Seltene Krankheiten

Hilfe für Ärzte bei der Diagnose

Ärzte brauchen mehr Hilfestellung bei der Diagnose von seltenen Erkrankungen und der Vermittlung einer Therapie. Zum heutigen Tag der seltenen Erkrankungen erklärt Christoph Nachtigäller von ACHSE, welche Optionen Ärzte haben - und wie es um den Aktionsplan steht.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Herzuntersuchung bei einem Kind mit Williams-Beuren-Syndrom, einer der rund 6000 seltenen Krankheiten.

Herzuntersuchung bei einem Kind mit Williams-Beuren-Syndrom, einer der rund 6000 seltenen Krankheiten.

© Verena Müller/dpa

Ärzte Zeitung: Herr Nachtigäller, ein Problem bei Seltenen Krankheiten ist die richtige Diagnose. Welche Hilfe können Ärzte durch ACHSE bekommen?

Christoph Nachtigäller: Das Problem der richtigen Diagnose liegt sicherlich zum einen daran, dass zu wenige zutreffende Informationen über die rund 6000 Seltenen Erkrankungen verfügbar sind. Und naturgemäß begegnen Ärzten in der Praxis solche Erkrankungen nur sehr selten.

Als Hilfestellung für Ärzte haben wir als ACHSE zusammen mit der Charité in Berlin im Jahr 2008 ein Projekt gestartet: den sogenannten ACHSE-Lotsen. Das ist eine erfahrene Ärztin, die ihre Kollegen bei der Diagnosefindung unterstützt.

Einmal, indem sie Experten vermittelt, weil sie einen guten Überblick hat. Zum anderen aber auch, indem sie mit Ärzten gemeinsam überlegt, welche diagnostischen Schritte sie als nächstes machen könnten.

Gibt es denn die Möglichkeit für Ärzte, auf Datenbanken zu recherchieren?

Ja, da sind wir auf dem Wege. Es gibt bisher zwei Datenbanken, die ich besonders erwähnen möchte.

Das eine ist Orphanet; das ist ein europäisches Projekt, von dem es auch einen deutschen Ableger gibt: Orphanet Deutschland. Die zweite Option ist achse.info. Da findet man geprüfte Informationen zu einzelnen Erkrankungen.

Können auf diese Art und Weise Ärzte und Patienten auch Informationen darüber erhalten, wo es qualifizierte Therapieplätze gibt?

Das ist teilweise der Fall. Wir befinden uns in einem Entwicklungsprozess. Denn das Thema Seltene Erkrankungen ist in Deutschland erst vor einigen Jahren entdeckt worden, so dass es im Moment noch keinen umfassenden Überblick über alle Therapiemöglichkeiten geben kann.

Christoph Nachtigäller

Aktuelle Position: Vorsitzender der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE)

Ausbildung: Nachtigäller, Jahrgang 1943, studierte Jura in München und Bonn, Spezialgebiet Arbeits- und Sozialrecht.

Karriere: Von 1978 bis 2008 tätig bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe, seit 1990 als Bundesgeschäftsführer. Von 2004 bis 2008 Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss.

Mit dem Nationalen Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen wollen wir dies entwickeln.

Was sieht dieser Plan jetzt konkret vor?

Der Nationalplan sieht vor, Verbesserungen in vier Bereichen vorzunehmen. Das erste Ziel lautet: "Informationen verbessern". Das zweite Ziel ist, die Zeit der Diagnosefindung zu verkürzen.

Dazu gehört auch, bei Ärzten das Bewusstsein zu stärken, dass bestimmte Symptome auch auf eine Seltene Erkrankung hinweisen können und dass man den Patienten vielleicht dann an einen niedergelassenen Spezialisten oder an ein Zentrum weiterleitet oder sich dort berät.

Das Dritte ist der Aufbau einer interdisziplinären und sektorenübergreifenden Versorgung durch Bildung von Zentren und Netzwerken. Das Vierte ist eine Verstärkung der Forschungsförderung.

Von wem erhalten Sie bei der Umsetzung des Nationalplans 2013 Unterstützung?

Im Nationalen Aktionsbündnis "NAMSE" arbeiten wir mit insgesamt 27 Partnern zusammen. Dazu gehören alle wesentlichen Akteure des Gesundheitswesens, unter anderem die verfasste Ärzteschaft mit der KBV und der Bundesärztekammer, die medizinischen Fachgesellschaften, die Universitätskliniken, die Krankenhausgesellschaft und die gesetzliche Krankenversicherung.

