Schokolade - süße Versuchung mit gesunder Nebenwirkung?

Vorgestern mittag ist er zu Ende gegangen, der Jahreskongreß der European Society of Cardiology in München. Etwa 25 000 Teilnehmer hat er gehabt, die meisten von ihnen Ärzte und Forscher. Was haben sie mit nach Hause genommen? Viele neue und alte Antworten und noch mehr alte und neue Fragen. So ist halt Wissenschaft. Eine der Fragen - zugegeben, nicht gerade die wichtigste für die tägliche Praxis, aber doch eine irgendwie beunruhigende fürs Leben: Was lernen wir aus der Sache mit der Schokolade?

Von Hagen Rudolph Veröffentlicht:

"Danke für Ihren süßen Vortrag!", sagte der Vorsitzende, und die 30 bis 40 Kardiologen im Saal lächelten vor sich hin. Denn es ging zwar um so etwas Ernsthaftes und Unerfreuliches wie Bluthochdruck und Hyperlipidämie als sich gegenseitig verstärkende Risikofaktoren für eine Koronare Herzkrankheit, oder um so etwas Irritierendes wie die Lipoprotein-assoziierte Phospholipase A2, die einerseits Entzündungsvorgänge hemmt andererseits aber womöglich auch verursacht. Aber gerade hatte endlich einmal ein Redner eine erfreuliche Mitteilung gemacht. Schokolade senkt den Blutdruck, hatten er und einige Kollegen mit einer kleinen Studie gezeigt. Um immerhin 5,8 mmHg.

Seit einigen wenigen Jahren gibt es immer wieder versprengte Nachrichten, wonach die als dick machend und überhaupt als ungesund geltende Schokolade doch auch ein paar gute Wirkungen haben könnte. Schokolade wirkt antidepressiv, ist zum Beispiel solch eine Nachricht.

Kardiologen haben Schokolade als Thema entdeckt

Nun haben auch die Kardiologen das Thema entdeckt. Vor einem Jahr schon hatte "JAMA", das Journal der American Medical Association, von einer Experimental-Studie berichtet, wonach mit dunkler Schokolade bei alten Leuten mit Bluthochdruck der systolische Druck um 5,1 mmHg und der diastolische um 1,8 mmHg gesenkt werden kann. Allerdings mußten die Probanden 100 Gramm pro Tag, also eine normale Tafel, essen, um diese Wirkung zu erzielen. Und die Probanden der Kontrollgruppe mußten weiße Schokolade essen. Sie schafften da pro Tag nur 90 Gramm.

Beim Kongreß der European Society in München sind zwei weitere Schokolade-Studien präsentiert worden. Eine stammt aus Griechenland, die andere aus den Niederlanden.

Bei den Griechen ging es allerdings nicht um Blutdruck, sondern um das Endothel, das seit Jahren bevorzugtes Studienobjekt bei Kardiologen ist. Denn praktisch alle Herz-Kreislauf-Probleme scheinen irgendwie mit einer Dysfunktion dieser Zellschicht zusammenzuhängen, mit der die Innenwände der Gefäße ausgekleidet sind.

Grundgedanke der griechischen Wissenschaftler um Charalambos Vlachopoulos von der Universität Athen: Kakao, der Hauptbestandteil der Schokolade, ist reich an Flavonoiden. Die wirken als Antioxidantien, die die freien Radikalen im Blut einfangen, von denen das Endothel ständig angegriffen und beschädigt wird. Mit Schokolade müßte sich demnach die Endothelfunktion verbessern lassen.

Also haben sie Probanden für eine Studie mit dunkler, süß-bitterer Schokolade gefüttert. Mit dunkler Schokolade deshalb, weil die im Vergleich zu normaler Milchschokolade mehr Kakao enthält und damit mehr Flavonoide. Als Studienmedikament wurde "Nestle Noir intense" gewählt, die zu 74 Prozent Kakao enthält (in Deutschland nicht auf dem Markt).

Für eine randomisierte, einfach blinde, Placebo-kontrollierte Crossover-Studie wurden 17 gesunde Freiwillige angeworben (mittleres Alter: 29 Jahre), und in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Probanden der einen Gruppe mußten 100 Gramm Schokolade essen, die anderen 100 Gramm Placebo. Am nächsten Tag wurde getauscht. Die Placebo-Gruppe war jetzt Verum-Gruppe.

Wie Schokoladen-Placebo aussieht und schmeckt, darüber verrät Charalambos Vlachopoulos in einem Beitrag, den er zum Kongreß zusätzlich zu seinem Wissenschafts-Poster extra noch für die Presseabteilung der europäischen Kardiologen geschrieben hat, nichts. Aber immerhin wußten zumindest die Forscher nicht, ob der jeweilige Proband, bei dem sie die Endothelfunktion zu ergründen versuchten, gerade auf Placebo oder auf Schokolade war.

