Neuer Ansatz

Mit Schärfe gegen Schmerzen

Mit Capsazepin haben Forscher einen Wirkstoff gegen starke Schmerzen identifiziert. Das könnte Patienten bei Colitis ulcerosa, Pankreatitis, Arthrose und Asthma helfen.

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Capsazepin blockiert den Capsaicinrezeptor und macht den Senfölrezeptor unempfindlich. Senföl ist zum Beispiel in Zwiebeln und Meerrettichwurzeln enthalten

Capsazepin blockiert den Capsaicinrezeptor und macht den Senfölrezeptor unempfindlich. Senföl ist zum Beispiel in Zwiebeln und Meerrettichwurzeln enthalten

© EM Art / fotolia.com

ERLANGEN. Capsaicin kann bekanntlich bei Schmerzen helfen, etwa der Post-Zoster-Neuralgie. Häufig kommt es jedoch zu Nebenwirkungen wie starkem Brennen. Forscher der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben nun eine Substanz ausfindig gemacht, die sich ebenso eignen könnte, um starke Schmerzen zu lindern – jedoch weitaus verträglicher ist (Sci Rep 2016; online 30 Juni).

Werden Nozizeptoren aktiviert, setzen sie ja unter anderem entzündungsfördernde Neuropeptide frei. Die schmerzvermittelnden Nervenfasern sind mit einer Vielzahl von Rezeptoren ausgestattet. Der Capsaicin-Rezeptorkanal etwa reagiert heftig auf den scharfen Inhaltsstoff von Chilischoten.

Einen anderen könnte man den "Senföl-Rezeptor" nennen, da er durch einen Stoff im Senf, in Meerrettich und in Zwiebeln aktiviert wird. Der Rezeptor, TRPA1, spielt eine tragende Rolle bei Colitis ulcerosa und Pankreatitis sowie bei Asthma.

Überraschung für die Forscher

Ein Team um Dr. Matthias Engel, Lehrstuhl für Innere Medizin I, und Professor Peter Reeh, Institut für Physiologie und Pathophysiologie der FAU, haben die Substanz Capsazepin, das den Capsaicin-Rezeptor teilweise blockiert, genauer untersucht, heißt es in einer Mitteilung der FAU. Der Stoff hatte in Studien anderer Wissenschaftler Colitis ulcerosa bei Mäusen verhindert.

Jedoch musste dafür eine unbekannte Nebenwirkung von Capsazepin verantwortlich sein, denn aus eigenen Untersuchungen wusste Engel, dass der Capsaicinrezeptor am Krankheitsprozess dieser Entzündung gar nicht beteiligt ist. Ebenfalls in früheren Arbeiten verhinderte ein synthetischer Hemmstoff des Senföl-Rezeptors die Colitis nicht nur, sondern heilte sie sogar.

Daher vermuteten die Erlanger Forscher, dass Capsazepin eine solche hemmende Nebenwirkung auf TRPA1 haben könnte - und erlebten eine Überraschung: Der Wirkstoff hemmte den Rezeptor nicht, sondern aktivierte ihn höchst effektiv, heißt es weiter in der Mitteilung. Dies führte dazu, dass er gegen den Reizstoff unempfindlich wird.

Die schützende Wirkung von Capsazepin bestand also darin, dass die Nozizeptoren auf entsprechende Reize weniger reagierten und keine Neuropeptide mehr freisetzten.

Alle Nozizeptoren im Körper erreicht

Doch die Wissenschaftler fanden noch mehr heraus: Obwohl Capsazepin lokal im Darm verabreicht wurde, wurden auch in der Haut kaum noch Neuropeptide ausgeschüttet. Sie folgerten daraus, dass Capsazepin auf dem Blutweg alle Nozizeptoren im Körper wirksam erreichen und vielleicht desensibilisieren kann.

Der Weg also zu einem neuen Mittel gegen starke Schmerzen? Dass sich grundsätzlich Nozizeptoren im ganzen Körper desensibilisieren lassen, ist schon lange bekannt und zwar mithilfe großer Dosen Capsaicin.

Capsaicin-Einsatz noch problematisch

Das Problem dabei: Der Körper kann die Temperatur nicht mehr gut regeln, das Empfinden für schmerzhafte Hitze geht verloren, die Durchblutung mancher Organe wird schlechter - alles dauerhaft und unumkehrbar. Daher wird Capsaicin nur lokal begrenzt mit Pflastern und in niedriger Dosis in Cremes eingesetzt.

Bei mehrtägiger Gabe von Capsazepin in hoher, aber gut verträglicher Dosis ging die Empfindlichkeit für schmerzhafte chemische und Hitzereize nach und nach im ganzen Körper deutlich zurück, und gleichzeitig wurde die Colitis verhindert. Ein vielversprechendes Ergebnis, das langfristig helfen könnte, hochwirksame Schmerzmittel zu entwickeln, für Krankheiten, bei denen TRPA1 eine wichtige Rolle spielt, teilt die Universität mit.

Neben Colitis ulcerosa sind dies beispielsweise Gelenkarthrose, chronische Pankreatitis oder Morbus Crohn. (eb)

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