ZNS-Krankheiten

Psychisch Kranke flüchten sich oft in die Einsamkeit

Psychisch Kranke werden immer noch stigmatisiert, sogar von Ärzten. Betroffene Patienten, aber auch ihre Familien flüchten dann nicht selten in die Einsamkeit und suchen nicht einmal mehr Hilfe.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Psychische Leiden wirken stigmatisierend und führen in die Vereinsamung.

Psychische Leiden wirken stigmatisierend und führen in die Vereinsamung.

© Fuse / Thinkstock.com

KÖLN. Dr. Christa Roth-Sackenheim wird von Patienten häufig gefragt, ob sie dem Arbeitgeber von ihrer Depression berichten sollen. In der Regel rät sie zur Vorsicht.

"Die Patienten sollen sich gut überlegen, ob sie das Risiko eingehen wollen, denn sie können nicht wissen, was mit der Information gemacht wird", sagt die Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychiater.

Zwar gebe es einzelne Unternehmen, die betroffene Mitarbeiter unterstützen. Aber das sind noch Ausnahmen.

"Unsere Erfahrung ist leider: Patienten mit einer Depression oder einer anderen psychischen Erkrankung können nicht davon ausgehen, dass Arbeitgeber damit professionell oder auch nur angemessen umgehen", berichtet sie.

Psychisch kranke Menschen stoßen nicht nur in ihrem Arbeitsumfeld auf Unverständnis, Angst und Ablehnung. Die Stigmatisierung zieht sich quer durch die Gesellschaft.

"Es macht den Menschen zutiefst Angst, dass es Krankheiten gibt, die das Ich verändern, die Autonomie und den eigenen Willen", sagt Roth-Sackenheim.

Berührungsängste auch bei Ärzten

Die Berührungsängste, die so typisch sind für den Umgang psychisch Kranken, machen auch vor der Ärzteschaft nicht halt. "Rein somatisch arbeitende Ärzte haben mitunter ein Unbehagen gegenüber psychischen Erkrankungen."

Sie sieht bei vielen Ärzten Nachholbedarf bei Diagnostik und Behandelbarkeit psychischer Erkrankungen. Am aufgeschlossensten sind nach ihrer Erfahrung die Hausärzte. "Sie leisten viel bei der Primärversorgung der psychisch Kranken."

Information über psychische Erkrankungen tut not. "Es ist erwiesen, dass die beste Waffe gegen Stigmatisierung der Kontakt mit psychisch Kranken und Aufklärung sind", sagt Roth-Sackenheim.

Das fängt in den Familien und dem engen Umkreis an. Roth-Sackenheim bittet ihre Patienten deshalb, Familienangehörige oder andere nahestehende Person mit in die Praxis zu bringen. "Die Patienten brauchen ein stützendes Netz, brauchen Menschen, die verstehen, was mit ihnen los ist."

Eine schwerwiegende Folge der Stigmatisierung von außen ist die Selbst-Stigmatisierung der Patienten, sagt die Psychiaterin.

Die Patienten übernehmen die Vorurteile gegen die Erkrankung. "Die schlimmste Auswirkung ist, dass die Kranken deshalb keine Hilfe suchen."

Angst, sich durch Offenheit zu schaden

Trotz aller Öffentlichkeitsarbeit der vergangenen Jahre hat sich die Situation in den vergangenen Jahren nicht substanziell verbessert, berichtet Gudrun Schliebener, Vorsitzende des Bundesverbands der Angehörigen Psychisch Kranker. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn Betroffene und Angehörige offen mit der Erkrankung umgehen würden.

"Aber wer das tut, hat nach wie vor mit Nachteilen bis hin zur totalen Vereinsamung zu rechnen", betont sie.

Die Isolation betreffe nicht nur die Kranken, sondern ganze Familien. "Die Ablehnung kommt von der Gesellschaft und den Institutionen und zieht sich bis in den privaten Bereich."

Während ihr Verband gezielt die Öffentlichkeit sucht, haben die meisten Angehörigen Angst, den betroffenen Familienangehörigen durch Offenheit zu schaden.

Schliebener berichtet von einer Kinderärztin, deren Sohn psychisch krank ist. "Auch sie will nicht, dass es jemand erfährt."

Was die Aufklärung betrifft, muss noch viel geschehen, sagt auch Astrid Ramge, