DEGAM-Kongress
Franz Knieps: „Für die große Gesundheitsreform hat niemand ein Konzept“
Eine Gesundheitsreform wäre nötig in Deutschland, hat Ex-Kassenfunktionär Franz Knieps beim DEGAM-Kongress betont. Die Frage, wie viel Staat dafür nötig wäre, ist seiner Meinung nach aber noch nicht beantwortet.
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Franz Knieps, Ex-BKK-Dachverbands und Ex-Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium unter Ulla Schmidt (SPD), zweifelte beim DEGAM-Kongress daran, ob es fertige Konzepte für eine große Gesundheitsreform gebe. Der Bedarf dafür sei allerdings da.
© Daniel Reinhardt
Hannover. Das Thema seines Vortrags, „Wie viel Staat verträgt das Gesundheitssystem“, sei die Eine-Million-Dollar-Frage, sagte Franz Knieps, ehemals Vorstand des BKK-Dachverbandes, auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) am Freitag in Hannover in seiner Keynote.
Und „je nach politischer Couleur wird sie anders beantwortet“. Dass allerdings die Konservativen in jedem Falle nach weniger Staat rufen und die links Orientierten nach mehr Staat im Gesundheitssystem, sei keine ausgemachte Sache.
Gemeinsam hätten sie allerdings das tiefe Vertrauen auf den großen Wurf und die Überzeugung, dass die jeweils andere Seite die Probleme verursache. Dagegen ist Knieps überzeugt, dass es die große Gesundheitsreform ohnedies nicht geben wird, „dafür hat niemand ein Konzept“.
„Der Outcome bei der Versorgung chronisch Kranker ist schlecht“
Dabei sei Veränderung dringend nötig. Zu Recht kritisiere man im Ausland das deutsche System mit seinem im internationalen Vergleich schlechten Outcome bei hohem Input. Es geht um Kriterien wie die allgemeine Lebenserwartung oder die Früherkennung von Diabetes oder Sterblichkeit nach Herzinfarkt. „Zurzeit krebsen wir in dieser Hinsicht auf dem Niveau wie Bulgarien oder Rumänien herum“, sagte Knieps.
Abhilfe schaffen könnte nach Ansicht Knieps` eine systematische, multiprofessionell organisierte Primärversorgung, wie er am Rande der Veranstaltung der Ärzte Zeitung sagte. „In den Familiencentern in Dänemark, in Finnland oder in Kanada, dort arbeiten immer Allgemeinmediziner mit akademischen Pflegekräften zusammen und organisieren diese Aufgabe gemeinsam.“ Deshalb sehen dort nur die medizinisch gravierenden Fälle überhaupt einen Arzt. Der Rest wird von der akademischen Pflege vor den Sprechzimmern abgefangen.
Primärarztsystem – und wie sind die vielen Arztkontakte organisierbar?
Einem reinen Primärarztsystem traut Knieps indessen nicht. „Es wäre nicht so einfach machbar, unter anderem deshalb, weil bisher noch niemand sagen konnte, wie die vielen Arztkontakte, die mit einem Primärarztsystem einhergehen, denn organisiert werden sollten.“
Auch pflege man in Deutschland vielerorts noch das Bild vom kleinen Krankenhaus am Rande der Stadt, das seine Patienten geheilt und glücklich entlässt. Aber in der realen Welt sei der Outcome etwa bei der Versorgung von chronisch Kranken schlecht.
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Gesetzgebung auf dem Flur
Das bedeutet aber nicht, dass der Gesetzgeber sich heraushalten solle. Er könnte – im Gegenteil – das Gesundheitssystem vollständig nationalisieren, wie in England, erklärte Knieps. Es könnte aber auch vollständig privat betrieben werden. „Es muss nur gewährleistet sein, dass jeder Bürger und jede Bürgerin Zugang dazu erhält. Der Gesetzgeber muss ein funktionstüchtiges Gesundheitswesen schaffen. Aber tut er das? Gibt es einen gleichmäßigen Zugang für alle zur Gesundheitsversorgung?“, fragte Knieps. „Ich habe da erheblich Zweifel.“
Das Problem sei die „Gesetzgebung auf dem Flur“, wie Knieps sagte. „Dar rufen die Leute aus irgendwelchen Koalitions-Arbeitsgruppen den Beamten etwas zu, und die sollen dann bis zum nächsten Tag einen Änderungsantrag für ein Gesetz formuliert haben. Da kann überhaupt nichts abgewogen werden!“
Da würden Notfallreformen mit 50 Paragrafen gemacht. Und wenn der Entwurf dann ins Gesetzgebungsverfahren gehe, bekomme es 70 oder 80 Änderungsanträge und die werden nicht mehr ordentlich abgestimmt.“ Er verstehe auch die Parlamentarier nicht. „Die stellen ja oft das Denken ein, wenn ihre Partei das Ministerium stellt.“
„Dann gute Nacht Deutschland“
Warum müsse etwa in der Palliativversorgung alles bis ins Detail gesetzlich geregelt sein, und zwar für alle gleich? Wenn der Anspruch auf Palliativversorgung im Gesetz stehe, müsse nicht zugleich eine Regelung für die Hospizvereine, die Krankenhäuser, die ambulanten Dienste her, meint Knieps. „Warum kann ich nicht sagen: In einer Regel wird das Ziel der Palliativversorgung samt Qualitätsanforderungen beschrieben, damit man teilhaben kann – und los geht’s?“ Den Rest organisieren dann die Kassen oder die Leistungserbringer vor Ort.
Aber wenn der Staat meine, er wisse besser als etwa die Kassen, was nötig ist, „dann gute Nacht Deutschland!“ Gesetze sollen nicht im Schnelldurchgang produziert werden, sondern unter Beachtung der internationalen Studienlage und unter Expertenanhörungen. Knieps „Die Veränderung findet zwischen den Ohren statt!“ (cben)













