INTERVIEW

Forscher tüfteln an Stammzell-Therapie für Parkinsonkranke

Morbus Parkinson könnte nach Einschätzung des in Flensburg geborenen Neurowissenschaftlers Professor Kai-Christian Sonntag von der Universität Harvard in Cambridge eine der ersten degenerativen Erkrankungen sein, bei der mit Stammzellen eine Heilung oder zumindest eine Linderung der Symptome möglich ist. Doch vor der klinischen Anwendung liegen noch einige Jahre Forschungsarbeit und die Überwindung einiger technischer wie ethischer Hürden, sagte der Forscher im Gespräch mit unserem Mitarbeiter Ronald D. Gerste.

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Ärzte Zeitung: Welche Entwicklung gab es bei der Parkinson-Therapie in den vergangenen Jahren?

Sonntag: Morbus Parkinson beruht bekanntlich auf der Degeneration und dem Tod von Dopamin-produzierenden Zellen im Gehirn. Es gibt derzeit mehrere Therapieformen, etwa die medikamentöse Behandlung oder eine neurochirurgische, wie Tiefenhirnstimulation. Die klassische Therapie ist die Verabreichung von L-Dopa: Man ersetzt den Verlust von Dopamin mit L-Dopa. Aber das ist natürlich nur eine palliative Therapie. Es kommt bei den Patienten zudem auch zu unerwünschten Wirkungen wie Dyskinesien und Stimmungsschwankungen.

Ärzte Zeitung: Welches Potential sehen Sie für die Anwendung embryonaler Stammzellen?

Sonntag: Das Grundlegende ist: Wir wollen die Dopamin-produzierenden Neuronen, die bei M. Parkinson mit der Zeit sterben, ersetzen. Morbus Parkinson ist eine typische neurodegenerative Erkrankung. Wenn ein Patient - dies tritt meist in einem Alter von 55 oder 60 Jahren auf - etwa 70 Prozent seiner dopaminergen Zellen verloren hat, treten die ersten Symptome der Erkrankung auf. Diese Degeneration ist progressiv, immer mehr dopaminproduzierende Neuronen sterben.

Vor ungefähr 20 Jahren ist das Konzept des "Cell replacement", der Zellersatztherapie entwickelt worden. Man hat mit Föten angefangen - die im dritten Monat abgetrieben worden waren - und hat ventral-mesencephale Neuronen isoliert, also Neuronen aus jenem Hirnareal, in dem die Dopamin-produzierenden Zellen liegen. Daraus hat man eine Zellsuspension gemacht und diese den Patienten in die Substantia nigra gespritzt. Das Ganze hat präklinisch-experimentell funktioniert, manche Patienten haben sehr stark angesprochen. So gibt es sehr beeindruckende Videos von Parkinsonkranken, die sich vor der Therapie nicht mehr und nach der Therapie deutlich besser bewegen konnten.

Ärzte Zeitung: Woran scheitert die klinische Einführung der Zellersatztherapie ?

Sonntag: Das Problem ist ein ethisches. Man braucht pro Patient, pro Hirnseite etwa sechs bis acht Embryonen. Das ist weder technisch noch ethisch zu vertreten. Ein anderes Problem: Die Überlebensrate der transplantierten Zellen im Gehirn beträgt etwa zehn Prozent. Und von diesen wiederum sind nur zehn Prozent Dopamin-produzierende Neuronen. Insgesamt sind das nur etwa ein Prozent jener Zellen, die man für die Parkinson-Therapie braucht.

Ärzte Zeitung: Da erscheinen embryonale Stammzellen geradezu als der nächste logische Schritt.

Sonntag: Wir haben uns überlegt, was geschieht, wenn wir Stammzellen nehmen? Wir machen diese Dopamin-produzierenden Neuronen in der Kultur - das war jedenfalls die grundlegende Idee - und haben dann eine definierte Zellpopulation, die wir dann zur Therapie injizieren. Wir arbeiten mit embryonalen Stammzellen, die totipotent sind, die sich also in alle Gewebearten entwickeln können. Der Vorteil dieser Zellen ist, daß sie sich spontan in Dopamin-produzierende Neuronen entwickeln können. Aber sie entwickeln sich auch in alle anderen Gewebe - im ungünstigen Fall somit auch zu Teratomen. Im Umgang mit den embryonalen Stammzellen sind wir in den vergangenen fünf Jahren weit fortgeschritten. Wir haben allerdings noch nicht gelernt, wie man eine homogene, Dopamin-herstellende Zellpopulation entwickelt, eine Zellpopulation, die wir zur Therapie verwenden können.

Grundsätzlich erscheint uns Morbus Parkinson als eine Erkrankung, die für die Anwendung embryonaler Stammzellen in besonderem Maße zugänglich sein dürfte. Zum einen ist Parkinson im Gegensatz zu anderen neurodegenerativen Erkrankungen durch den Verlust eines ganz spezifischen Zelltyps definiert, jenen der dopaminergen Neuronen. Und zweitens resultieren viele der Parkinson-typischen Symptome aus einem relativ gut lokalisierten Zelluntergang im Stammhirn, auch wenn heutzutage klar scheint, daß manche Spätsymptome auch unabhängig vom dopaminergen System entstehen.

Ärzte Zeitung: Gibt es ähnliche Ansätze auch bei anderen chronischen Erkrankungen?

