Neue Immuntherapien gegen Krebs

Tumoren entstehen, weil sich bösartig veränderte Zellen den Mechanismen der Immunabwehr entziehen. Aber die Forscher arbeiten an immunologischen Gegenstrategien - bei einigen Tumoren mit Erfolg

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:
Antikörper lassen sich auch spezifisch für die Zerstörung von Tumorzellen verwenden. © S.Kaulitzki/Fotolia.de

Antikörper lassen sich auch spezifisch für die Zerstörung von Tumorzellen verwenden. © S.Kaulitzki/Fotolia.de

© S.Kaulitzki/Fotolia.de

NEU-ISENBURG. Das Immunsystem ist ein ständiger, lebensnotwendiger Wächter: Nicht nur Krankheitserreger müssen eliminiert werden, auch bösartig veränderte, körpereigene Zellen. Meist scheint dies zu funktionieren. Der gegenwärtigen wissenschaftlichen Auffassung zu Folge entstehen im Verlauf des Lebens immer wieder Tumorzellen, und meist werden sie vom Immunsystem zerstört, bevor sie schaden könnten. Die erhöhte Krebshäufigkeit bei Patienten mit dauerhaft geschwächtem Immunsystem gilt als einer der wichtigsten Belege für diese Theorie.

Aus ihr folgt auch: Versagen im Einzelfall immunologische Abwehrmechanismen gegen Krebs, sollte es möglich sein, der Körperabwehr auf die Sprünge zu helfen. Immuntherapien gegen Krebs werden seit den 80er Jahren erprobt. Dabei erfolgen die Aktivierungen des Immunsystems krebsunspezifisch oder aber tumorspezifisch.

BCG-Vakzine erfolgreich bei Harnblasenkrebs

So gilt als erfolgreichste Immuntherapie solider Tumoren die Impfung gegen Harnblasenkrebs mit einem Tuberkulose-Impfstoff, der BCG-Vakzine (Bacille Calmette-Guérin). Der französische Name steht für einen Stamm von Tuberkelbazillen, der bei Menschen ungefährlich ist. Bei Harnblasenkrebs mit hohem Risiko für einen Rückfall wird die BCG-Vakzine mehrfach direkt in die Harnblase des Patienten gespritzt. Die Impfung ist tumorunspezifisch, löst aber komplexe Immunreaktionen aus, darunter eine Aktivierung der natürlichen Killerzellen. Diese Zellen können veränderte körpereigene Zellen, wie es Tumorzellen sind, abtöten. Das Risiko für Tumorrezidive wird durch die BCG-Vakzine um bis zu 50 Prozent gesenkt.

Ebenfalls tumorunspezifisch, aber hoch wirksam können Therapien mit Botenstoffen des Immunsystems (Zytokine) sein, zum Beispiel Interferone oder Interleukine. Zytokine vermitteln die biochemischen Signale zwischen den Zellen, die bei einer Immunantwort zusammenwirken, etwa Lymphozyten, Makrophagen und dendritische Zellen.

Die Zytokinbehandlung ist erfolgreich beim Harnblasenkarzinom erprobt worden, unter anderem in Kombination mit der BCG-Vakzine. Aber auch beim Melanom hat sich eine Zytokintherapie mit Interleukin 2 (IL-2) als wirksam erwiesen. In den USA ist dieses Mittel deshalb zur Behandlung von Patienten mit metastasiertem Melanom zugelassen, in Europa allerdings nicht - aufgrund der unerwünschter Wirkungen des Interleukins.

Eine weitere Strategie der Immuntherapie gegen Krebs ist die Behandlung mit Antikörpern. So werden zum Beispiel die monoklonalen Antikörper Trastuzumab und Rituximab bei Patienten mit Brustkrebs und Lymphomen angewandt, häufig in Kombination mit Hormon- und Zytostatika-Behandlung. Solche dem Patienten injizierten Antikörper binden passiv an Oberflächenmoleküle auf Tumorzellen.

Antikörper beugt Neuroblastom-Rezidiv vor

In einer Studie im vergangenen Jahr mit 226 Kindern mit Neuroblastom beugte die Verabreichung eines Antikörpers gegen das Tumormolekül GD2 Rezidiven dieses Tumors vor, wenn die Patienten den Antikörper im Anschluss an die herkömmliche Therapie erhielten.

