Widerspruchs- oder Zustimmungslösung?

Bundestag entscheidet über künftige Organspende-Regelung

Wie soll die Organspende in Deutschland künftig ausgerichtet werden? Darüber entscheidet der Bundestag am Donnerstag. Wir stellen die drei Optionen vor.

Thomas HommelVon Thomas Hommel und Anno FrickeAnno Fricke Veröffentlicht:

Berlin. Am Donnerstag (16. Januar) entscheidet der Bundestag über zwei fraktionsübergreifende Anträge zur künftigen Ausrichtung der Organspende in Deutschland.

Hinter der Einführung einer Widerspruchslösung stehen bislang 222 Abgeordnete, hinter der Entscheidungslösung 191. StimmbereBundestag entscheidet über künftige Organspende-Regelungchtigt sind insgesamt 709 Parlamentarier. Mit einem eigenen Antrag zieht die AfD in die Abstimmung im Bundestag.

Die Grundidee der doppelten Widerspruchslösung ist einfach: „Nach dem Gesetzentwurf gilt jede Person als Organ- oder Gewebespender, es sei denn, es liegt ein erklärter Widerspruch oder ein der Organ- oder Gewebeentnahme entgegenstehender Wille vor“, heißt es in dem Antrag von Karl Lauterbach (SPD), Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Georg Nüßlein (CSU) und Petra Sitte (Linke). Hinter dieser Idee haben sich bislang 222 Abgeordnete des Deutschen Bundestags versammelt.

Wer sich ausdrücklich zum Organspender erklären will, kann sich in ein Register aufnehmen lassen. Das soll voraussichtlich beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelt werden. Zugriff auf diese Daten sollen von den 1240 Entnahmekrankenhäusern bestellte Ärzte haben.

Doppelte Möglichkeit zum Widerspruch

Liegt kein dokumentierter Widerspruch vor, sind die Transplantationsmediziner in den Entnahmekrankenhäusern ausweislich dieses Gesetzentwurfs gleichwohl verpflichtet, weiter zu recherchieren. An dieser Stelle soll sich die Möglichkeit zum Widerspruch sozusagen doppeln.

Der Arzt soll dann den nächsten Angehörigen oder dem Verstorbenen nahestehende Vertrauenspersonen danach befragen, ob ihnen ein schriftlicher Widerspruch (zum Beispiel im Testament) oder ein der Organ-und Gewebespende entgegenstehender Wille (zum Beispiel aus religiös-weltanschaulichen Gründen) bekannt ist.

Gibt es keine solchen Widerstände, soll die Entnahme von Organen rechtens sein. Bei Menschen, die zu Lebzeiten nicht in der Lage sind, Wesen, Bedeutung und Tragweite einer Organspende zu erkennen, soll eine Organspende unzulässig sein. Auch dies haben die Ärzte im Entnahmekrankenhaus zu klären. Organspender sollen laut dem Entwurf alle Menschen ab einem Alter von 16 Jahren sein. Widerspruch können sie ab 14 Jahren einlegen, also wenn sie religionsmündig werden.

„Jeder wird es wissen“

Vor dem geplanten Start im Oktober 2022 will die Bundesregierung massiv zu den neuen Regelungen informieren. Die Krankenkassen sollen verpflichtet werden, binnen sechs Monaten ihre Mitglieder dreimal anzuschreiben, um ihnen mitzuteilen, dass sie ohne dokumentierten Widerspruch Organspender sind. „Jeder wird es wissen“, ist sich Mitinitiator Professor Karl Lauterbach sicher.

Die auf mindestens 325 Millionen Euro angesetzte Kampagne soll übrigens nicht auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung gehen, sondern auf Kosten des Steuerzahlers.

