Barmer-Position

Ambulantisierung: Neue Klinikplanung muss parallel erfolgen

Will man die Ambulantisierung vorantreiben, muss eine veränderte Krankenhausplanung auf den Tisch, sagt Baden-Württembergs Barmer-Chef Winfried Plötze. Er wirbt für die Umwidmung statt Schließung vor allem kleinerer Landkrankenhäuser.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Bei einem gestuften und überlegten Ausrollen der Ambulantisierung werden alle Beteiligten „gute Lernerfahrungen machen und keine Bauchlandung“: Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer der Barmer in Baden-Württemberg.

Bei einem gestuften und überlegten Ausrollen der Ambulantisierung werden alle Beteiligten „gute Lernerfahrungen machen und keine Bauchlandung“: Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer der Barmer in Baden-Württemberg.

© Barmer LV BaWue

Stuttgart. Über mehr Ambulantisierung kann nicht sinnvoll diskutiert werden, ohne die Folgewirkungen für die gesamte stationäre Versorgung mitzudenken, sagt Winfried Plötze, Leiter der baden-württembergischen Landesvertretung der Barmer. „Ich werbe dafür, über das Thema im Rahmen der Landeskrankenhausplanung zu diskutieren, wobei das Sozialministerium mit ins Boot geholt werden sollte“, sagte Plötze im Gespräch mit der Ärzte Zeitung.

Er plädiere dafür, dem im SGB V verankerten Grundsatz „ambulant vor stationär“ wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Das Thema müsse schon allein vor dem Hintergrund der Mittelknappheit diskutiert werden – „knapper Ressourcen an ärztlichem und pflegerischem Personal“. Und dieser Ressourceneinsatz sei nun einmal im Krankenhaus in der Regel höher als bei einem ambulanten Eingriff.

Anfang April hatte das IGES-Institut ein Gutachten vorgelegt, wonach mehr als 2470 medizinische Leistungen und Prozeduren grundsätzlich Potenzial für eine Ambulantisierung bieten würden. Darunter sind 1482 OPS-Codes für Operationen, 546 bei diagnostischen Maßnahmen oder 164 OPS zur bildgebenden Diagnostik. Diese kämen zu den bereits vorhandenen rund 2880 Leistungen im bisherigen AOP-Katalog hinzu. Die Zahl der Leistungspositionen würde sich somit um rund 86 Prozent erhöhen.

32 Prozent der Klinikaufenthalte dauern maximal zwei Tage

Die Barmer habe in ihren Berechnungen einen defensiveren Ansatz gewählt und gehe von einem Ambulantisierungspotenzial von neun bis elf Prozent aller stationären Fälle aus, erläuterte Plötze. Ein wichtiger Faktor sei hier das Altersprofil der Bevölkerung. Hoch gilt das Potenzial für stationsersetzende Leistungen insbesondere bei Verweildauern von bis zu zweieinhalb Tagen im Krankenhaus.

Nach Angaben des Statistischen Landesamts im Südwesten verbrachten im Jahr 2019 16 Prozent der Patienten nur einen Tag im Krankenhaus. Bei weiteren 16 Prozent waren es zwei Tage Aufenthalt. Das Volumen einer möglichen Ambulantisierung – nicht das Einsparpotenzial – beläuft sich für die Barmer-Versicherten bundesweit auf rund 440 Millionen Euro. Auf die GKV hochgerechnet, ergäbe sich nach Angaben von Plötze ein Volumen von fünf bis sechs Milliarden Euro pro Jahr.

Es gehe bei der Ambulantisierung ausdrücklich nicht um eine Abrissbirne für den stationären Sektor – im Gegenteil, betont Plötze. „Wir brauchen auch die kleinen und mittelgroßen Krankenhäuser im ländlichen Raum. Ich sehe eine Chance für solche Häuser, sich auf ambulante Operationen zu spezialisieren, komplexe Eingriffe aber an Häuser der Maximalversorgung abzugeben“, berichtet der Barmer-Landeschef.

Kliniken sollten Potenziale der Ambulantisierung ausloten

Plötze nimmt allerdings noch Differenzen wahr: „Krankenhäuser sehen bisher ambulante Operationen vor allem im stationären Setting. Aus Sicht der Barmer ist dagegen eine ambulante, regionale Struktur nötig.“ Doch verfechte er kein Schwarz-Weiß-Denken, betont er: „Am Ende des Tages sind regionale, gut erreichbare Einrichtungen entscheidend, die eine hohe Versorgungsqualität bieten.“ Er halte es daher für wichtig, jedem Krankenhaus die Chance zu geben, „für sich selbst die Potenziale der Ambulantisierung auszuloten“.

KBV, GKV-Spitzenverband und Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) waren in den vergangenen Monaten damit beschäftigt, die Feinheiten für einen Fahrplan für die Ambulantisierung abzustimmen. Ende Juni hatten sich KBV und GKV-Spitzenverband dann auf Eckpunkte zur Ausweitung des ambulanten Operierens verständigt, die jedoch nicht veröffentlicht wurden. Nach KBV-Angaben sollen „in einer ersten Stufe“ bestimmte ambulante Op-Leistungen ab 1. Januar 2023 mit zusätzlich rund 60 Millionen Euro gefördert werden. Im Schnitt erhöhe sich das Honorar für diese Leistungen um rund 30 Prozent, hieß es.

Parallel dazu hat der GKV-Spitzenverband einen Stufenvorschlag für die Umsetzung eines erweiterten AOP-Katalogs vorgelegt. Im Fokus stehen dabei einerseits die Kontextprüfung – hier wird die Begründbarkeit einer stationären Operation definiert – sowie andererseits die schweregraddifferenzierte Vergütung. Im letzteren Fall geht es um die Abbildung des zusätzlichen perioperativen Betreuungs- und postoperativen Nachsorgebedarfs im Fall einer ambulanten Operation.

Barmer schlägt Stufenmodell für Vergütung vor

Plötze zeigt sich überzeugt, dass bei einem gestuften und überlegten Ausrollen der Ambulantisierung alle Beteiligten „gute Lernerfahrungen machen und keine Bauchlandung“. So würden die Krankenhäuser dabei erfahren, dass „sie dadurch neue Versorgungskapazitäten in der Pflege gewinnen können“. Bis dahin müssen aber noch zentrale Vergütungsfragen geklärt werden: „Eine Vergütung, die im ambulanten Bereich so hoch ist wie bisher im Krankenhaus – diese Rechnung geht nicht auf“, sagt der Leiter der Barmer-Landesvertretung.

Die Kasse hat ein Stufenmodell vorgeschlagen, bei der eine Basisvergütung für die medizinische Grundleistung gezahlt würde. „Hinzu würden Zuschläge kommen – etwa für pflegerische Leistungen, für Schweregrade oder auch Zuschläge für Überwachungsbetten“, erläutert Plötze.

Aus Berlin habe er bisher keine Signale vernommen, welche Form der Vergütung in der Ampel-Koalition künftig für ambulante Operationen angedacht ist, berichtet er. „Ein bloßes Abschlagsmodell, das allein von den DRG her gedacht ist, hielten wir nicht für sinnvoll“, stellt er klar.

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