Modellrechnung
Mit viervalentem Grippeschutz jeden Winter 1000 Klinikpatienten weniger
Ab nächstem Herbst empfiehlt die STIKO quadrivalente Influenza-Vakzinen (QIV) als Standard. Damit ließe sich die Krankheitslast deutlich reduzieren. Jetzt muss der GBA entscheiden, ob die QIV-Impfung auch GKV-Leistung wird.
Veröffentlicht:Grippeimpfstoff in diesem Jahr nicht gut wirksam": So oder ähnlich titeln viele Zeitungen momentan in Deutschland und weisen auf einen Missstand bei der Influenza-Impfung hin. Nicht nur diesen Winter haben sich nämlich die bisher als Standard verwendeten trivalenten Influenza-Impfstoffe (TIV) als nicht ideal erwiesen. Weil momentan der dominierende Influenzavirus-Subtyp von TIV nicht abgedeckt wird, ist die sowieso nur moderate Wirksamkeit der Impfstoffe weiter vermindert.
Der sogenannte "mismatch" liegt dieses Jahr bei einem Influenza-B-Virus. Seit Jahren zirkulieren nämlich zwei Influenza-B-Subtypen: die Yamagata- und die Victoria-Linie. Doch nur eine Linie ist in den jeweils aktuellen TIV enthalten. Die WHO, die jedes Jahr im Februar auf Basis der Situation im Südwinter die Virus-Stämme für die neue Grippevakzine auf der Nordhalbkugel festlegt, hatte sich im Frühjahr bei TIV für die Victoria-Linie entschieden und liegt damit jetzt falsch. Das kommt öfter vor: In sechs der letzten 13 Winter (2003/04 bis 2016/17) war der dominierende B-Stamm nicht in den TIV enthalten. In vier Wintern betrug der Anteil der zirkulierenden und nicht von TIV abgedeckten Virus-Subtypen sogar über 20 Prozent; in der aktuellen Saison 2017/18 sind es bisher sogar 60 Prozent.
Viervalent wird ab nächstem Winter Standard
Abhilfe können hier die quadrivalenten Influenza-Vakzinen (QIV) schaffen. Weil in ihnen immer beide B-Linien enthalten sind, lässt sich damit der Schutz gegen Influenza verbessern. Solche QIV gibt es in Deutschland seit 2013. Sie haben in Jahren mit einem "mismatch" beim B-Stamm einen deutlich stärkeren Nutzen als TIV. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt QIV jetzt ab der Saison 2018/19 als Standard. Zur Begründung hat das Gremium in einer Modellrechnung den Zusatznutzen analysiert (Epi Bull 2018; 2: 19).
Das wurde bei der Modellrechnung berücksichtigt:
- Der jeweilige Anteil der nicht in TIV enthaltenen B-Subtypen in den zehn Wintern von 2003 bis 2014 .
- Die in Studien ermittelte Wirksamkeit der Impfstoffe von 54 Prozent gegen Influenza-B-Viren.
- Die in Studien belegte erhöhte Krankheitslast bei Influenza-B-Infektionen, die bei Kindern und Jugendlichen vor allem zu mehr Arztkonsultationen und bei über 60-Jährigen zu mehr Klinikeinweisungen führt.
- Hospitalisierungsquoten in den Altersgruppen: So werden etwa im Schnitt 0,2 Prozent der 5- bis 14-Jährigen Influenza-bedingt nach Arztkontakt stationär eingewiesen, ab 60 Jahre sind es 1,7 Prozent.
- Eine im Vergleich etwas erhöhte Rate von leichten Nebenwirkungen bei QIV, die die Impfraten beeinträchtigen könnten.
- Die partielle Kreuzprotektion: Bei einem "mismatch" bietet auch die nicht optimale B-Linie in TIV gegen die nicht enthaltenen aber zirkulierende B-Linie einen gewissen Schutz.
Postuliert wird, dass sich durch Impfungen die Inzidenz und das Infektionsrisiko verringern und damit die Zahl der dadurch bedingten Arztkontakte und Klinikeinweisungen. Nach dem Modell brächte der Umstieg auf QIV einen deutlichen Nutzen. Verglichen mit der TIV-Impfung ließen sich damit im Schnitt pro Grippesaison zusätzlich 182.000 bis 388.000 Influenza-bedingte Arztkonsultationen und 844 bis 1863 Krankenhauseinweisungen vermeiden. Ein weiteres Ergebnis: Um einen Influenza-bedingten Arztkontakt zu verhindern, müssen mit TIV 13 Menschen geimpft werden ("number needed zu vakzinate"), mit QIV wären es 10 oder 11. Bei den Untergrenzen des Nutzens wird dabei eine optimale Kreuzprotektion der TIV angenommen, bei den Obergrenzen überhaupt keine.
Umstieg noch nicht gesichert
Trotz dieser überzeugenden Zahlen und der STIKO-Empfehlung ist der Umstieg auf QIV ab kommenden Herbst aber noch nicht in trockenen Tüchern. Ärzte müssen sicher sein, dass die Empfehlung tatsächlich in die Schutzimpfungsrichtlinie eingeht, um Impfstoff zu bestellen. Und die Hersteller müssen bis spätestens Ende März wissen, wieviel QIV im Herbst denn gebraucht wird. "Die Produktion von Grippeimpfstoff ist jedes Jahr ein Wettlauf mit der Zeit", betont Dr. Oliver Thomas, Medizinischer Direktor beim Impfstoffhersteller Sanofi-Pasteur.
Die Zeit drängt: Im Februar gibt die WHO die Virusstämme für die neuen Impfstoffe bekannt. Danach sind fünf bis sechs Monate erforderlich, um den Impfstoff zu produzieren und bei der Zulassungsbehörde überprüfen zu lassen. Die Anzucht der Viren auf sterilen Eiern, die Aufreinigung der Virusbestandteile und die Qualitätskontrollen mit rund 200 Tests während der Produktion lassen sich nicht beschleunigen. "Die Addition eines vierten Influenzastammes erhöht die Komplexität des Produktionsprozesses. Die Herstellung der Vakzine erfordert aber nicht unbedingt mehr Zeit", sagte Thomas zur "Ärzte Zeitung".
Zunächst muss aber erst der GBA entscheiden, ob die QIV-Impfung Pflichtleistung der GKV wird. Das Gremium hat dazu drei Monate Zeit. Bis zum 1. Juli könne es dauern, bis eine damit verbundene Änderung der Schutzimpfungsrichtlinie rechtskräftig wird, betonen einige KVen und raten Ärzten bis dahin davon ab, Grippeimpfstoff für die nächste Saison zu bestellen. Bei einer solchen späten Entscheidung werden sich aber ausreichende Mengen an QIV nicht rechtzeitig produzieren lassen.