„Unsere parteiübergreifende Gruppe wirbt für einen Vorschlag, der die Organspendezahlen erhöht, das Recht auf die Unversehrtheit am eigenen Körper wahrt und zugleich zeitnah umsetzbar ist.“

Mit diesem Satz fasst Grünen-Chefin Annalena Baerbock das Ziel des Entwurfs für ein „Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ zusammen. Die auch als Zustimmungslösung bekannte Variante sieht vor, dass ein Bundesbürger der Organspende ausdrücklich zugestimmt haben muss, damit bei ihm nach dem Tod Organe entnommen werden dürfen. Falls die Absichtserklärung nicht vorliegt oder unklar ist, können nächste Angehörige befragt werden.

Alle Bürger regelmäßig befragen

Die Befürworter der Zustimmungslösung wollen mit ihrem Entwurf die Voraussetzungen schaffen, dass sich mehr Menschen mit der Frage der Organ- und Gewebespende auseinandersetzen und eine „informierte Entscheidung“ treffen.

Alle Bundesbürger sollen daher regelmäßig nach ihrer Organspende-Bereitschaft befragt werden, etwa bei der Führerschein-Prüfung oder – mindestens alle zehn Jahre – beim Abholen von Ausweispapieren. Die Entscheidung soll in einem Online-Register beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte erfasst werden und kann dort jederzeit geändert werden.

Laut Erhebungen stünden 84 Prozent der Bundesbürger der Organspende grundsätzlich positiv gegenüber, betont der frühere Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), der zu den Befürwortern der Entscheidungslösung gehört. „Die entscheidende Frage ist: Wie holen wir diese Menschen ab?“ Die Widerspruchslösung gebe nicht die richtige Antwort.

Die Vorstellung, „wenn du nicht entschieden hast, gehört dein Körper gleichsam der Gemeinschaft, führt in die Irre“. Beharrliches Informieren und Nachfragen seien zielführender.

Hausärzte spielen große Rolle

Dabei spielen Hausärzte laut Entwurf eine große Rolle. Sie sollen Patienten zur Organ- und Gewebespende regelhaft, sprich alle zwei Jahre beraten. Die aufgewendete Zeit soll ihnen gesondert vergütet werden. Zudem soll Organspende stärker in der ärztlichen Aus- und Fortbildung berücksichtigt sein.

In einem Schreiben an die Mitglieder des Bundestags haben mehrere Befürworter der Entscheidungslösung betont, die Schweiz weise mit ihrer Zustimmungslösung „sehr viel höhere Organspendezahlen“ auf als Deutschland. Dagegen habe Bulgarien mit der Widerspruchsregelung „noch schlechtere Zahlen“ als Deutschland.

Einen dritten Gesetzesantrag zur Neuregelung der Organspende hat die AfD-Fraktion vorgelegt. Der Antrag hebt darauf ab, das Vertrauen in die Organspende zu stärken. Die Bundesbürger, heißt es, stünden einer Organ- und Gewebespende „mehrheitlich positiv“ gegenüber.

Viele besäßen aber nicht wegen mangelnder Information keinen Organspendeausweis, „sondern weil ihnen das Vertrauen in die gesetzlichen Regelungen zur Durchführung einer Organspende nach dem Transplantationsgesetz in neuester Fassung fehlt“.

„Vertrauen“ ins System vorausgesetzt

Kennzeichnend dafür seien „immer wieder mögliche Skandale“ bei der Feststellung des Hirntods, der Vermittlung von Organen wie auch der „Gewinnmaximierung“ im Zuge der Vergütung der Transplantationsmedizin.

Eine Steigerung der Organspendezahlen setze „Vertrauen“ ins System voraus. Dieses Vertrauen sei aber beschädigt, da das Organspendeverfahren „durch nicht staatlich gebundene Organisationen allein auf vertraglicher Basis“ geregelt sei.

Zudem unterliege die Kontrolle den Organisationen, die auch das Verfahren der Organentnahme und -transplantation koordinierten. „Erst die Einführung einheitlicher Standards für das Verfahren der Organspende und deren Kontrolle sowie die Übertragung der Aufsicht über alle Vertragspartner im Organspendeverfahren auf eine unabhängige Institution sorgen für mehr Vertrauen und damit für eine Steigerung der Spenderzahlen“, heißt es im AfD-Antrag.

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