Hilfsmittel
Billig kann teuer werden
Der Hilfsmittelbedarf wird künftig steigen. Die Antwort darauf kann nicht allein Kostendämpfung sein, warnt der Industrieverband Spectaris.
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Fußorthese: Das Eingipsen ist zunächst preiswerter, eine Orthese verhindert aber den Muskelabbau, so der Verband Spectaris.
© Wolfgang Tischler / panthermedia
DÜSSELDORF. Bis zum Jahr 2050 wird der Bedarf an Hilfsmitteln deutlich steigen. Grund ist die zu erwartende Zunahme von Menschen, die aufgrund einer Krankheit behindert werden.
Die Krankenkassen sollten auf diesen Trend nicht einseitig mit Kostendämpfungsbemühungen reagieren, fordert Jan Wolter, Leiter des Fachverbands Medizintechnik im Industrieverband Spectaris.
"Wir müssen weg von der Debatte, dass die Ausgaben für Hilfsmittel nicht steigen dürfen", sagte Wolter anlässlich der Messe Rehacare in Düsseldorf.
"Eine gute Versorgung mit Hilfsmitteln hilft, Kosten in anderen Bereichen einzusparen." Wolter nannte das Beispiel des Fersenbeinbruchs. Die Versorgung der Patienten mit einer Orthese sei zwar zunächst teurer als das Eingipsen.
Da der Fuß aber viel schneller wieder voll belastbar sei und es nicht zum Muskelabbau komme, rechne sich die Investition. "Hier liegt ein Einsparvolumen von 80 Millionen Euro im Jahr", sagte er mit Verweis auf Erhebungen seines Verbands.
Spectaris hat gemeinsam mit der Unternehmensberatung kon.med aus Lünen eine Prognose zum Hilfsmittelbedarf im Jahr 2050 veröffentlicht.
Dafür haben sie sieben Patientenprofile erstellt, dort die Entwicklung der vergangenen Jahre betrachtet und auf Basis aktueller Daten den Versorgungsbedarf in die Zukunft hochgerechnet.
Die sieben Profile sind: bettlägerige, immobile, sehbehinderte und schwerhörige Patienten sowie Beatmungs-, Dialyse- und Schmerzpatienten.
Drängendes Problem: Festbetragskalkulation
"Meistens ist eine Krankheit die Ursache für eine Behinderung", sagte Wolters. Das mache die Prognose leichter, als wenn es um Unfälle ginge.
Nach der Prognose wird es 2050 rund 3,6 Millionen oder 16 Prozent mehr Menschen geben, die von einer mobilitätseinschränkenden Erkrankung betroffen sind und möglichen Bedarf an Hilfsmitteln wie Gehstöcken, Rollatoren oder Rollstühlen haben.
Bei den bettlägerigen Patienten rechnen die Autoren mit einem Zuwachs von 78 Prozent oder 1,5 Millionen Menschen. Auch bei den anderen Patientengruppen gehen sie von zweistelligen Steigerungsraten aus.
Wenn die Fallzahlen steigen, müssten bei gleichen Pro-Kopf-Ausgaben auch die Hilfsmittelbudgets größer werden, sagte Wolters. "Wenn die Pro-Kopf-Ausgaben zurückgehen, wird es gefährlich."
Das hätte Kostensteigerungen bei der ambulanten und der stationären Versorgung sowie den Arzneimitteln zur Folge.
Die Kalkulation der Festbeträge für Hilfsmittel sei aktuell eines der drängendsten Probleme für die Betroffenen, sagte der Geschäftsführer der BAG Selbsthilfe Dr. Martin Danner.
Die Bemessung der Summen sei unzureichend. So sei der GKV-Spitzenverband eigentlich verpflichtet, bei den Festbeträgen nicht nur den Preis des Hilfsmittels einzukalkulieren, sondern auch die angemessene Einweisung.
"Niemand fühlt sich zuständig, dafür den Bedarf zu erheben", kritisierte er. Wenn die Betroffenen das selbst übernehmen, würden die Ergebnisse als nicht belastbar zurückgewiesen.
Danner bezeichnete es als Skandal, dass sich nur diejenigen Patienten moderne Hörgeräte leisten könnten, die über angemessene Rücklagen verfügten. "Wir fürchten, dass es bei Weiterentwicklungen wie der Robotik dasselbe Spiel sein könnte", sagte Danner.