AMNOG: Bürokratiemonster oder Zusatznutzen?

An der frühen Nutzenbewertung scheiden sich die Geister: "Überregulierung", schimpfen Arzneimittelhersteller, "medizinischer Fortschritt", meinen Ärztevertreter. Sie hoffen, die Bewertung nimmt die Angst vor Regressen.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Dr. Theo Windhorst, Dr. Christoph Straub, Dr. Norbert Metke, Hannelore Loskill, Bärbl Mielich, Dr. Engelbert Günster, Professor Jürgen Windeler, Wolfgang van den Bergh

Dr. Theo Windhorst, Dr. Christoph Straub, Dr. Norbert Metke, Hannelore Loskill, Bärbl Mielich, Dr. Engelbert Günster, Professor Jürgen Windeler, Wolfgang van den Bergh

© Andreas Kastanja

STUTTGART. Die frühe Nutzenbewertung von neuen Arzneimitteln löst extrem gegensätzliche Bewertungen aus. Dieses durch das Arzneimittel-Neuordnungs-Gesetz (AMNOG) 2011 geschaffene Instrument wird einerseits als "Innovation mit Zusatznutzen" begrüßt, andererseits als "Monster" verdammt.

Diese weit auseinanderliegenden Einschätzungen haben die Teilnehmer der Podiumsdiskussion "Ein Jahr AMNOG - Auswirkungen auf die Versorgung mit Innovationen" vertreten, zu der das Landessozialministerium und der Pharmapolitische Arbeitskreis Bayern und Baden-Württemberg am Mittwoch nach Stuttgart eingeladen haben.

Für die niedergelassenen Ärzte begrüßte der baden-württembergische KV-Chef Dr. Norbert Metke die frühe Nutzenbewertung und die das AMNOG begleitenden Kostendämpfungsgesetze. "Endlich haften wir nicht mehr für den medizinischen Fortschritt", sagte Metke.

Zudem könnten Patienten künftig sicher sein, dass sie ein Medikament bekommen, das ihnen einen "echten Zusatznutzen" gewährt, meinte der KV-Chef.

"Monströser" Arbeitsaufwand

Weitaus skeptischer zeigte sich Hannelore Loskill von der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe. Ein Vorteil des AMNOG habe sich bis dato für die Patienten noch nicht eingestellt.

Sie nannte das Gesetz angesichts des Arbeitsaufwands für die Selbsthilfevertreter ein "Monster" und eine "Arbeitsbeschaffungsmaßnahme" für die Beschäftigten im IQWiG und im Gemeinsamen Bundesausschuss.

Zurückhaltend mit einer ersten Bewertung des AMNOG gab sich Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer GEK. Dafür sei es noch zu früh, sagte der Arzt. Er bezeichnete es als eine "Krankheit" im Gesundheitssystem, dass nicht abgewartet werde, bis eine neue Regelung ausreichend erprobt worden ist.

Ähnlich äußerte sich Westfalen-Lippes Kammer-Chef Dr. Theodor Windhorst, der die "Bank" der Ärzte im GBA mit repräsentiert. "Wir müssen erst lernen, mit diesem neuen Instrument zu spielen", sagte er.

Eindeutig enttäuscht zeigte sich dagegen Dr. Engelbert Günster, Deutschland-Chef von Boehringer Ingelheim. Das "aktuelle Erleben" sei aus Sicht der Industrie, dass das AMNOG ein Mehr an Regulierung bedeute: "Wir hätten uns mehr Wettbewerb gewünscht." Windhorst mahnte unterdessen "Fairness" bei allen Verfahrensbeteiligten an, um aktuelle Konflikte zu lösen.

Weniger Vorbehalte der Ärzte gegen Innovationen

Eine Bewährungsprobe für diesen Wunsch ist der Streit um die angemessene Vergleichstherapie. Mehrere Unternehmen haben in den vergangenen Monaten scharfe Kritik an entsprechenden Festlegungen durch den GBA geübt.

IQWiG-Leiter Professor Dr. Jürgen Windeler nannte den Streit ein "Problem der Übergangsphase". Er könne nachvollziehen, wenn Hersteller "mosern", weil sie bei Beginn der Zulassungsstudien eine andere Vergleichstherapie gewählt haben, als sie der Bundesausschuss bestimmt hat.

Es gebe im GBA Überlegungen, berichtete Windeler, die Vergleichstherapie gleich zu Beginn des Verfahrens verbindlich festzuschreiben. Bislang gibt ein GBA-Unterausschuss dazu nur eine Empfehlung ab. Windeler machte deutlich, dass das bisherige Verfahren aus seiner Sicht klüger sei.

Anderenfalls hätten Unternehmen keine Chance, mit noch so guten Argumenten im Laufe des Bewertungsverfahrens eine andere - für sie günstigere - Vergleichstherapie zu erreichen.

Barmer GEK-Chef Straub verwunderte einige Zuhörer mit der Feststellung, die bei diesem Streit zu treffenden Entscheidungen sollten "nicht in erster Linie vernünftig, sondern justiziabel sein". Dem hielt Günster als Vertreter der forschenden Hersteller entgegen, es gehe in diesem Prozess sehr wohl um Vernunft und Fairness.

Zweiter Streitpunkt: Preisfindung

Beides wird auch bei einem anderen Streitthema benötigt: Der Frage, mit welchen anderen Ländern Deutschland beim Prozess der Preisfindung für ein neues Medikament verglichen werden soll. Verhandlungen zwischen Herstellern und dem GKV-Spitzenverband sind dazu vergangene Woche gescheitert.

Günster nannte es eine "nicht unbillige Forderung" der Industrie, dass Deutschland mit Ländern mit ähnlicher Wirtschaftskraft verglichen werden sollte. Dagegen zeigte sich Barmer GEK-Chef Straub skeptisch, ob sich ein Vergleichskorb aus Ländern "normativ ableiten lässt".

KV-Chef Metke gab sich zuversichtlich, dass die frühe Nutzenbewertung dazu beitragen kann, die Skepsis gegenüber neuen Wirkstoffen "gerade bei älteren Ärzten" zu vermindern. Die "unspezifische Angst" vieler Ärzte bei der Verordnung neuer Medikamente mit Blick auf die Regressgefahr werde reduziert, wenn das IQWiG eine positive Empfehlung für ein neues Präparat abgibt, sagte Metke.

Das AMNOG, bilanzierte Kassen-Chef Straub, ist ein "Zwischenschritt" und wird modifiziert werden. Aber die frühe Nutzenbewertung sei nach vielen Jahren der Diskussion endgültig auf die Agenda gelangt: "Und von da wird sich auch nicht mehr verschwinden."

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