Sonntag: Diese Ansätze werden derzeit für eine ganze Reihe von Erkrankungen angewandt, etwa für insulinproduzierende Zellen im Pankreas, bei Diabetes, neurodegenerativen Erkrankungen wie Amyotrophe Lateralsklerose oder dem Ersatz von Muskel oder Knorpelgewebe. Ich bin überzeugt, daß Morbus Parkinson die erste degenerative Erkrankung sein wird, die man auf diese Art positiv wird beeinflussen können. Auf diesem Feld sind wir am weitesten. Unser Labor ist dabei sicher führend, zusammen mit einigen wenigen anderen Forschungseinrichtungen in den USA, Kanada, Japan, Korea, Israel und Schweden.

Ärzte Zeitung: Wo stehen Sie momentan auf dem Weg zu einer Parkinson-Therapie mit Stammzellen?

Sonntag: Angefangen hat es mit embryonalen Stammzellen von Mäusen. Das Standard-Nager-Modell für Morbus Parkinson sind Ratten, bei denen man durch Einspritzen von Dopamin mit einer Hydroxyl-Radikalgruppe ins Striatum die Krankheit auslöst. Diese Substanz wird spezifisch von Dopamin-produzierenden Neuronen aufgenommen, die dann sterben. Hauptsymptom: Die Tiere rotieren förmlich, sie drehen sich, da die eine Hirnseite geschädigt ist. Auch bei Affen können wir ganz typische Parkinson-Symptome auslösen, mit Rigidität und Tremor. Wenn wir in Ratten embryonale Stammzellen spritzen und diese Zellen sich zu Dopamin-produzierenden Neuronen entwickeln, dann können wir die Symptome beheben. Dies können Sie mit Maus-, mit Primaten- und mit humanen Stammzellen bewirken. Allerdings entwickeln diese undifferenzierten Zellen auch Teratome. Das Ziel ist, in vitro differenzierte dopaminerge Neuronen oder deren Vorläuferzellen zu injizieren. Eine japanische Gruppe hat belegt, daß man parkinsonkranke Primaten mit so differenzierten primaten Stammzellen erfolgreich behandeln kann. Das ist im Grunde bereits präklinisch.

Ärzte Zeitung: Welche Schwierigkeiten gibt es auf dem Wege zu Studien?

Sonntag: Wir wollen natürlich in Menschen keine Affen- oder Mauszellen verpflanzen, sondern nur humane Stammzellen. Und mit humanen Stammzellen ist das nicht so einfach. Es gibt dabei zwei Probleme: Wir sind noch nicht in der Lage, so zielgerichtet Dopamin-produzierende Zellen herzustellen, wie das mit Maus- oder Primaten-Stammzellen zur Zeit funktioniert. Wir wissen noch nicht genau, woran das liegt, was an den humanen Stammzellen anders ist als bei jenen der Primaten. Und zweitens: Wir haben noch nicht herausgefunden, wie man Teratome verhindert. Diese Neigung scheint bei humanen Stammzellen weit stärker ausgeprägt zu sein als bei Stammzellen von Mäusen.

Ärzte Zeitung: Mit anderen Worten: Nach heutigem Kenntnisstand bestünde die Gefahr, daß behandelte Patienten unter besten Umständen zwar eine Linderung der Parkinson-Symptome erfahren könnten, zugleich aber ein Teratom bekommen?

Sonntag: Genau! Wir müssen noch lernen, das zu verhindern. Ein weiteres Problem liegt darin, daß einige In-vitro-Versuche mit humanen Stammzellen auf gemeinsamer Züchtung mit Tierzellen basieren. Das kann dann später Probleme mit der Zulassungsbehörde FDA geben. Schließlich wollen wir Patienten keine Zellen zuführen, die irgendwie durch Faktoren von Tieren verunreinigt sind. Wir machen in unserem Labor zum Beispiel auch Gentherapie, für die wir Lentiviren benutzen. Das sind HIV-Abkömmlinge. Die lösen zwar kein Aids aus, aber das ist natürlich für jede Zulassungsbehörde wie eine Alarmglocke, wenn wir sagen: Wir haben unsere Stammzellen mit einem Virus gentechnisch verändert, das auf HIV basiert. Wir machen genetische Veränderungen, damit bestimmte Faktoren übermäßig synthetisiert werden - dies sind alles Ansätze, um eine homogene, Dopamin-produzierende Zellsuspension herzustellen, die man dann therapeutisch nutzen kann.

Ärzte Zeitung: Ist das Ziel zumindest am Horizont bereits zu erkennen?

Sonntag: Ich glaube, bis dahin vergehen noch mindestens zehn Jahre. Nichtsdestotrotz: Von den In-vitro-Versuchen und von der Anwendung im Tiermodell her sind wir sicher bei Morbus Parkinson am weitesten.



ZUR PERSON

Professor Kai-Christian Sonntag ist nach Zwischenstationen in der Inneren Medizin und der Virologie an der Universität Heidelberg seit fast zehn Jahren in Harvard tätig. An der Harvard Medical School hat er die Position eines Assistant Professors für Psychiatrie/Neurowissenschaften inne. Seine Forschungsergebnisse hat er kürzlich bei der Jahrestagung der Society of Neuroscience in Washington D.C. vorgestellt.

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