Auch die forschende Pharmaindustrie ist mit im Boot. Natürlich auch die Patientenorganisationen ACHSE und BAG Selbsthilfe.

Gemeinsam versuchen wir vor allem, ein System der Versorgung aufzubauen. Das dreistufige Zentrumsmodell soll aus Zentren und Netzwerken für Seltene Erkrankungen bestehen, die das Wissen zur Verfügung stellen, bündeln und gezielte Diagnosen ermöglichen sowie in einem abgestuften System betroffene Patienten behandeln.

Wir gehen davon aus, dass wir die bisherige gute Kooperation auch in der Phase der Umsetzung des Plans fortsetzen können.

Das ist ein sehr umfassender Plan. Wann werden denn die ersten Teile davon in der Realität sein?

Ich kann mir gut vorstellen, dass der Plan, Versorgungszentren und Netzwerke zu bilden, als erstes Früchte tragen wird. Denn es ist jetzt schon so, dass sich an einer ganzen Reihe von Universitätskliniken hervorragende Zentren gebildet haben.

Dort wird an mehreren Seltenen Krankheiten geforscht, und es gibt für bestimmte Gruppen von Erkrankungen - zum Beispiel Hautkrankheiten oder bestimmte Stoffwechselstörungen - bereits gute Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten.

Nun sind diese Zentren erst einmal sogenannte selbst ernannte Zentren. Man hat sich selber auf den Weg gemacht und das ist ja sehr verdienstvoll. Aber wir brauchen natürlich gemeinsam geltende Anforderungen. Diese werden gemeinsam definiert und sollen in eine Akkreditierung münden.

Zum Zentrumsmodell gehören übrigens auch die niedergelassenen Ärzte, die über besondere Kompetenzen verfügen, genauso dazu, zum Beispiel in Schwerpunktpraxen oder Gemeinschaftspraxen.

Welche Chancen für Menschen mit Seltenen Krankheiten sehen Sie denn bei der Schaffung dieses neuen Sektors für die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) nach Paragraph 116 b?

Die ASV ist meines Erachtens eine der besonders geeigneten Formen der Versorgung für Seltene Erkrankungen. Wir haben bisher ja einen Katalog von Erkrankungen, der aber jetzt nach der Neufassung der ASV noch einmal sozusagen umgesetzt werden muss in das neue Recht.

Der Hauptpferdefuß ist meines Erachtens die Langsamkeit in der Praxis. Wir müssen viel, viel schneller voranschreiten, die bestehenden Konkretisierungen an die neuen Bestimmungen anzupassen und neue Seltene Erkrankungen hinzuzufügen.

Sonst ist das ein schönes Modell, das in der Praxis aber nur geringe Wirksamkeit entfaltet.

ACHSE

ACHSE ist die Dachorganisation der Selbsthilfegruppen von Menschen mit Seltenen Erkrankungen.

Betroffen sind rund vier Millionen Menschen in Deutschland

Am heutigen Tag der Seltenen Erkrankungen wollen die Betroffenen nicht zuletzt auch Ärzte sensibilisieren. Außerdem werden heute Forschungsprojekte mit dem Eva-Luise-Köhler-Preis ausgezeichnet.

Mehr Infos finden Sie unter: www.achse-online.de

Mehr zum Thema

Medizinforschungsgesetz

Regierung: Ethikkommission beim Bund bleibt unabhängig

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

„ÄrzteTag“-Podcast

Was steckt hinter dem Alice-im-Wunderland-Syndrom, Dr. Jürgens?

Stabile Erkrankung über sechs Monate

Erste Erfolge mit CAR-T-Zelltherapien gegen Glioblastom

Lesetipps
Die Empfehlungen zur Erstlinientherapie eines Pankreaskarzinoms wurden um den Wirkstoff NALIRIFOX erweitert.

© Jo Panuwat D / stock.adobe.com

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert

Gefangen in der Gedankenspirale: Personen mit Depressionen und übertriebenen Ängsten profitieren von Entropie-steigernden Wirkstoffen wie Psychedelika.

© Jacqueline Weber / stock.adobe.com

Jahrestagung Amerikanische Neurologen

Eine Frage der Entropie: Wie Psychedelika bei Depressionen wirken