Bundestag hat entschieden

Aus für allgemeine Corona-Impfpflicht

Eine allgemeine Corona-Impfpflicht in Deutschland ist gescheitert. Aus den Ländern kommen bereits Rufe nach einem neuen Anlauf. Ärztevertreter sprechen von einer Entscheidung für die Selbstverantwortung der Bürger.

Von Thomas Hommel Veröffentlicht:
Die Einführung einer Corona-Impfpflicht ab 60 ist gescheitert, im Bundestag gab es am Donnerstag keine Mehrheit.

Die Einführung einer Corona-Impfpflicht ab 60 ist gescheitert, im Bundestag gab es am Donnerstag keine Mehrheit.

© Kay Nietfeld/dpa

Berlin. Eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus wird es in Deutschland vorerst nicht geben. Ein Kompromissvorschlag von Befürwortern einer solchen Verpflichtung für alle Über-60-Jährigen bei gleichzeitiger Pflicht zur Beratung Ungeimpfter konnte am Donnerstag keine Mehrheit im Bundestag erreichen.

Ob es einen erneuten Anlauf für die Impfpflicht geben wird, ist ungewiss. Für Kanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Professor Karl Lauterbach stellt das Scheitern des Antrags eine empfindliche Niederlage dar.

Beide SPD-Politiker hatten sich in der Vergangenheit für die Impfpflicht ausgesprochen. In der Aussprache am Donnerstag sagte Lauterbach, Impfung sei der beste Schutz vor schwerem Krankheitsverlauf und Tod. Deutschland dürfe sich nicht an 200 bis 300 Corona-Tote am Tag gewöhnen. „Wir haben heute die Möglichkeit, 90 Prozent der Todesfälle zu verhindern.“ Scholz selber griff nicht in die Debatte ein.

Empfindliche Niederlage für Scholz

Vorausgegangenen war der Entscheidung im Parlament eine von etlichen Zwischenrufen und Kurzinterventionen geprägte mehrstündige Debatte. Zur Auswahl standen mehrere, meist fraktionsübergreifende Vorschläge für eine Impfpflicht und Anträge, die eine solche als zu schweren Grundrechtseingriff ablehnen.

Über die Reihenfolge, in der über die Anträge abgestimmt werden sollte, war ebenfalls heftig gestritten worden. Die Ampel scheiterte hier – wenn auch äußerst knapp – mit dem Ansinnen, über den Antrag zur Impfpflicht ab 60 als letztes abstimmen zu lassen. Stattdessen kam dieser als der am „weitesten gehende“ Vorschlag als erstes an die Reihe. Das war von vielen als Fingerzeig auf den Ausgang der Entscheidung zur Impfpflicht gedeutet worden.

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Deren Ausgang war mit großer Spannung erwartet worden. Noch auf den letzten Metern hatten die Befürworter einer Ü-18-Impfpflicht und der für eine ab 50 bei vorgelagerter Beratung ihre Modelle zu einem Vorschlag zusammengemixt. Die Union beharrte darauf, mit ihrem Vorschlag für ein „Impfvorsorgegesetz“ den eigentlichen Kompromissweg aufgezeigt zu haben.

Union beharrte auf Zustimmung zu eigenem Vorschlag

Zunächst brauche es eine „belastbare“ Datengrundlage – ein Impfregister aufzubauen, müsse daher der „erste Schritt“ sein, sagte der CDU-Politiker Tino Sorge. Jetzt eine „pauschale“ Impfpflicht aufzulegen, die für den Herbst keine „Vorsorge“ schaffe, sei nicht zielführend.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte, die Ampel habe der Union stets die Tür für einen Kompromiss offengehalten. Diese Offerte sei nicht erwidert worden. Mützenich erinnerte auch daran, dass die 16 Regierungschefs der Länder den Bund aufgefordert hätten, ein Gesetz zur Impfpflicht vorzulegen.

Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Dr. Janosch Dahmen, sagte, eine Impfpflicht ab 60 wäre wirksam, rechtssicher und vernünftig. „Als Arzt möchte ich ihnen sagen, dass die Altersgrenze nicht willkürlich gewählt ist.“ Ungeimpfte in dieser Altersgruppe trügen das höchste Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf.

Die Union benehme sich bei einer Gewissensfrage höchst gewissenlos, weil sie das Thema parteitaktisch angehe. „Demokratie besteht nicht daraus, dass man einen wirkungslosen, halbherzigen Antrag in den Raum wirft, dann die Tür verschließt und nicht mehr ans Telefon geht.“

SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt (SPD) betonte, Ziel sei es gewesen, die Impfquote vor allem bei den besonders vulnerablen Gruppen zu schließen. Laut Impfdashboard des Bundes sind rund elf Prozent der Über-60-Jährigen in Deutschland ungeimpft.

Ullmann: Nichts tun ist wie Pokern

FDP-Vize Wolfgang Kubicki betonte dagegen, durch Impfung lasse sich keine Herdenimmunität erreichen. Eine Überlastung des Gesundheitswesens drohe voraussichtlich nicht, eine deutlich gefährlichere Variante im Herbst sei nicht das wahrscheinlichste Szenario. Es sei nicht die Aufgabe des Staates, erwachsene Menschen gegen ihren Willen zum Selbstschutz zu verpflichten.

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AfD-Fraktionschefin Alice Weidel nannte eine Impfpflicht verfassungsfeindlich, sie komme gar einer „totalitären Anmaßung“ gleich.

„Wir wollen keinen dritten Corona-Winter erleben“, hielt der FDP-Politiker und Infektiologe Professor Andrew Ullmann dagegen. „Wir wissen, die Welle kommt, aber wir kennen die Qualität nicht.“ Nichts zu tun, komme daher einem „Pokerspiel“ gleich.

Holetschek: Neuen Weg finden, der rechtssicher ist

Aus den Ländern kam unmittelbar nach der Entscheidung der Ruf, einen neuerlichen Kompromiss in Sachen Impfpflicht zu versuchen. „Es gilt, eine allgemeine Impfpflicht auf den Weg zu bringen, die sinnvoll und rechtssicher ist“, sagte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU).

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Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) zeigte sich enttäuscht, dass der Bundestag „nicht die Kraft gefunden hat, eine allgemeine Impfpflicht auf den Weg zu bringen“. Dies sei eine schwere Hypothek für den Herbst. „Aber wir machen weiter, klären auf und bleiben dran.“

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ordnete die Entscheidung als eine für die Selbstverantwortung der Bürger ein. „Das ist besser, als einen inhaltlich ohnehin kaum mehr zu begründenden politischen Kompromiss mit dem Etikett einer Impfpflicht durchzuboxen“, sagte KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen.

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