Transkranielle elektrische Hirnstimulation

Besser hören unter Strom

Die transkranielle elektrische Hirnstimulation könnte Menschen mit Hörproblemen künftig helfen, Sprache auch bei starken Hintergrundgeräuschen besser zu verstehen.

Veröffentlicht:
Bei den Testpersonen wird vor der elektrischen Hirnstimulation der Kopfumfang gemessen.

Bei den Testpersonen wird vor der elektrischen Hirnstimulation der Kopfumfang gemessen.

© Universität Oldenburg

OLDENBURG. Sprache ist schwerer zu verstehen, wenn zusätzliche Stimmen als Störgeräusche auftreten. Selbst moderne Hörhilfen für Menschen mit Hörproblemen können diesen so genannten Cocktail-Party-Effekt nicht ausgleichen, erinnert die Uni Oldenburg in einer Mitteilung.

Ein neues Prinzip der elektrischen Hirnstimulation, die transkranielle elektrische Hirnstimulation, kann in solchen Situationen helfen, wie Forscher um Professor Christoph Herrmann von der Uni Oldenburg nun be richten (Neuroimage 2018; 172:766-777).

Testpersonen verstanden den Untersuchungen der Wissenschaftler zufolge Worte trotz Rauschens signifikant besser, wenn sie eine transkranielle Hirnstimulation erhielten.

Schärfere Wahrnehmung

Bei der transkraniellen elektrischen Hirnstimulation wertet ein von den Oldenburger Forschern entwickeltes Computerprogramm zunächst ein auf die Ohren treffendes Schallsignal aus und berechnet die sogenannte Hüllkurve. Damit ist die grobe Struktur des Schalls gemeint, beispielsweise eines gesprochenen Satzes.

Dieses Signal wird als schwacher elektrischer Wechselstrom über zwei oder mehr auf der Kopfhaut angebrachte Elektroden durch den Schläfenlappen geleitet – die Region, in der das Gehirn Hörinformationen verarbeitet.

Ziel ist, die Wahrnehmung für eine bestimmte Schallquelle zu schärfen, indem die elektrische Hirnaktivität, die beim Hören zu messen ist, mit der äußeren Stromquelle in Gleichtakt gebracht wird. "In der Fachsprache heißt dies Frequenzmitnahme", so Herrmann in der Mitteilung.

Die Forscher testeten die neue Art der Hirnstimulation in einer doppelverblindeten Studie mit insgesamt 19 jungen, gesunden Testpersonen.

Die Studienteilnehmer hörten aus fünf Wörtern bestehende Sätze, wobei unterschiedlich starkes Rauschen die Sätze überdeckte. Im Anschluss wiederholten die Probanden die Worte – soweit sie diese verstanden hatten.

Die Stärke des Stroms, den die Testpersonen während des Experiments über die Elektroden erhielten, war dabei gerade so hoch, dass sie diesen nicht spürten. Die Wissenschaftler führten auch Kontrollmessungen durch, in denen entweder gar kein Strom oder nur ein leichter Gleichstrom durch die Elektroden floss.

Test in Alltagssituationen

Das Ergebnis: Die Testpersonen verstanden im Vergleich zu den Kontrollmessungen die Sätze trotz Rauschens signifikant besser, wenn sie eine transkranielle Hirnstimulation erhielten.

Dabei zeigte sich allerdings, dass sich eine Zeitverzögerung im Bereich von Zehntelsekunden zwischen Einsetzen des Sprachsignals und Einsetzen des stimulierenden Stroms individuell unterschiedlich auf die Testpersonen auswirkte.

Die Forscher vermuten, dass der verabreichte Strom die sogenannte Frequenzmitnahme entweder verstärkt oder stört – je nach gewählter Verzögerung.

"Mit unserer Studie haben wir gezeigt, dass die Methode prinzipiell funktioniert", sagt Herrmann. Es sei aber noch nicht klar, wie lange der Effekt durch die Hirnstimulation anhalte. Zudem müssten noch realistischere Gesprächssituationen getestet werden. Problematisch sei zudem, dass die Apparatur bisher sehr sperrig ist.

Langfristig sei daher das Ziel, die Elektroden und die datenverarbeitende Technik möglichst klein zu machen und mit vorhandenen Hörhilfen zu kombinieren, heißt es in der Mitteilung der Universität.

Dieses Ziel verfolgen die Forscher mit einem Verbundprojekt, das das Bundesministerium für Bildung und Forschung von 2017 bis 2020 mit gut zwei Millionen Euro fördert.

Unter der Federführung des Unternehmens Neuroconn in Ilmenau, einem Hersteller von Hirnstimulatoren, kooperiert das Team um Herrmann mit dem Hörzentrum Oldenburg, dem Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie, der Universität Siegen und dem Hörgeräte-Unternehmen Advanced Bionics. (eb)

Mehr zum Thema

Kleine randomisierte Studie

Leichte OSA, kleine Tonsillen: Mandelentfernung kann warten

Das könnte Sie auch interessieren
Praxisfall im Podcast: Atemwegsinfekt

© Bionorica SE

Phytoneering-Akademie

Praxisfall im Podcast: Atemwegsinfekt

Anzeige | Bionorica SE
Antibiotika – Fluch und Segen

© Bionorica SE

Podcast

Antibiotika – Fluch und Segen

Anzeige | Bionorica SE
Brauchen wir noch Antibiotika?

© deepblue4you | iStock

Content Hub

Brauchen wir noch Antibiotika?

Anzeige | Bionorica SE
Was die MS-Behandlung auszeichnet

© Suphansa Subruayying | iStock

Lebensqualität

Was die MS-Behandlung auszeichnet

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

© AscentXmedia | iStock

Lebensqualität

Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
7-Jahres-Daten belegen günstiges Nutzen-Risiko-Profil von Ofatumumab

© Vink Fan / stock.adobe.com

Aktive schubförmige Multiple Sklerose

7-Jahres-Daten belegen günstiges Nutzen-Risiko-Profil von Ofatumumab

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg

ADHS im Erwachsenenalter

Wechseljahre und ADHS: Einfluss hormoneller Veränderungen auf Symptomatik und Diagnose

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG, Iserlohn
Neue Ansätze zur Behandlung seltener Krankheitsbilder

© Dr_Microbe / stock.adobe.com

Entwicklungen in der Therapie neuromuskulärer Erkrankungen

Neue Ansätze zur Behandlung seltener Krankheitsbilder

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an

Übersichtsarbeit zu Grippeimpfstoffen

Influenza-Vakzinen im Vergleich: Nutzen und Risiken

Lesetipps
Eine MFA schaut auf den Terminkalender der Praxis.

© AndreaObzerova / Getty Images / iStockphoto

Terminservicestellen und Praxen

116117-Terminservice: Wie das Bereitstellen von TSS-Terminen reibungsloser klappt

Bei Grenzentscheidungen (z.B. kürzlich stattgehabte Operation) gelte es, Rücksprache mit der entsprechenden Fachdisziplin zu halten, betont Dr. Milani Deb-Chatterji.

© stockdevil / iStock

Eine schwierige Entscheidung

Schlaganfall: Das sind Grenzfälle der Thrombolyse