Gemessen wurde mit Ultraschall. Einmal vor der Schokolade und dann drei Stunden lang nach der Schokolade jede halbe Stunde. Innerhalb von einer halben Stunde besserte sich die Endothelfunktion in statistisch signifikantem Ausmaß (p < 0,001). Die Verbesserung hielt mindestens drei Stunden an.

Bei der anderen Studie, der aus den Niederlanden, ging es ähnlich wie bei der Studie aus dem "JAMA" um Bluthochdruck.

Bei 470 Männern im Alter zwischen 68 und 84 Jahren wurde der Schokolade-Konsum in Beziehung gesetzt zu den Druckwerten. Die Männer stammen alle aus dem Ort Zutphen in Holland, hatten keine chronische Krankheit und bekamen keine Hochdruck-Medikamente. Es wurden drei Gruppen gebildet:

  • keine Schokolade
  • wenig Schokolade, im Mittel drei Gramm pro Tag
  • etwas mehr Schokolade, im Mittel 13 Gramm pro Tag

Die Männer der Verumgruppen aßen allerdings nicht immer wirklich Schokolade. Gewertet und verrechnet wurden alle Nahrungsmittel mit Kakao- oder Schokolade-Gehalt. Was die geringen Werte erklärt. Ein täglicher gezielter Konsum von beispielsweise drei Gramm würde vermutlich nicht ohne Probleme bei Darreichungsform und Dosierung sein.

Das Ergebnis war jedenfalls, wie Brian Bujisse aus Bilthoven in Holland beim Kongreß in München berichtete, ähnlich gut wie in der JAMA-Studie. Und das, obwohl nicht gleich jeden Tag eine ganze Tafel verdrückt wurde. Im Vergleich zu den Männern ganz ohne Schokolade war der systolische Druck bei den Holländern mit 13 Gramm Schokolade um 5,8 mmHg niedriger. Was als statistisch signifikant errechnet wurde. Nicht signifikant, aber immerhin als Trend in die richtige Richtung erkennbar, war der Unterschied beim diastolischen Wert. Da lag er bei 1,7 mmHg.

Was ist aus all dem zu schließen? Seine Ergebnisse, sagt der Grieche Charalambos Vlachopoulos, "sind sehr bedeutsam, weil die Endothelfunktion ein Spiegel des gesamten kardiovaskulären Systems ist." Der Holländer Brian Bujisse nennt als Conclusio nur die Zusammenfassung seiner Daten: "Der Konsum geringer Mengen von Schokolade ist assoziiert mit einer Verringerung des systolischen Blutdrucks bei älteren Männern", was ihm immerhin das Lob mit dem "süßen Vortrag" eingebracht hat.

Handlungshinweise für Prävention und Therapie sind das natürlich noch nicht. Sollte man sich, in Anlehnung an die Studie der Griechen, alle drei Stunden zu einer Tafel Schokolade zwingen? Das würde 800 Gramm pro Tag und 292 Kilogramm pro Jahr ausmachen. Zur Zeit liegt der durchschnittliche Schokolade-Jahreskonsum pro Person in Deutschland bei 8,2 Kilogramm.

Nimmt man die Holländer zum Vorbild, würde man mit knapp fünf Kilo im Jahr auskommen. Diese Menge haben wir bereits zu über 60 Prozent überschritten. Heißt das, daß unser Blutdruck schon Schokolade-gesenkt ist, und zwar viel mehr als um 5,8 mmHg? Immerhin hatten die Holländer festgestellt, daß es in den drei Gruppen ihrer Studie eine lineare Dosis-Wirkung-Beziehung gibt - nach dem Muster: Mehr bringt mehr.

Herzschutz durch Schokolade ist weiterhin nicht belegt

Was also lernen wir aus der Schokoladen-Angelegenheit der europäischen Kardiologen. Daß "noch nicht ausreichend Forschungsergebnisse vorliegen, um klar sagen zu können, daß Schokolade die Gefährlichkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wirklich reduzieren kann", sagt Professor Eckart Fleck, der Direktor der Abteilung für Kardiologie am Deutschen Herzzentrum in Berlin. Bis wir mehr wissen, könne man die Schokolade "als etwas Genüßliches sehen, das eventuell auch die Herzgesundheit unterstützt".

So könnte es gehen. Wir haben zwar noch nichts gelernt, aber wir haben zumindest eine wissenschaftlich fundierte Entschuldigung bekommen. Das senkt den Streß beim nächsten Schokoladenkuchen.

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