Hausärzte sehen sich in Sonntagsreden gelobt, in der Praxis aber vernachlässigt

Eine Studie an der Universität Witten-Herdecke beleuchtet die Gemütslage von Hausärzten: Diese vermissen demnach vor allem Wertschätzung.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:

KÖLN. Für die mangelnde Attraktivität der hausärztlichen Tätigkeit auf dem Land ist die als unzureichend empfundene Vergütung nur ein Faktor. "Dreh- und Angelpunkt für die Unzufriedenheit der Hausärzte ist die mangelnde Wertschätzung ihrer Arbeit", sagt Professor Stefan Wilm, Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin und Familienmedizin an der Universität Witten/Herdecke.

 "Die Hausärzte fühlen sich von der Gesellschaft, der Politik und den Kassenärztlichen Vereinigungen beiseite gedrängt", sagt Wilm.

Das ist eines der zentralen Ergebnisse der Untersuchung "Die Zukunft der hausärztlichen Versorgung aus gesundheitsberuflicher und Patienten-Sicht", die Institutsmitarbeiterin Vera Kalitzkus erstellt hat. Dabei handelt es sich um eine qualitative Studie, die auf Tiefeninterviews mit jeweils einer kleinen Zahl von Hausärzten, Medizinischen Fachangestellten, ambulanten Pflegediensten und Patienten basiert.

Einbezogen sind zwei nicht benannte ländliche Regionen in Nordrhein-Westfalen. "Es ging uns bei der Untersuchung nicht um Repräsentativität, sondern darum, das Typische und Relevante aufzuzeigen", erläutert Wilm, der selbst als Hausarzt in einer Gemeinschaftspraxis in Köln arbeitet.

 Die Ergebnisse der ausführlichen Interviews mit den fünf Hausärzten und den anderen Teilnehmern sind nach der Auswertung mit Vertretern verschiedener Berufsgruppen diskutiert worden. Außerdem sind sie mit den Ergebnissen anderer Erhebungen und wissenschaftlicher Arbeiten verglichen worden. "Das hat es uns erlaubt, die relevanten Aussagen herauszuarbeiten."

Die Interviews hätten auf beeindruckende Weise gezeigt, wie sehr Hausärzte unter dem Gefühl mangelnder gesellschaftlicher Anerkennung und Wertschätzung ihrer Tätigkeit leiden, sagt Wilm. "Das ist bisher in dieser Intensität noch nicht beschrieben worden."

Die befragten Hausärzte halten die aktuelle Versorgungslage auf dem Land für gut, fürchten aber eine Verschlechterung. Ein Arzt sucht erfolglos nach einem Nachfolger, zwei weiteren gelingt es nicht, einen Partner in die Praxis aufzunehmen.

In den Gesprächen nannten die Mediziner vier Hauptprobleme, die ihnen Sorgen machen: die Vergütung der hausärztlichen Tätigkeit, die steigende Multimorbidität der Bevölkerung, die Zunahme der Fallzahlen und die steigende Bürokratie.

Hausärzte empfinden eine große Diskrepanz zwischen der politisch proklamierten Förderung ihrer Fachgruppe und den tatsächlich sich verschlechternden Rahmenbedingungen für ihre Arbeit, sagt Wilm. Deshalb werde allein eine bessere Vergütung - die von den Hausärzten dringend angemahnt wird - nicht ausreichen, um die Stimmung grundlegend zu verbessern. "Das Gefühl der mangelnden Anerkennung ist für viele entscheidend."

Angesichts der schlechten Grundstimmung sei die Forderung kontraproduktiv, unter dem Stichwort "Substitution" andere Berufsgruppen zur Lösung der Versorgungsprobleme einzubeziehen, heißt es in der Untersuchung. "Stark kritisiert wird auch die zunehmende Beschneidung hausärztlicher Handlungs- und Entscheidungsspielräume."

Die Gespräche mit den Hausärzten zeigen deutlich, dass sie ihre ärztliche Tätigkeit sehr positiv sehen. Gerade der über das rein Medizinische hinausgehende Versorgungsauftrag wird von ihnen betont. Die Ärzte leiden darunter, dass die Rahmenbedingungen einer Umsetzung ihres ethischen Anspruchs oft entgegen stehen.

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