IfSG-Regelung

Ethiker und Palliativmediziner Sahm kritisiert Triage-Gesetz als „völlig überflüssig“

Erstmals wird Bundesrecht Ärztinnen und Ärzten Triage-Regelungen vorgeben. Die Kritik daran ebbt nicht ab. Der Offenbacher Palliativmediziner Sahm hält es für gänzlich unnötig.

Veröffentlicht:
Prof. Dr. Stephan Sahm, Medizinethiker und Chefarzt der Medizinischen Klinik des Offenbacher Kettler-Krankenhauses

Unzufrieden mit der neuen Triage-Regelung: Professor Stephan Sahm, Gastroenterologe, Palliativmediziner, Medizinethiker und Chefarzt der Medizinischen Klinik des Offenbacher Kettler-Krankenhauses.

© Helmut Fricke / dpa

Offenbach/Frankfurt/Berlin. Die kürzlich beschlossenen gesetzlichen Regelungen zur Triage in der Pandemie stoßen in der Medizin weiter auf Kritik. „Ich halte das Gesetz für völlig überflüssig“, sagte Professor Stephan Sahm der Deutschen Presse-Agentur. Der Gastroenterologe und Palliativmediziner ist auch Medizinethiker und Chefarzt am Offenbacher Ketteler-Krankenhaus. Auch die Landesärztekammer Hessen erneute ihre Kritik.

Auf Intensivstationen müssten auch außerhalb von Pandemien immer wieder „schmerzliche aber nötige“ Entscheidungen getroffen werden, sagte Sahm. „Die Ärzteschaft geht seit jeher verantwortungsvoll damit um, ohne dass der Verdacht bestünde, dass dabei bestimmte Personengruppen benachteiligt werden. Es ist mir ein Rätsel, wieso das in einer Pandemie nicht auch funktionieren sollte.“

„Jede medizinische Behandlung muss immer wieder auf ihre Erfolgsaussichten geprüft werden“, sagte Sahm. Wenn die Chancen zu überleben anfangs gut waren, sich danach aber „marginalisiert“ haben, müsse man die Behandlung beenden. Leitkriterium müsse dabei laut Sahm sein: Wie groß sind die Chancen, dass dieser Mensch die Klinik jemals aufrecht verlässt? „Wenn es um Zuteilungen medizinischer Ressourcen geht, sind alle Patienten gleich.“

Lesen sie auch

Hoffnung, dass die Regelung „nicht viel Schaden anrichtet“

Nach Ansicht der Landesärztekammer Hessen droht durch die neue Regelung im Infektionsschutzgesetz (IfSG) eine „Überreglementierung“. Das Gesetz erscheine „in Situationen, in denen schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen, kaum umsetzbar“, sagte Kammerpräsident Dr. Edgar Pinkowski.

Unter Umständen müssten bis zu drei Ärzte für die Entscheidung hinzugezogen werden. „Die Sorge vor möglichen strafrechtlichen Folgen wird die ärztliche Entscheidung zusätzlich erschweren.“

Sahm sieht diese Gefahr allerdings weniger. Wenn zum Beispiel eine 70 Jahre alte Frau mit schlechter Prognose zu Gunsten einer 17-Jährigen mit guter Prognose von lebenserhaltenden Maschinen getrennt wird, dann sei das formal vielleicht Totschlag. Aber die Chancen, dass die Ärztin bzw. der Arzt im Falle eines Prozesses freigesprochen werde, hält er für sehr hoch.

Generell sei er „optimistisch“, dass das Gesetz „nicht viel Schaden anrichtet: Wir werden das weiter gut machen, da bin ich mir sicher.“ (dpa)

Mehr zum Thema

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Das könnte Sie auch interessieren
Muskeltonus wieder ins Gleichgewicht bringen

© mantinov / stock.adobe.com

Muskulär bedingte Schmerzen

Muskeltonus wieder ins Gleichgewicht bringen

Den Schmerz an der Wurzel packen

© [M] pololia / stock.adobe.com | Mara Zemgaliete / stock.adobe.com

Muskelverspannung

Den Schmerz an der Wurzel packen

Einsatz von Pridinol bei muskulär bedingtem Rückenschmerz

Experten-Workshop

Einsatz von Pridinol bei muskulär bedingtem Rückenschmerz

Umgang mit Multimorbidität in der Langzeitpflege

© Viacheslav Yakobchuk / AdobeStock (Symbolbild mit Fotomodellen)

Springer Pflege

Umgang mit Multimorbidität in der Langzeitpflege

COVID-19 in der Langzeitpflege

© Kzenon / stock.adobe.com

Springer Pflege

COVID-19 in der Langzeitpflege

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Tierexperiment: Neuer Signalweg identifiziert

Essen in Sicht? Die Leber ist schon aktiv!

Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer