Biosimilars - das Leben lässt sich nicht kopieren

Im Arzneimittelmarkt hat eine Strukturveränderung begonnen, ähnlich wie die Entstehung von Generikamärkten vor 30 Jahren: Seit zwei Jahren gibt es die ersten Biosimilars. Doch die Hoffnung, dass Biosimilars einen so fulminanten Preiswettbewerb wie chemischen Generika entfachen, ist trügerisch.

Von Manfred Albring Veröffentlicht:
Die Wirkung von Biopharmazeutika - und ihre Risiken - hängt wesentlich vom Produktionsprozess ab.

Die Wirkung von Biopharmazeutika - und ihre Risiken - hängt wesentlich vom Produktionsprozess ab.

© Foto: dpa

Bereits im Jahr 2001 sind die ersten Patente für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel ausgelaufen (siehe Tabelle). Doch es hat nahezu sechs Jahre gedauert, bis die ersten Biosimilars (wie die Generika der Biopharmazeutika genannt werden) ihre Zulassung erhalten haben und auf den Markt gekommen sind.

Generika werden nur unter der Voraussetzung zugelassen, dass sie chemisch identisch sind und sich in ihrer Wirkung genau so verhalten wie das Originalpräparat. Bei den traditionellen Wirkstoffen handelt es sich dabei um kleine Moleküle mit definierten und stabilen chemischen Strukturen, für deren Charakterisierung und Analytik ein breites Spektrum an physikalisch-chemischen Techniken zur Verfügung steht.

Für Biologicals gilt: Der Prozess ist das Produkt

Es ist einfach, chemische Herstellungsprozesse zu standardisieren und nachzuweisen, dass sich Original und Generikum entsprechen. Daher war der Zulassungsaufwand für klassische Generika auch relativ gering. Die Kosten liegen je nach Wirkstoff und Präparat in der Größenordnung zwischen 0,5 und fünf Millionen US-Dollar - bei den Biologicals sind es 80 bis 120 Millionen Dollar..

Diese Zulassungslogik lässt sich nicht auf die hochmolekularen Proteine und insbesondere die hochmolekularen glykosylierten Proteine übertragen, die in lebenden Zellen hergestellt werden und einen komplexen, streng genormten Prozess erfordern, um die Synthese von Molekülvariationen zu vermeiden.

Während niedermolekulare Substanzen in den bisher "klassischen" Arzneimitteln ein Molekulargewicht von maximal 1 kDa (ein Gewichtsmaß, mit dem man die Größe von Molekülen angibt) aufweisen, variiert es bei Biopharmazeutika zwischen 5 kDa wie bei Insulin und mehr als 300 kDa. Außerdem handelt es sich bei Biopharmazeutika um vergleichsweise große Peptide oder Proteine mit komplexen dreidimensionalen Strukturen, die durch relativ schwache Wasserstoffbrückenbindungen stabilisiert werden und schon gegenüber geringen äußeren Einflüssen sehr empfindlich sind. So hängt zum Beispiel von der korrekten Struktur und Faltung des Proteins seine Fähigkeit ab, an zelluläre Rezeptoren zu binden und damit einen pharmakologischen Effekt auszulösen. Ob das Molekül in der gewünschten Konfiguration entsteht, hängt somit von einer intakten Wirtszelle und den erforderlichen Herstellungsbedingungen ab.

Daher galt von Anfang an bei biotechnologisch hergestellten Produkten der Leitsatz: "Der Prozess ist das Produkt". Denn die biologischen Mechanismen, die im Bioreaktor wirken, bis dann das erwünschte Produkt geerntet werden kann, sind weder gut bekannt noch im eigentlichen Sinn definierbar. Bei jedem einzelnen Herstellungsschritt ist das "Unsicherheitsprinzip der Biologie" gültig. So gilt die Arzneimittelzulassung auch nur für ein biotechnologisch hergestelltes Arzneimittel, das in einer genau spezifizierten und durch die Zulassungsbehörde abgenommenen Anlage hergestellt worden ist.

Nur potente Hersteller schultern den Aufwand

Biopharmazeutika sind empfindliche Arzneimittel. Sie funktionieren, indem sie spezifische erwünschte Antworten im Organismus induzieren - aber möglicherweise auch unerwünschte Antworten im Immunsystem. Bereits winzige Änderungen bei diesen Produkten können fatale Reaktionen hervorrufen.

In Anbetracht dieser potenziell schweren oder sogar lebensbedrohlichen klinischen Konsequenzen werden vor der Zulassung klinische Studien gefordert. Die Europäische Medizin-Agentur EMEA hat dazu ein strenges Reglement entwickelt.

Trotz dieser hohen Hürden ist eine Reihe von Generika-Herstellern, seit Ende der 90er Jahre das Risiko einer eigenen Produktentwicklung und Wirkstoffherstellung eingegangen. Ein Hauptmotiv dafür sind sowohl die hohen Wachstumspotentiale der Biologicals als auch die Tatsache, dass seit 2003 eine Reihe von Substanzen ihren Patentschutz verloren haben, die weltweit derzeit einen Jahresumsatz von 18 Milliarden Dollar auf sich vereinen. Dabei sind große Generika-Hersteller wie die Novartis-Tochter Sandoz, Stada, Ratiopharm und Teva besonders aktiv.

Noch spielen Biosimilars eine marginale Rolle. Dies könnte sich ändern. Erstens sind Biopharmazeutika generell auf dem Vormarsch: In den letzten zehn Jahren legten sie um 18 Prozent pro Jahr zu. Jedes dritte Medikament, das heute in der Forschungspipeline steckt, ist ein Bilogical.. Bereits 2007 setzten Biopharmaka weltweit 75 Milliarden US-Dollar um. Zudem verlieren etliche gentechnisch hergestellten Medikamente in den nächsten fünf bis sieben Jahren ihren Patentschutz.

Lesen Sie dazu auch: Biosimilars dämpfen das Wachstum

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