Fachärztetag

Die Dogmen der Innovation geraten ins Wanken

Neuerungen werden künftig verstärkt auch über den ambulanten Sektor in die Versorgung kommen. Eine Diskussion beim Fachärztetag des SpiFa zeigte die Knackpunkte auf.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Medizinische Forschung im Labor: „Der Gral der Erkenntnis liegt nicht mehr nur in den Kliniken“, sagte KBV-Dezernent Dr. Bernhard Gibis beim Fachärztetag.

Medizinische Forschung im Labor: „Der Gral der Erkenntnis liegt nicht mehr nur in den Kliniken“, sagte KBV-Dezernent Dr. Bernhard Gibis beim Fachärztetag.

© luckybusiness / stock.adobe.com

Berlin. Das Dogma, Innovationen zunächst im Krankenhaus zu erproben und dann erst in die ambulante Versorgung zu überführen, ist nicht mehr zu halten. Darin waren sich die Teilnehmer einer Diskussion auf dem SpiFa-Fachärztetag einig.

„Innovationen aus den Gebieten der Pharmakodynamik und -genetik kommen in dem ambulanten Versorgungsbereich“, sagte SpiFa-Ehrenvorsitzender Dr. Andreas Köhler. Die Zeiten, dass alles Neue zunächst einmal im Krankenhaus erprobt werde, seien vorbei. Damit stelle sich auch die Frage nach Erlaubnis- und Verbotsvorbehalt beim Einsatz von Innovationen neu.

Gibis: Kosten rücken stärker in den Fokus

Der Fortschritt bedarf regulatorischer Begleitung. Auch darin stimmten die Gesprächspartner überein. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) müsse neue Wege finden, um sich dynamisch entwickelnde Versorgungsformen schneller und früher zu evaluieren – auch unter Kostenerstattungsgesichtspunkten, sagte KBV-Dezernent Dr. Bernhard Gibis.

In den nächsten Jahren würden Kostenaspekte im Gesundheitswesen wieder mehr Gewicht erhalten als in der jüngeren Vergangenheit, warnte Gibis. Innovationen müssten aber auch in Zeiten knapper Kassen ins System kommen können. „Der Gral der Erkenntnis liegt nicht mehr nur in den Kliniken“, sagte auch Gibis.

Es gelte davon Abschied zu nehmen, dass neue Technologie „traditionell über das Krankenhaus“ in die Versorgung komme. Mittelfristig müsse darüber nachgedacht werden, wie neue Verfahren von vorneherein ambulant eingeführt, angewendet und beforscht werden könne, ohne Umweg über den stationären Sektor.

Köhlers Vorschlag: Das Einspar-Institut

Der frühere KBV-Chef Köhler regte eine institutionelle Lösung an. „Es wäre an der Zeit, ein unabhängiges Institut zu entwickeln, das Substitutionsgutachten mit Aussagen zum Einsparpotenzial von Innovationen erstellt“, sagte Köhler. Es sei zudem nicht untersucht, inwieweit es nach der Einführung von Innovationen zu Kannibalisierung unter den Facharztgruppen komme. Zusätzlich zum Nutzen werde künftig auch die Frage nach Einspareffekten durch Innovationen eine Rolle spielen. Solche Erkenntnisse könnten für die Verhandlungen im Bewertungsausschuss und zum Bundesmantelvertrag hilfreich sein.

Gibis wiederum verteidigte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Gesundheitsversorgung (IQWiG) als ausreichend. Es sei „nicht verkehrt“, dass es in Deutschland keine gesundheitsökonomische Analyse von Innovationen gebe. Eine wissenschaftlich induzierte Preisfindung im Bewertungsausschuss sehe er nicht. „Ich wüsste keine Weltformel, die uns vor dem Gezerre in diesen Gremien bewahrt“, sagte Gibis.

Die Grenzen zwischen Methode und Produkt zerfließen

Zu Gast war auch Erwin Morawski, Geschäftsführer der Exact Sciences Deutschland GmbH, die diese Diskussion mit der Einführung des Biomarker-Tests Oncotype-DX zur Entscheidung für oder gegen eine Chemotherapie bei primärem Mamma-Ca befeuert hat. Seit August 2019 ist dieses Produkt in der GKV erstattungsfähig. Die Tests seien dafür da, die Therapieentscheidungen der Ärzte zu verbessern, sagte Morawski. Die Frage sei, ob die innovative Diagnostik immer von einem Arzt in Deutschland ausgeübt werden müsse, oder ob er sich diese Leistung zukaufe.

Die Grenzen zwischen Methode, Arzneimittel, ärztlicher Leistung oder Industrieprodukt seien am Verschwimmen, beschrieb Köhler Kombinationen aus ärztlicher Leistung und von außen beziehbarer Leistungen. Es bestehe permanent die Gefahr, dass Innovatoren den Anteil der kassen- und privatärztlichen Leistung herunterführen und stattdessen sagten: „Wir machen alles selbst!“ Dann sei nicht sicher, ob und wie darüber noch Kontrolle ausgeübt werden könne.

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