Robert-Koch-Preis für regulatorische T-Zellen

Entdecker der „Friedensstifter“ des Immunsystems geehrt

Für bahnbrechende Arbeiten zu regulatorischen T-Zellen wird Professor Shimon Sakaguchi von der Universität Osaka mit dem Robert-Koch-Preis 2020 geehrt. Der Preis gehört zu den höchsten wissenschaftlichen Auszeichnungen in Deutschland.

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Der Preisträger: Professor Shimon Sakaguchi von der Universität Osaka.

Der Preisträger: Professor Shimon Sakaguchi von der Universität Osaka.

© Frank Rumpenhorst / dpa

Berlin. Die Robert-Koch-Stiftung verleiht den mit 120.000 Euro dotierten Robert-Koch-Preis 2020 an Professor Shimon Sakaguchi von der der Universität Osaka in Japan. Der Leiter des Immunology Frontier Research Center (IFReC) wird damit für seine bahnbrechenden Arbeiten zu regulatorischen T-Zellen gewürdigt, berichtet die Stiftung in einer Mitteilung. Der Preis soll am 13. November in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin überreicht werden.

Die „regulatorischen T-Zellen“ gelten als Friedensstifter des Immunsystems, berichtet die Stiftung zu den Arbeiten des Preisträgers. Denn diese T-Zellen verhindern, dass Abwehrzellen, die im Körper patrouillieren, körpereigenes Gewebe angreifen.

Funktionieren diese Zellen nicht richtig, drohen Autoimmunerkrankungen oder Allergien. Fehlen sie komplett, können die Patienten sogar an einer Vielzahl von Autoimmunerkrankungen gleichzeitig leiden, wie es beim IPEX-Syndrom, einer seltenen Erbkrankheit, der Fall ist.

Lange Zeit war es umstritten, ob solche Wächterzellen, denen wir letztlich die Selbsttoleranz unseres Immunsystems verdanken, überhaupt existieren. Doch Sakaguchi hielt an der Idee mit bewundernswerter Beharrlichkeit fest – bis es ihm tatsächlich gelang, sie nachzuweisen.

„Entdeckung von ungeheurer Tragweite“

Die Geschichte begann Anfang der 1970er Jahre, als Sakaguchi noch Medizin an der Universität von Kyoto studierte, berichtet die Stiftung weiter. Damals wurde erstmals der Verdacht geäußert, dass es sogenannte Suppressor-T-Zellen geben könnte, die darauf spezialisiert sind, Aktivitäten des Immunsystems zu bremsen statt sie zu entfachen.

Sakaguchi war von der Vorstellung so fasziniert, dass er sie zum Gegenstand seiner Doktorarbeit machte. Das Ergebnis war eine – so der britische Immunologe Daniel M. Davis – „Entdeckung von ungeheurer Tragweite“. Sakaguchi hatte drei Tage alten Mäusen den Thymus herausoperiert, in dem die für die zelluläre Immunantwort verantwortlichen T-Lymphozyten heranreifen. Die Tiere hatten daraufhin Autoimmunerkrankungen entwickelt, die wieder abgeklungen waren, wenn er ihnen Immunzellen gesunder Mäuse aus demselben Inzuchtstamm verabreicht hatte.

Es musste also unter den Immunzellen gesunder Mäuse spezielle Zellen geben, die, so Davis*, „Immunreaktionen aufhalten und einer Autoimmunkrankheit beikommen konnten“.

Durchhaltevermögen zahlte sich aus

Doch der anfängliche Hype um die mutmaßlichen Suppressor-T-Zellen brach bald wieder in sich zusammen, nicht zuletzt, weil man noch nicht über die technischen Mittel verfügte, um sie von anderen T-Zellen zu unterscheiden. Für die einschlägige Forschung gab es kaum noch Geld, am Ende war es geradezu verpönt, sich mit dem Thema überhaupt zu beschäftigen.

Sakaguchi gehörte zu den Wenigen, die ihr Ziel auch während dieser länger als ein Jahrzehnt andauernden Phase nicht aus den Augen verloren. Und dieses Durchhaltevermögen zahlte sich aus: Am Ende gelang es Sakaguchi, die Suppressor-T-Zellen, die wenig später in „regulatorische T-Zellen (Treg )“ umbenannt wurden, anhand eines speziellen Oberflächenantigens zu identifizieren.

Bei Mäusen, aus deren Immunsystem er diese Zellen mithilfe von genetischen Manipulationen entfernte, kam es zu Autoimmunerkrankungen, darunter Entzündungen der Schilddrüse, des Magens, des Pankreas, der Speicheldrüse, der Ovarien, der Nieren und Gelenke, die sich durch eine zeitnahe Gabe von regulatorischen T-Zellen zumindest abmildern ließen. Einem „Phönix aus der Asche“ gleich rückten die Wächterzellen wieder ins Rampenlicht.

Sakaguchis 1995 im „Journal of Immunology“ veröffentlichter Aufsatz, in dem er über seine Entdeckung berichtete, gehört zu den meistzitierten Artikeln, die in diesem traditionsreichen Fachblatt jemals erschienen sind. Auch die weitere Aufklärung der molekularbiologischen Zusammenhänge trieb der Forscher, der schon als Kandidat für den Medizinnobelpreis gehandelt wurde, maßgeblich voran.

Meilensteine waren seine bahnbrechenden Arbeiten zur Bedeutung des Transkriptionsfaktors FoxP3 für die Entwicklung regulatorischer T-Zellen und zur Bedeutung von Mutationen im FOXP3-Gen für die Entwicklung von Autoimmunerkrankungen.

Klinische Anwendungen lagen auf der Hand

Zunächst hatte es sich um medizinische Grundlagenforschung gehandelt. Aber die klinischen Anwendungsmöglichkeiten lagen auf der Hand. Einige werden bereits intensiv verfolgt. So kommt eine Stärkung der regulatorischen T-Zellen nicht nur bei Autoimmunerkrankungen und Allergien in Betracht, sondern vor allem auch nach Organtransplantationen, um überschießende Abstoßungsreaktionen einzudämmen.

Umgekehrt verhält es sich bei Krebserkrankungen. In Tumorgewebe fand sich ein deutlich erhöhter Anteil von regulatorischen T-Zellen. Damit wird eine potenzielle Immunabwehr gegen Tumorzellen unterdrückt. Insofern käme es bei Krebserkrankungen darauf an, die Aktivität regulatorischer T-Zellen zu dämpfen, um es dem Immunsystem zu ermöglichen, effektiver gegen den Tumor vorzugehen.

Shimon Sakaguchi wurde schon mit vielen internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der William B. Coley Award (2004), der Keio Medical Science Prize (2008), die Kaiserliche Ehrenmedaille am violetten Band (2009), der Canada Gairdner International Award (2015), der Crafoord-Preis (2017), der Deutsche Immunologie-Preis (2019) und der Paul-Ehrlich-und-Ludwig-Darmstädter-Preis (2020). (eb/eis)
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*Daniel M. Davis: „Heilen aus eigener Kraft: Wie ein neues Verständnis unseres Immunsystems die Medizin revolutioniert“, Deutsche Verlagsanstalt (DVA), München 2019

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