Neuer Zündstoff für Diskussion über Handy-Gefahr

MÜNCHEN (wst). Inwieweit die von Handys ausgehenden elektromagnetischen Felder gesundheitliche Risiken bergen, wird immer wieder kontrovers diskutiert. Vorläufige Ergebnisse einer von der Europäischen Union geförderten verblindeten in-vitro-Studie belegen nun DNS-Veränderungen.

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Am REFLEX-Projekt von Februar 2000 bis August 2003 haben zwölf überwiegend universitäre Forschergruppen aus sieben europäischen Ländern teilgenommen. Ziel war, den potentiellen Einfluß von elektromagnetischen Feldern niedriger Energie auf biologische Systeme mit in-vitro-Modellen zu ergründen.

Koordiniert hat das Projekt die Münchner VERUM-Stiftung für Verhalten und Umwelt. Der Internist Professor Franz Adlkofer, wissenschaftlicher Direktor der Stiftung, hat einige Mobilfunk-relevante Ergebnisse auf einer von den Grünen initiierten Anhörung im Bayerischen Landtag in München vorgestellt.

Wie Adlkofer berichtete, haben die Forscher im REFLEX-Projekt Kulturen menschlicher und tierischer Zellen, etwa Promyelozyten und Fibroblasten, elektromagnetischen Feldern ausgesetzt. Sie entsprachen in ihrer Stärke denen, die bei einem Handytelefonat auf den Kopf einwirken.

Dabei gelangten die Arbeitsgruppen trotz unterschiedlicher Nachweismethoden zum weitgehend gleichen Ergebnis: Je nach Expositionsdauer und Expositionsintensität kam es unterhalb des für Handys geltenden SAR (Spezifische Absorptionsrate)-Grenzwertes von zwei Watt pro Kilogramm zu einem signifikanten Anstieg von Einfach- und gefährlicheren - weil mit mehr Reparaturkomplikationen behafteten - Doppel-DNA-Strangbrüchen.

Wie die DNA-Strangbrüche entstehen, ist noch unklar. Es scheint aber, daß durch die elektromagnetische Strahlung vermehrt freie Radikale produziert werden, die dann offensichtlich eine Schlüsselrolle bei den Strangbrüchen haben. Denn in Zellkulturen, denen der Radikalenfänger Vitamin C zugesetzt worden war, gab es kaum Strangbrüche. Die Raten waren dann unter Exposition ähnlich niedrig wie in den unbestrahlten Kontrollzellkulturen, so Adlkofer.

Eine 24-stündige intermittierende Feldbelastung (steter Wechsel von fünf Minuten an und zehn Minuten aus) löste offensichtlich mehr DNA-Schäden aus als eine gleich lange kontinuierliche Exposition.

Daß die DNA-Schäden zumindest unter in-vitro-Bedingungen von den bestrahlten Zellen nicht problemlos repariert werden können, belegen Chromosomenanalysen Wiener REFLEX-Forscher. Sie fanden einen signifikanten Anstieg von Chromosomenveränderungen wie Spalten, Brüchen, azentrischen und dizentrischen Chromosomen in den exponierten im Vergleich zu nicht exponierten Zellkulturen.

Adlkofer räumte ein, daß die in-vitro-Befunde nicht auf in-vivo-Verhältnisse übertragen werden können. Möglicherweise ist in komplexeren biologischen Systemen die Toleranz gegen elektromagnetische Felder oder die reparative Kompetenz gegen deren biologische Auswirkungen größer als in isolierten Zellkulturen.



STICHWORT

EU-gefördertes Forschungsprogramm REFLEX

REFLEX ist der Kurzname für das von der EU im 5. Rahmenprogramm geförderte Forschungsvorhaben "Risk Evaluation of Potential Environmental Hazard from Low Energy Electromagnetic Field Exposure Using Sensitiv in vitro Methods". Beteiligt sind die Universitäten Bologna, Bordeaux, Mailand, Wien, Zürich, Berlin und Hannover sowie fünf nichtuniversitäre Forschungszentren.

Um den Einfluß subjektiver Erwartungen der Untersucher auszuschließen, wurde für die Expositionsversuche von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich unter Leitung von Professor Niels Kuster ein spezielles System entwickelt: Ein Computer entschied nach dokumentiertem Zufallscode, welche von jeweils zwei mit identischen Zellkulturen bestückte Expositionskammern bestrahlt wurden und welche als Kontrolle dienten.

Der Wahlcode wurde den Forschern immer erst zugänglich gemacht, nachdem sie die molekularbiologischen Analysen abgeschlossen hatten. Ursprünglich sollte Brüssel den von Adlkofer geschriebenen Ergebnisbericht des REFLEX-Projektes noch im letzten Jahr veröffentlichen.

Eine industrienahe Forschergruppe wollte jedoch das Resümee des Projektkoordinators nicht mit tragen, weshalb Brüssel weiteren internen Diskussionsbedarf eingeräumt hat. Die komplette offizielle Veröffentlichung des Ergebnisberichtes wird nun voraussichtlich im Sommer diesen Jahres erfolgen.

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