Mehr Aufmerksamkeit für Schmerz im Alter
Alte Menschen, besonders kognitiv eingeschränkte, sprechen Schmerzen von sich aus oft nicht an. Mögliche Schmerzhinweise sind Bewegungseinschränkungen, Schonhaltungen, sozialer Rückzug und Unruhe.
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Demenzkranke empfinden nicht weniger Schmerz als Gesunde, können dies aber nicht mehr in Worte fassen.
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MÜNCHEN. Obwohl schmerzhafte Erkrankungen mit dem Alter zunehmen, sprechen geriatrische Patienten ihre Schmerzen von sich aus oft nicht an. Und selbst wer als Arzt einfühlsam und vermeintlich deutlich nachfragt, stolpert leicht über eine falsch- negative Antwort.
Schmerz gehört zum Alter, ist eine Aussage, die sich fälschlicherweise in den Köpfen vieler Senioren festgesetzt hat. Und was selbstverständlich erscheint, wird von vielen Betroffenen auch nicht beklagt oder eben bagatellisiert. Wichtig ist deshalb in der geriatrischen Schmerzdiagnostik, nicht nur verbale Äußerungen zu bewerten, sondern sensibel auf mögliche Schmerzhinweise wie Bewegungseinschränkungen, Schonhaltungen, sozialer Rückzug, Depressionen oder Unruhe zu achten.
Das hat Dr. Ute Streicher beim 3. Europäischen Schmerzkongress betont. Das Gespür für nonverbale Schmerzäußerungen ist um so bedeutsamer, je mehr ein Patient kognitiv eingeschränkt ist. Umgekehrt bemisst sich auch der Erfolg einer Schmerztherapie besonders bei dementen Patienten oft weniger an direkten Aussagen zum Ausmaß der Linderung als vielmehr daran, dass die Patienten wieder mehr können, sich wieder mehr ihrer Umgebung zuwenden, wieder mehr unternehmen, besser schlafen und insgesamt zufriedener wirken.
Streicher warnte vor der irrigen Annahme, ein kognitiver Abbau gehe meist auch mit einer Abnahme des Schmerzempfindens einher und analgetische Maßnahmen verlören hier an Bedeutung. Es verdichten sich jedoch Befunde, wonach schmerzhemmende neuronale Strukturen im dementiellen Alterungsprozess früher degenerieren als schmerzvermittelnde und die Betroffenen daher im Vergleich zu Gesunden bei ähnlich intensiven Schmerzreizen eher mehr als weniger Leid verspüren. Sie können es nur nicht in Worte fassen.
Gegen Unruhe bei Demenz-Patienten gelten Neuroleptika als Mittel der Wahl. Oft steckt hinter einer solchen Unruhe aber ein unerkannter Schmerz. Deshalb lohne es häufig, primär eine individuell geeignete analgetische Behandlung zu versuchen, betonte Streicher.