SARS-CoV-2
Corona-Mutationen: Infektiologe warnt vor frühen Lockdown-Lockerungen
Auch die britische SARS-CoV-2-Variante wird sich in Europa durchsetzen, die Frage ist nur, wie rasant. Professor Christoph Sarrazin warnt vor zu frühen Lockerungsmaßnahmen. Ansonsten sei damit zu rechnen, dass es auch in Deutschland „sehr rasch zu sehr hohen Inzidenzen“ komme.
Veröffentlicht:Wiesbaden. Angesichts der neuen SARS-CoV-2-Varianten aus England, Brasilien und Südafrika, die offenbar mit deutlich höheren Reproduktionsraten assoziiert sind, zeigte sich Professor Christoph Sarrazin, Direktor des Zentrums für Innere Medizin im St. Josefs-Hospital, Wiesbaden, besorgt. Sarrazin geht fest davon aus, dass sich zumindest die englische Mutante auch in Europa verbreiten wird. „Da gibt es gar keinen Zweifel, es wird einen Komplettaustausch geben.“
Viren-Komplettaustausch in Europa prognostiziert
Im letzten Jahr habe man beobachten können, dass es zwischen Februar und Mai bereits einen solchen Komplettaustausch der Wildtypvariante aus China durch eine andere Variante gegeben habe. Das zeuge davon, dass sich das Virus anpasst. Die aktuellen Mutationen erleichtern es dem Erreger, über den Rezeptor ACE2 in die Zielzellen einzutreten, was offenbar der Grund für die höheren Virusreplikationsraten und die leichtere Übertragbarkeit ist.
Vor diesem Hintergrund warnte der Experte bei einer Online-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) eindringlich vor weitreichenden Lockerungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Dies könne in Verbindung mit der Verbreitung der neuen Varianten auch in Deutschland „sehr rasch zu sehr hohen Inzidenzen“ führen.
Positiv sei, dass zumindest die britische Mutante durch die bereits zugelassenen mRNA-Impfstoffe gut neutralisiert werde. Dazu gebe es erste Daten aus einer In-vitro-Untersuchung, in der von Geimpften gebildete Antikörper mit entsprechend mutierten Viren zusammengeführt wurden. Gegen die Virusvarianten aus Brasilien und Südafrika fiel die neutralisierende Antikörperantwort schon etwas schwächer aus. Ein Grund ist nach Sarrazin eine zweite Schlüsselmutation in deren Erbgut. „Es könnte also sein, dass der Impfstoff hier nicht mehr ganz optimal wirkt und man nachbessern muss.“
Während mRNA-Impfstoffe relativ leicht an die mutierten Virustypen angepasst werden können, indem einfach eine Nukleotidsequenz ausgetauscht wird, ist das bei den adenovirusbasierten Impfstoffen bereits etwas komplexer. Viel schwieriger wird es laut Sarrazin etwa bei den noch in Entwicklung befindlichen peptidbasierten Impfstoffen.
Schutz der älteren Bevölkerung derzeit vorrangig
Die derzeit vorrangige Aufgabe sieht Sarrazin klar darin, vor allem die ältere Bevölkerung zu schützen, „zum einen durch Hygienemaßnahmen, aber natürlich auch durch die Impfung“. Bei Hochbetagten müsse man bei einer SARS-CoV-2-Infektion mit Mortalitätsraten von 10 Prozent rechnen, bei Begleiterkrankungen sogar mit noch mehr. Der Anstieg des Durchschnittsalters der Infizierten, den man hierzulande im letzten Herbst und Winter erlebt habe, sei besorgniserregend. Dieses sei von 30 Jahren im Sommer auf mittlerweile 40 Jahre gestiegen. Auch die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit Corona sei immer noch relativ hoch, trotz sinkender Inzidenzen. Das liege daran, dass die Erkrankungen gerade bei den Älteren im Schnitt länger dauern. „Die Erkrankten liegen noch auf den Intensivstationen.“
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist man nach Sarrazin zumindest theoretisch in der Lage, die Bevölkerung hierzulande mit den vorhandenen Impfstoffen „exzellent zu schützen“. Das gelte auch für die britische Variante. Immerhin, sowohl die brasilianische als auch die südafrikanische Variante wurden laut RKI in Deutschland bislang noch extrem selten nachgewiesen. „Noch sind das wirklich Einzelfälle“, so Sarrazin. Damit bleibt also noch ein wenig Zeit – die man nicht durch verfrühte Lockerungen verspielen sollte.