Bei der aktiven Tumorimpfung soll der Körper des Patienten selbst Antikörper und tumorspezifische T-Lymphozyten bilden, die die malignen Zellen gezielt und nebenwirkungsarm zerstören und ein lang anhaltendes, immunologisches Gedächtnis hervorrufen. Noch hat sich im Klinikalltag kein Verfahren der aktiven Immunisierung gegen Krebs etabliert, aber die Ergebnisse neuer, großer klinischer Studien sind vielversprechend.

Beispiel: Melanom. Eine Impfung mit dem Eiweißbaustein gp100 - die Buchstaben stehen für Glykoprotein -, kombiniert mit einem unspezifischen Immunverstärker, brachte in einer Studie mit 185 Patienten mit fortgeschrittenem Melanom Geimpften einen Überlebensvorteil von durchschnittlich fünf Monaten - sie lebten damit knapp eineinhalb Jahre, Nichtgeimpfte lebten im Mittel nur ein Jahr.

Aktivierte dendritische Zellen bekämpfen Melanom

Ebenfalls positive Effekte sind beobachtet worden, wenn Patienten mit Melanom dendritische Zellen entnommen, außerhalb des Körpers mit Tumorantigenen beladen und wieder reinfundiert werden. Dendritische Zellen arbeiten der Immunabwehr zu, indem sie auf ihrer Oberfläche Bruchstücke körperfremder und körpereigener Eiweiße den Lymphozyten zur Erkennung präsentieren.

Fortschritte gibt es auch bei hämatologischen Malignomen. So ließ sich bei Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphomen durch die aktive Impfung mit tumorspezifischen Proteinen die Überlebenszeit ohne Krankheitszeichen von durchschnittlich 30 Monaten auf 44 Monate verlängern. Tumorvakzine werden wahrscheinlich künftig andere Verfahren im Sinne einer multimodalen Therapie ergänzen und vielleicht sogar prophylaktisch bei Hochrisikopatienten angewandt werden.





(nsi)





(eb)
Ihr Newsletter zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Therapie

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Medizinischer Infusions-Tropf mit buntem Hintergrund

© Trsakaoe / stock.adobe.com

Hochdosis-Therapie

Vitamin C bei Infektionen und Long-COVID

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Maximale Vitamin-C-Blutspiegel nach oraler (blau) und parenteraler (orange) Tagesdosis-Gabe.

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Infusion

Parenterale Gabe erzielt hohe Plasmakonzentrationen an Vitamin C

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Porträts: [M] Feldkamp; Luster | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

© Portraits: [M] Feldkamp; Luster | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

„ÄrzteTag extra“-Podcast

Die Schilddrüse tickt in jedem Lebensalter anders

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main
Abb. 1: Studie DECLARE-TIMI 58: primärer Endpunkt „kardiovaskulärer Tod oder Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz“ in der Gesamtkohorte

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [4]

Diabetes mellitus Typ 2

Diabetes mellitus Typ 2 Präventiv statt reaktiv: Bei Typ-2-Diabetes mit Risikokonstellation Folgeerkrankungen verhindern

Sonderbericht | Beauftragt und finanziert durch: AstraZeneca GmbH, Hamburg
Patientenzentrierter Ansatz und europäische Produktion

© Springer Medizin Verlag

Unternehmen im Fokus

Patientenzentrierter Ansatz und europäische Produktion

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Advanz Pharma GmbH, München
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Neuer Verschlüsselungsalgorithmus in der TI

gematik verlängert Frist für Austausch der E-Arztausweise

Lesetipps
Mit einer eher seltenen Diagnose wurde ein Mann in die Notaufnahme eingeliefert. Die Ursache der Hypoglykämie kam erst durch einen Ultraschall ans Licht.

© Sameer / stock.adobe.com

Kasuistik

Hypoglykämie mit ungewöhnlicher Ursache

Die Glaskuppel zur Notfallreform: Zustimmung und Zweifel

© undrey / stock.adobe.com

Kolumne aus Berlin

Die Glaskuppel zur Notfallreform: Zustimmung und Zweifel