leser sagen, sie fühlten sich aufgrund dessen gut und umfassend informiert, 50 Prozent halten dies für zum Teil zutreffend, 12,5 Prozent für unzutreffend.

Nicht schnell genug reagiert

Unterdurchschnittlich schneidet die Informationspolitik der Gesundheitsbehörden, also der Gesundheitsämter, ab. Nur gut ein Fünftel aller Leser bestätigt, sich aufgrund der Kommunikation des öffentlichen Gesundheitsdienstes gut und umfassend informiert zu fühlen, 54 Prozent sagen „zum Teil“, ein Viertel hält das nicht für zutreffend. Bei den Ärzten fällt das Urteil noch kritischer aus.

Beispielhaft dafür steht das Statement eines niedergelassenen Arztes im offenen Antwortfeld der Umfrage: Er wünscht sich, „dass das Gesundheitsamt uns Ärzten Rückmeldungen über die Tests gibt ... In einem von mir mitbetreuten Pflegeheim erfuhr ich vom Krankenhaus über die Corona-Infektion, die Zahlen wurden von der PDL und der Heimleitung verschwiegen. Das Gesundheitsamt schickte die den Patienten betreuenden Pflegerinnen lediglich in Quarantäne. Die Testung der gesamten Bewohner und des Pflegepersonals erfolgte 2,5 Wochen später.“

Was bleibt von der Wertschätzung?

Was aber folgt aus der Pandemie, deren Höhepunkt Ende März erreicht worden ist, die ab Mitte März zu einem Lockdown weiter Teile der Gesellschaft und Wirtschaft führte und die derzeit zwar unter Kontrolle ist, sich gleichwohl wieder fulminant entwickeln kann, solange kein Impfstoff vorhanden ist? Welche Auswirkungen erwarten Ärzte und andere Gesundheitsberufe hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Wertschätzung, der sektorübergreifenden Kooperation in der Medizin, der Rolle der Krankenhäuser und der Notwendigkeit einer Reservehaltung kritischer Arzneimittel und Medizinprodukte?

So viel ist sicher: Noch nie in der Medien- und insbesondere TV-Geschichte standen Ärztinnen und Ärzte, Schwestern und Pfleger derart prominent über Wochen im Fokus der Öffentlichkeit. An prominentester Stelle und zur besten Sendezeit wurden in nie gekannter Ausführlichkeit die Bedeutung, aber auch die Missstände in Teilen der Hochleistungsmedizin dargestellt und analysiert. Helden einer Pandemie, die wie Bilder aus Italien, Spanien und Frankreich zeigten, angesichts der Notlagen in verzweifelt tragische Entscheidungssituationen gerieten.

Aber wird diese einmalige mediale Aufmerksamkeit auch nachhaltig sein? Wird die Wertschätzung, die Ärzte und Pflegeberufe erfahren haben, die Krise überdauern? Gut 38 Prozent der Leser sind da zuversichtlich. 33 Prozent sind ein bisschen skeptisch, 28 Prozent befürchten, das könne nach Überwindung der Krise rasch wieder vergessen werden.

Pflege bleibt pessimistisch

Wie bei keiner anderen Frage differieren die Antworten je nach Beruf. Zu den Optimisten zählen die Ärzte, vor allem die niedergelassenen: 40 Prozent glauben, ihre Wertschätzung sei durch die Krise nachhaltig gestärkt worden, weitere 38 Prozent meinen „teils/teils“. Nur ein gutes Fünftel ist pessimistisch. Noch etwas optimistischer fällt die Erwartung des Managements im Gesundheitswesen aus, von denen eine Mehrheit von 58 Prozent von einer nachhaltig gestärkten Wertschätzung ausgeht.

Ganz anders das Bild in den Pflegeberufen: Fast drei Viertel glaubt nicht an einen längerfristigen Effekt auf die Wertschätzung ihres Berufs. Nur fünf Prozent sind optimistisch. Das deutet auf wenig Vertrauen in eine Politik, die die Pflege seit gut zwei Jahren zu einem der gesundheitspolitischen Topthemen gemacht hat, bislang aber keine Erfolge nachweisen kann. Aber der Pessimismus ist auch Ausdruck mangelnden Selbstvertrauens. Notwendig sei auch eigenes Engagement, heißt es in einem offenen Statement, „begonnen bei der Mitgliedschaft in Gewerkschaften bis hin zum Einbringen im Berufsverband“. Doch die seien auf dem Höhepunkt der Pandemie „zu wenig“ gehört worden.

