Bit und Byte versus Papier

Disput über Medikationspläne

Mit zunehmender Multimorbidität wachsen die Risiken von Polypharmazie. Der GBA will nun Testläufe fördern, die Arzneimitteltherapiesicherheit mittels Informationstechnologie zu verbessern. Die Regierung setzt noch auf Papier.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:

BERLIN. Das Thema Arzneimitteltherapiesicherheit brennt der großen Koalition seit den Verhandlungen über die Gesundheitspolitik der laufenden Legislaturperiode unter den Nägeln.

Hier sehen die Gesundheitspolitiker Möglichkeiten, Patienten etwas Gutes zu tun und gleichzeitig die gesetzlichen und privaten Krankenversicherer zu entlasten.

Die Menschen werden älter und entwickeln im Alter oft mehrere Krankheiten gleichzeitig. Die Folge ist Multimedikation. Bis zu 16 Wirkstoffe, im Durchschnitt acht, nahmen die Teilnehmer an einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) aus dem Jahr 2008 ein.

Polypharmazie kann zu Komplikationen führen. Zehn Prozent der Einweisungen in Krankenhäuser weltweit führt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf unerwünschte Wechselwirkungen von Arzneimitteln zurück.

In Deutschland liegen die Schätzungen weit auseinander. Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) kommt auf rund 500.000 Klinikeinweisungen aufgrund von Polypharmazie-Risiken, die DEGAM schätzt die Zahl auf 1,3 Millionen - 6,5 Prozent der insgesamt rund 20 Millionen Krankenhausaufnahmen in Deutschland - und bezieht sich dabei auf eine Veröffentlichung des Public Library of Science-Projekts in San Francisco.

Polypharmazie als Politikum

Diese Zahlen und die daraus abgeleiteten Kosten für die Gesundheitssysteme haben Polypharmazie zum Politikum gemacht. Elektronische Kommunikations- und Informationstechnologien, so heißt es im Koalitionsvertrag von Union und SPD, könnten die Leistungsfähigkeit im Gesundheitswesen weiter verbessern.

Das gelte auch für die Arzneimitteltherapiesicherheit. Hindernisse beim Datenaustausch und Schnittstellenprobleme würden beseitigt, kündigten die Verhandler im Herbst 2013 an. Testläufe sollten die Tauglichkeit von Medikationsplänen bestätigen.

Inzwischen scheint klar zu sein, dass die Ankündigungen in dieser Wahlperiode nur bedingt wahr werden. Geplant ist nun, ab Oktober 2016 einen Medikationsplan auf Papier einzuführen, den Menschen bei sich tragen sollen, die drei oder mehr Medikamente am Tag einnehmen sollen.

Fachleute sehen darin einen wichtigen Schritt. Allerdings sei der papiergestützte Plan in erster Linie eine Information für den Patienten. Für Verordner wäre eine elektronische, stets zeitnah aktualisierte Variante das bessere Informationsmedium.

Ab 2019, so sieht es das im Dezember verabschiedete E-Health-Gesetz vor, sollen die Medikamentendaten auf der elektronischen Gesundheitskarte verpflichtend auftauchen müssen.

Skepsis der Kassen

Nachdem die von Selbstverwaltung und Industrie entwickelte Karte bislang so gut wie gar nichts leistet, sehen Vertreter von Kassen skeptisch Richtung dieser Zukunft.

Er hege Zweifel, ob es bis zu dem vorgegebenen Datum einen elektronischen Medikationsplan geben werde, sagte der stellvertretende Vorstand der Techniker Krankenkasse Thomas Ballast bei einer TK-Veranstaltung zur Arzneimitteltherapiesicherheit am Dienstag in Berlin.

Als "Schande" gar bezeichnete bei der gleichen Veranstaltung der GBA-Vorsitzende Professor Josef Hecken die Tatsache , dass man sich immer noch über die Zusammenführung von Daten unterhalten müsse, wo für die elektronische Gesundheitskarte schon gut eine Milliarde Euro ausgegeben worden sei.

Hecken hat elektronische Anwendungen, die Ärzte umgehend, ohne Zeitverlust und vollständig über die Medikationsliste eines Patienten zu informieren, zum Schwerpunktthema des Innovationsfonds erklärt.

Das müsse nicht unbedingt die eGK sein, sagte Hecken. Am Ende solle ein System stehen, das Daten unabhängig von der Compliance der Patienten zusammenführt und zugänglich macht.

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Welche Endpunkte sind patientenrelevant?

Innovation in Studienendpunkten – Studienendpunkte für Innovationen

Kooperation | In Kooperation mit: AbbVie Deutschland, DAK Gesundheit, MSD Sharp & Dohme, Novo Nordisk, Roche Pharma, vfa und Xcenda

EU-Pharma Agenda – Impulse für die Arzneimittelversorgung in Deutschland

Impulse für die Arzneimittelversorgung aus Patientenperspektive

Kooperation | In Kooperation mit: AbbVie Deutschland, DAK Gesundheit, MSD Sharp & Dohme, Novo Nordisk, Roche Pharma, vfa und Xcenda
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Neues Teilhabegesetz geht an den Start

So wird Ihre Praxis-Homepage barrierefrei

Lesetipps
Junger Mann mit Schmerzen im unteren Rückenbereich.

© anut21ng Stock / stock.adobe.com

Chronisches Kreuzweh

Studie: Rauchen lässt den Rücken schmerzen

Lungenkrebs so früh wie möglich erkennen und damit die Heilungschancen erhöhen helfen soll das neue Früherkennungsprogramm, das der G-BA beschlossen hat.

© Sascha Steinach / ZB / picture alliance

Beschluss des G-BA

Lungenkrebs-Screening wird Kassenleistung

Die Ärzte Zeitung hat jetzt auch einen WhatsApp-Kanal.

© prima91 / stock.adobe.com

News per Messenger

Neu: WhatsApp-Kanal der Ärzte Zeitung