Neuroimplantate werden bei Zwangserkrankungen erprobt

BERLIN (gvg). Nach den Erfolgen bei Morbus Parkinson wird der Nutzen der tiefen Hirnstimulation jetzt auch bei psychiatrischen Erkrankungen erprobt. Ein Ethikkomitee der Europäischen Union mahnt allerdings zur Vorsicht.

Veröffentlicht:

Die Frage, bei wem Neuroimplantate, die die elektrische Aktivität von Nervenzellen modulieren, eingepflanzt werden sollten und bei wem besser nicht, sei eine Frage von hoher ethischer Brisanz, betonte Professor Eve-Marie Engels, Mitglied des Nationalen Ethikrats, auf einer Veranstaltung des Gremiums in Berlin. Der Grund: Der Übergang zwischen Therapie und einer gezielten Veränderung der geistigen Leistungsfähigkeit oder auch Überwachung ist unter Umständen fließend.

Der Neurochirurg Professor Marcos Tatagiba von der Universität Tübingen machte das an einem aktuellen Beispiel deutlich: Die tiefe Hirnstimulation, die bei Morbus Parkinson zu einer Verbesserung der Symptomatik führen kann, wird jetzt auch bei Patienten mit Zwangserkrankungen erprobt.

Bei diesen Patienten kann bei hoher Suizidgefahr durch Stimulation im limbischen System die Symptomatik gebessert und die Gemütslage aufgehellt werden. Aber auch andere Neuroimplantate, etwa Stimulatoren des Nervus vagus, wirken positiv auf die Gemütslage und werden zum Teil bereits bei Depression genutzt.

Doch wie wird die Grenze gezogen zwischen einer medizinisch indizierten Implantation und einer Implantation, die nur auf eine aus welchen Gründen auch immer gewünschte Verbesserung oder Veränderung der Hirnaktivität und damit der Persönlichkeit abzielt? Tatagiba plädiert dafür, diese Entscheidungen, die künftig häufiger nötig werden, als Einzelfallentscheidungen gemeinsam mit Ethikräten zu fällen.

Dem schloß sich auch der Philosoph Professor Rafael Capurro an, der an einer Stellungnahme mitgearbeitet hat, die die internationale "European Group on Ethics" (EGE) kürzlich im Auftrag der EU-Kommission vorgelegt hat.

Darin wird als Richtlinie empfohlen, Neuromodulationen zur Verbesserung der Hirnfunktion in der Medizin solange als zulässig anzusehen, wie sie darauf abzielen, die Hirnfunktion in einen für die Bevölkerung als normal angesehenen Bereich zu bringen, nicht aber darüber hinaus. Verboten werden sollten sämtliche Versuche, Neuroimplantate zur Überwachung oder Steuerung von Personen einzusetzen, so Capurro.

Die EGE-Stellungnahme im Internet: http://europa.eu.int/comm/european_group_ethics/docs/avis20compl.pdf

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Forschung muß möglich sein

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Aktive schubförmige Multiple Sklerose

Serum-Neurofilament-Leichtketten: Nutzen für die Praxis

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg

Posttraumatische Belastungsstörung

LMU entwickelt hausärztliche Schnelltherapie für PTBS-Patienten

Diabetes und Depression

Duale Reha: „Ein Diabetes kann vielfältige Ängste auslösen“

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Leitartikel zur „work and stay“-Agentur

Fachkräftegewinnung: Schwarz-Rot ist auf dem richtigen Weg

Anreiz mit falscher Wirkung

Hausärzteverband: „Praxen werden geflutet mit unnötigen Arztbesuchen“

News per Messenger

Neu: WhatsApp-Kanal der Ärzte Zeitung

Lesetipps
Pneumokokken-Impfung: Wann und mit welchem Impfstoff auffrischen?

© Porträt: privat | Spritze: Fied

Sie fragen – Experten antworten

Pneumokokken-Impfung: Wann und mit welchem Impfstoff auffrischen?

Auf einem Kalender liegen eine Spritze und ein Reisepass.

© Henrik Dolle / stock.adobe.com

Von Gelbfieber bis Tollwut

Diese Besonderheiten bei Reiseimpfungen sollten Sie kennen