Neue Analyse

Welches Antikoagulations-Regime bei COVID-19?

Therapeutisch oder prophylaktisch, Heparin oder NOAKs? Welches Antikoagulations-Regime sich für COVID-19-Patienten am besten eignet, ist noch immer unklar. Eine neue Analyse zeigt nun zumindest Tendenzen auf.

Von Veronika Schlimpert Veröffentlicht:
Patienten, die eine Antikoagulation erhalten hatten, mussten in einer neuen Studie seltener mechanisch beatmet werden. Für eine endgültige Schlussfolgerung zur Frage des optimalen Antikoagulations-Regimes ist es aber noch zu früh.

Patienten, die eine Antikoagulation erhalten hatten, mussten in einer neuen Studie seltener mechanisch beatmet werden. Für eine endgültige Schlussfolgerung zur Frage des optimalen Antikoagulations-Regimes ist es aber noch zu früh.

© patrikslezak/ stock.adobe.com

New York. Die Antikoagulations-Regime bei COVID-19-Patienten unterscheiden sich je nach Klinik deutlich. Der Grund: Es gibt noch keine harte Evidenz, von welchem Antikoagulans, in welcher Dosis und welcher Dauer die Patienten am meisten profitieren. Ärzte vom Mount Sinai Health System in New York haben nun erneut mit einer retrospektiven Untersuchung versucht, mehr Klarheit in diese Angelegenheit zu bringen. Bereits vor wenigen Monaten hatte dieselbe Gruppe vorläufige Ergebnisse publiziert, die andeuteten, dass eine therapeutische Antikoagulation die Überlebenschancen von SARS-CoV-2-infizierten Patienten erhöhen könnte.

Die neue Analyse erweitert die ersten Ergebnisse um weitere Patientendaten und Autopsiebefunde. Daten von insgesamt 4389 Patienten haben Professor Girish Nadkarni und Kollegen dafür analysiert (JACC 2020; online 26. August). Knapp die Hälfte der Patienten (44,6 Prozent) hatte während ihres Klinikaufenthaltes eine prophylaktische Antikoagulation erhalten, jeder fünfte (20,5 Prozent) eine therapeutische und 34,9 Prozent blieben ohne antithrombotische Behandlung.

Beide Antikoagulations-Regime, therapeutisch wie prophylaktisch, waren mit einem um etwa 50 Prozent signifikant geringerem Risiko assoziiert, in der Klinik zu sterben, im Vergleich zu keiner Antikoagulation (adjustierte Hazard Ratio, aHR: 0,53 und 0,50). Auch mussten die so behandelten Patienten verhältnismäßig seltener intubiert und mechanisch beatmet werden (aHR: 0,69 und 0,72).

Tendenzieller Vorteil für therapeutische Dosierung

Vergleicht man beide Dosierungen, scheint die therapeutische einen tendenziellen Vorteil mit sich zu bringen, wenn man nur die innerhalb von 48 Stunden nach Klinikaufnahme begonnenen Behandlungen zählt. Die höhere Dosierung ging mit einem um 14 Prozent geringerem Sterberisiko einher – nach Adjustierung auf diverse klinische Charakteristika; die Signifikanz wurde jedoch knapp verfehlt (aHR: 0,86; p=0,08). Bezüglich der Intubations-Häufigkeit gab es keine Unterschiede zwischen beiden Regimen.

Bei Betrachtung der einzelnen Substanzen scheint bei prophylaktischem Einsatz niedermolekulares Heparin einen gewissen Vorteil bezüglich des Sterberisikos gegenüber unfraktioniertem Heparin zu haben, berichten die Autoren in der Publikation, ohne genauere Angaben zu machen. Bei der therapeutischen Behandlung könnten die NOAKs einen gewissen Vorsprung im Vergleich zu niedermolekularen Heparinen haben, auch Blutungskomplikationen waren unter den direkten Antikoagulanzien vergleichsweise seltener (1,3 Prozent vs. 2,6 Prozent).

Allerdings können aus dieser rein deskriptiven Analyse keine Schlussfolgerungen gezogen werden, relativieren die Autoren der Studie den Wert dieser Daten.

Schwere Blutungskomplikationen waren generell selten (insgesamt 2 Prozent), aber wie zu erwarten etwas häufiger mit der therapeutischen Dosierung als mit der prophylaktischen (3,0 Prozent vs. 1,7 Prozent).

Endgültige Schlussfolgerung nicht möglich

Bei 26 vorgenommenen Obduktionen stellten die Pathologen in 42 Prozent der Fälle eine thromboembolische Erkrankung fest, die bis auf einen Fall vor dem Tod des Patienten aus klinischer Sicht nicht bekannt oder zu erwarten war. Durch die rein klinische Beurteilung könne die tatsächliche Häufigkeit thromboembolischer Komplikationen womöglich unterschätzt werden, schlussfolgern die Ärzte aus New York aus diesen Befunden. Die meisten dieser Patienten (8 von 11) hatten keine therapeutische Antikoagulation erhalten.

Aufgrund ihres retrospektiven Designs wird auch diese Studie die Frage nach dem optimalen Antikoagulations-Regime bei COVID-19-Patienten nicht definitiv beantworten können. Die Gefahr für Verzerrungen ist groß. Und so verwundert es nicht, dass eine andere retrospektive Analyse, allerdings bisher nur die Preprint-Version, zum gegenteiligen Schluss gekommen war: Hier war eine therapeutische Antikoagulation bei COVID-19-Patienten sogar mit einer höheren Sterblichkeit assoziiert gewesen. Eine Klärung kann also nur eine randomisierte Studie bringen, die es bisher noch immer nicht gibt.

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