Netzwerk ProBeweis

Niedersachsen stärkt Angebot für Gewaltopfer

In Deutschland ist etwa jede vierte Frau von Partnergewalt betroffen. Das niedersächsische Gesundheitsministerium will ihnen niedrigschwellig und kostenlos helfen, Beweise von Misshandlungen zu sichern.

Veröffentlicht:
An 45 Standorten in Niedersachsen können sich Betroffene von häuslicher Gewalt anonym Spuren abnehmen lassen.

An 45 Standorten in Niedersachsen können sich Betroffene von häuslicher Gewalt anonym Spuren abnehmen lassen.

© Miriam Dörr / stock.adobe.com

Hannover. Wer in Partnerschaften Gewalt erlebt, kann sich aus Angst oder Scham oft nicht sofort zu einer Strafanzeige durchringen. Das Netzwerk ProBeweis ermöglicht es Betroffenen, an 45 Standorten in Niedersachsen anonym und kostenlos Spuren von Ärztinnen und Ärzten sichern zu lassen. Dieses flächendeckende Angebot für Gewaltopfer wird nun gestärkt. Die Landesförderung werde im kommenden Jahr um rund ein Drittel auf 410.000 Euro aufgestockt, kündigte Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) am Mittwoch in Hannover an.

Wenn nach einer Vergewaltigung zu viel Zeit verstreicht und die Betroffene zu spät zu einem Gynäkologen geht, lassen sich zum Beispiel Spermaspuren nicht mehr finden. Auch Blutergüsse und Spuren anderer Verletzungen verblassen, wie die Leiterin des Netzwerkes, Anette Debertin, erläuterte. Debertin ist Oberärztin am Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Die anonym gesicherten Beweise werden in ihrem Institut gelagert. Falls später dann doch eine Anzeige gestellt wird und die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden werden, können die Beweise an die Ermittlungsbehörden herausgegeben werden.

Krankenkassen übernehmen erstmals die Kosten

Vom kommenden Jahr an übernehmen erstmals die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Spurensicherung. Dabei teilen sich die Kassen die Kosten nach Marktanteil. Personenbezogene Daten der Betroffenen würden nicht weitergeleitet, betonte Hanno Kummer, Leiter des Verbandes der Ersatzkassen (vdek) in Niedersachsen.

Lesen sie auch

In den vergangenen zwölf Jahren wurden landesweit bereits 1.707 vertrauliche Spurensicherungen vorgenommen. Bei etwa jedem zweiten Fall gehe es um Gewalt im häuslichen Kontext, sagte Debertin. Etwa fünf Prozent der Untersuchten seien Männer.

Die Betroffenen von häuslicher und sexueller Gewalt, die sich untersuchen lassen, müssen einwilligungsfähig sein. Ist diese Voraussetzung gegeben, könnten auch junge Frauen unter 18 Jahren ohne einen Erziehungsberechtigten kommen, sagte Debertin. Täter stammten ja teilweise aus der eigenen Familie.

Häusliche Gewalt immer noch ein Tabuthema

Im vergangenen Jahr wurden landesweit in 160 Fällen vertraulich Spuren in einer Ambulanz des Netzwerks ProBeweis gesichert. Seit Januar sind es dem Netzwerk zufolge bereits 129 Fälle. Das Land will das Angebot noch bekannter machen, denn häusliche Gewalt ist immer noch ein Tabuthema. Viele Betroffene erzählen davon nicht einmal im direkten Umfeld.

Nach der Statistik des Bundeskriminalamtes wurden 2022 in Deutschland 240 500 Menschen Opfer von häuslicher Gewalt und 157 500 Menschen Opfer von Partnerschaftsgewalt. „Die Dunkelziffer ist riesig hoch“, sagte MHH-Präsident Michael Manns. Studien zufolge ist in Deutschland jede vierte Frau von körperlicher beziehungsweise sexueller Gewalt betroffen, die von ihrem Partner ausgeht.

In der Pandemie sei die häusliche Gewalt noch einmal gestiegen, sagte MHH-Präsident Manns. Vor diesem Hintergrund müssten sich auch die Strukturen des Gesundheitssystems ändern. So seien die Themen häusliche Gewalt und sexuelle Gewalt in den Lehrplan des Medizinstudiums an der MHH aufgenommen worden. (dpa)

Mehr zum Thema

BARMER-Daten

Fast jeder zehnte Niedersachse mit Diagnose Asthma

MHH sucht Teilnehmer

Umfrage zu Auswirkungen von Medikamenten-Lieferengpässen

Das könnte Sie auch interessieren
Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

© Janssen-Cilag GmbH

Video

Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

Höhen- oder Sturzflug?

© oatawa / stock.adobe.com

Zukunft Gesundheitswesen

Höhen- oder Sturzflug?

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

Pflanzenzweige in Reagenzgläsern

© chokniti | Adobe Stock

PMS? Phytotherapie!

Evidenzbasierte Phytotherapie in der Frauenheilkunde

Packshot Agnucaston

© Bionorica SE

PMS? Phytotherapie!

Wirkmechanismus von Agnucaston® 20 mg

Mönchspfeffer Pflanze

© Lemacpro / AdobeStock

Phytotherapie bei PMS

Wissenschaftliche Kurzinformation zu Agnucaston® 20 mg

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

PPARδ-Agonist

Seladelpar zeigt Wirkung gegen primäre biliäre Cholangitis

Lesetipps
„Kein Krankenhaus kennt momentan seine Zukunftsperspektive“: Der unparteiische Vorsitzende des G-BA, Professor Josef Hecken.

© Rolf Schulten

Kritik an Regierungsplänen

G-BA-Chef Hecken: Ärzten droht Burn-out nicht vom Geldzählen!