Aicardi-Goutières Syndrom

Krank durch vererbte Viren?

Ein Enzym-Defekt bringt Dresdner Medizin-Forscher auf die Spur uralter Viruselemente im menschlichen Erbgut als mögliche Ursache von Autoimmunerkrankungen.

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Dresden. Die seltene Erbkrankheit "Aicardi-Goutières Syndrom" ist gekennzeichnet durch eine schwergradige Schädigung des kindlichen Gehirns infolge eines entzündlichen Prozesses, welcher der klassischen Autoimmunerkrankung Lupus erythematodes sehr ähnlich ist.

In den letzten Jahren konnten Wissenschaftler ermitteln, dass genetische Defekte verschiedener Enzyme des Nukleinsäurestoffwechsels für das Aicardi-Goutières Syndrom ursächlich sind. Wie aber der Enzymdefekt zu der Attacke des Immunsystems auf das Gehirn führt, ist unklar.

Die Arbeitsgruppe von Professor Axel Roers am Institut für Immunologie der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU-Dresden untersucht deshalb im Rahmen der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Klinischen Forschergruppe 249 die Auswirkungen der Enzymdefekte im Mausmodell.

In der aktuellen Ausgabe des Fachblattes "Cell Reports" (Cell Reports 2013, online 22. August) berichtet die Gruppe, dass Mäuse mit genetischem Defekt des Enzyms SAMHD1 spontan eine antivirale Immunantwort in Gang setzten - ohne aktuelle, nachweisbare Virusinfektion.

Sind fossile virale DNA-Sequenzen die Ursache?

Die Dresdner Immunologen vermuteten fossile virale DNA-Sequenzen als mögliche Ursache, teilt die Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus Dresden mit.

Da bekannt sei, dass eine unkontrollierte, chronische Aktivität der antiviralen Immunität entzündliche Erkrankungen hervorrufen kann, spiegele dieser Befund wahrscheinlich einen entscheidenden Mechanismus der Krankheitsentstehung wider.

Auch beim Aicardi-Goutières Syndrom und beim Lupus erythematodes finde sich eine chronische Aktivität der antiviralen Immunität, ohne dass eine ursächliche Virusinfektion nachgewiesen werden könne, heißt es in der Mitteilung.

Im Fokus: Genetischer Defekt des Enzyms SAMHD1

Die Frage, wie das antivirale Immunsystem bei diesen Patienten und in Mäusen mit Aicardi-Goutière Syndrom-assoziierten Gendefekten aktiviert wird, steht im Mittelpunkt internationaler Forschungsanstrengungen.

SAMHD1 hat bekanntermaßen antivirale Aktivität und unterdrückt wirksam die Vervielfältigung der Erbinformation von HI-Viren (HIV) bei betroffenen Patienten.

Der Defekt dieses antiviralen Faktors führt im Mausmodell der Dresdner Arbeitsgruppe um Roers auch zu einer spontanen Aktivierung des antiviralen Immunsystems, obwohl keine Infektion mit einem Virus nachweisbar ist.

Eine attraktive Erklärung für dieses Rätsel könnten fossile virale DNA-Sequenzen darstellen, die in sehr großer Zahl das Erbgut von Säugetieren bevölkern.

Während die meisten Kopien dieser endogenen Retroviren und Retrotransposons durch Mutationen im Laufe der Evolution ihre Funktionstüchtigkeit eingebüßt haben, sind einige jedoch noch aktiv und in der Lage, sich im Genom zu vervielfältigen.

Unterdrückt SAMHD1 die Aktivität viraler Elemente?

Eine wichtige Funktion von SAMHD1 könne darin bestehen, die Aktivität dieser ererbten viralen Elemente zu unterdrücken, so die Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus Dresden in ihrer Mitteilung.

Der Verlust von SAMHD1 könnte zu unkontrollierter Aktivität der Viruselemente führen und die für das Aicardi-Goutières Syndrom und Lupus erythematodes typische chronische antivirale Immunantwort induzieren, welche letztlich die Gewebsentzündung verursacht.

Die von der Dresdner Arbeitsgruppe entwickelte SAMHD1-defiziente Mauslinie, werde eine große Hilfe bei der Überprüfung dieser Hypothese darstellen. (eb)

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