Infektionskontrolle und Mutanten

Wie Forscher das Coronavirus überwachen wollen

Forscher regen ein weltweites Netzwerk zur Überwachung von SARS-CoV-2-Varianten an. So sollen Problemviren schnell erkannt und früh Gegenmaßnahmen entwickelt werden.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Die globale Verbreitung von SARS-CoV-2 im Blick: Infektiologen versuchen, Problemvarianten früh aufzuspüren.

Die globale Verbreitung von SARS-CoV-2 im Blick: Infektiologen versuchen, Problemvarianten früh aufzuspüren.

© rangizzz / stock.adobe.com

Neu-Isenburg. SARS-CoV-2 wird bleiben, davon sind Wissenschaftler überzeugt. Ebenso glauben Forscher, dass trotz hochwirksamer Impfstoffe immer neue Varianten des Virus den Menschen auch künftig erfolgreich infizieren werden. Grund ist die sogenannte „immune escape“: Weil es bei Viren generell hohe Mutationsraten gibt, werden immer wieder Mutanten der Erreger herausgemendelt, die das Immunsystem täuschen und die durch Infektion oder Impfung erworbenen Abwehrreaktionen umgehen können. Die Entstehung solcher Problemvarianten bleibt dabei eine permanente Gefahr.

Logische Konsequenz dieser Prämissen ist, dass in Zukunft ein weltweites Überwachungssystem für Varianten von SARS-CoV-2 nötig werden wird. Damit sollen neue Problemviren auch bei niedriger Inzidenz früh erkannt werden. So lässt sich darauf reagieren, etwa indem man Impfstoffe an die neue Gefahr anpasst.

Blaupause Influenza-Surveillance

Eine Blaupause dafür könnte das „Global Influenza Surveillance and Response System“ (GISRS) der WHO sein. In einem weltweiten Netz von Institutionen charakterisieren Wissenschaftler verschiedener Disziplinen die aktuell zirkulierenden Influenza-Subtypen und deren Ausbreitungswege, um Vorhersagen über Auftreten und Präventionsmaßnahmen zu treffen. Anhand der GISRS-Daten legt die WHO im jeweiligen Frühjahr der Nord- und der Südhalbkugel fest, wie die Influenza-Impfstoffe für den jeweils nächsten Grippewinter zusammengesetzt werden sollen.

Allerdings: Das System hat nur begrenzten Zugriff auf klinische Daten von Patienten, berichtet das Science Media Center (SMC) in einer Mitteilung dazu. Hinzu kommt: Die beteiligten globalen krankenhausbasierten Analysenetzwerke sowie die Labore, die einst stark unterstützt wurden, haben in den vergangenen Jahren unter schwindenden Investitionen gelitten, kritisiert das SMC.

Professorin Isabella Eckerle von der Abteilung für Infektionskrankheiten an der Universität Genf in der Schweiz sieht hier enormen Erweiterungsbedarf. Risiken für die Neuentwicklung von Problemvarianten gibt es besonders in armen Ländern mit wenig Zugang zu Impfstoffen, in denen gleichzeitig die Viren unkontrolliert zirkulieren, so die Infektiologin in der SMC-Mitteilung.

Mögliche Hotspots bereiten Sorgen

Genau in solchen möglichen „Hotspots“ fehlt es aber in der Regel an den nötigen Laborkapazitäten für eine Surveillance, warnt Eckerle. Vor allem auch, weil idealerweise eine Vollgenomsequenzierung vorgenommen werden sollte. Und: Welche Faktoren bei der Zirkulation von SARS-CoV-2 eine Rolle spielen, ist im Gegensatz zu Influenzaviren relativ unbekannt. Man müsse daher viel breiter und umfassender überwachen. Eckerle: „Risiken bestehen vor allem dort, wo niedrige Impfraten vorliegen und das Virus weiter in einer teil-immunen Bevölkerung zirkuliert“.

Dies kann ganze Länder mit wenig Zugang zu Impfstoffen umfassen oder aber bestimmte Bevölkerungsgruppen, die die Impfung ablehnen. Im Auge behalten sollte man auch Immunsupprimierte, die über lange Zeit das Virus ausscheiden und als potenzieller Ursprung neuer Varianten diskutiert werden.

Allerdings: Surveillance allein ist noch keine Infektionskontrolle. Das Monitoring neuer Varianten ist zwar wichtig, um diese möglichst frühzeitig zu erkennen und ihre Dynamik zu beschreiben. „Eine effektive Eindämmung kann aber nur stattfinden, wenn sich das Infektionsgeschehen in sehr niedrigen Inzidenzen bewegt“, betont Eckerle. Nur so ließen sich in Regionen mit Problemvarianten Kontakte nachverfolgen und Eindämmungsmaßnahmen ergreifen.

Günstig: Repertoire an Mutationen begrenzt

Die Crux bleibt eine breite Impfstoffversorgung in Entwicklungs- und Schwellenländern. Durch möglichst schnelle und breite Durchimpfung wird dem Virus weniger Gelegenheit gegeben, durch evolutionären Druck neue Varianten entstehen zu lassen, sagt Eckerle und sieht auch hoffnungsvolle Befunde: „Erfreulicherweise entstehen bei vielen SARS-CoV-2-Varianten unabhängig voneinander die gleichen Mutationen. Das Virus hat offenbar nur ein begrenztes Repertoire an Mutationen, um sich anzupassen.“

Werden zeitnah auch Impfstoffe entwickelt, die diese Mutationen abdecken, „könnte sich eine recht stabile Situation einstellen, in der das Auftreten weiterer und neuer Varianten ausgebremst wird.“

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