Klinikärzte: Kooperation wird sich verbessern

Auch in einem anderen Punkt zählen die Pflegekräfte eher zu den Skeptikern: dass die Krise dazu führt, dass die einzelnen Sektoren im Gesundheitswesen künftig besser zusammenarbeiten. 45 Prozent der Mitarbeiter in der Pflege sind davon überhaupt nicht überzeugt, 42 Prozent halten dies wenigstens teilweise für denkbar. Der Anteil der Pessimisten bei den Ärzten liegt nur bei gut 30 Prozent, und bei den Klinikärzten ist der Anteil derjenigen, die zumindest partiell eine verbesserte Kooperation erwarten, mit 62 Prozent überdurchschnittlich hoch.

In einem Punkt herrscht allerdings unter fast allen Berufsgruppen große Einmütigkeit: dass Krankenhäuser in der Krise das Rückgrat der Versorgung sind und daher in Größe und Anzahl erhalten bleiben sollen. Dem schließen sich 76 Prozent der Klinikärzte an, 56 Prozent der niedergelassenen Ärzte und 68 Prozent der Pflegeberufe. Deutlich weniger als zehn Prozent würden demzufolge Strukturreformen befürworten, die auf eine Konzentration, Spezialisierung und Klinikschließungen hinauslaufen. Eine Ausnahme in gewisser Hinsicht stellen Angehörige aus dem Management dar, wo der Strukturkonservatismus nicht ganz so ausgeprägt ist: Nur jeder Zweite plädiert für eine Erhaltung bestehender Strukturen.

Ausgeprägt einheitlich ist auch das Votum für eine Rückverlagerung der Produktion kritischer Güter wie Arzneimittel und Medizinprodukte nach Deutschland oder zumindest in die Europäische Union. Insgesamt drei Viertel der Leser würden dies für notwendig halten, mit fast 90 Prozent halten Ärzte das für besonders dringend.

Arzneiversorgung stärken

Ärzte erleben seit Jahren immer wieder auftretende Lieferengpässe auch bei lebensnotwendigen Arzneimitteln. Ähnlich wie bei Schutzkleidung und Atemmasken sind Teile der Arzneimittelproduktion, insbesondere die Herstellung generischer Wirkstoffe auf Oligopolanbieter aus Indien und China konzentriert – Folge eines weltweiten Preisverfalls und ruinösen Wettbewerbs auf den Generikamärkten, der eine kostendeckende Produktion in entwickelten Industrieländern unmöglich gemacht hat. Mancher Leser äußert allerdings Zweifel, ob Bereitschaft besteht, die Mehrkosten einer Produktion in Deutschland oder der EU zu finanzieren.

Im ganz praktischen Alltag der Krisenbewältigung war vor allem die Verärgerung über fehlende Schutzausrüstung – Kleidung und Masken – besonders ausgeprägt: Davon berichten 73 Prozent der Ärzte in Klinik und Praxis, bei den Pflegeberufen sind es sogar 89 Prozent.

46 Prozent aller Leser klagen darüber, dass Entscheidungen der Politik zu oft an den Versorgungsrealitäten vorbeigehen, weitere 31 Prozent sagen, das sei zumindest teilweise der Fall. Ursächlich dafür könnte sein, dass die Politik die Gesundheitsberufe in ihre Entscheidungen nicht ausreichend einbezieht: 55 Prozent meinen dies zumindest. Vor allem die Pflege (74 Prozent) beschwert sich über mangelndes politisches Gehör.

Durchaus sensibel wird die Einschränkung von Grundrechten beurteilt: Immerhin ein Viertel der Befragten sieht dies als problematisch an. 62 Prozent sehen dagegen keine oder zumindest keine weitgehenden Einschränkungen von Freiheitsrechten.

Die Umfrage

  • Insgesamt 470 Leser haben sich in den letzten Wochen an der Umfrage zur Covid-19Pandemie beteiligt.
  • Mit 45 Prozent stellen Ärzte die größte Teilnehmergruppe, zwei Drittel aus der ambulanten Medizin, ein Drittel aus dem Krankenhaus.
  • 8,6 Prozent der Teilnehmer sind Pflegekräfte, weitere 9 Prozent üben einen anderen Heilberuf aus.
  • Gut 11 Prozent der Antworten stammen von Mitarbeitern aus der Verwaltung und dem Management des Gesundheitswesens.
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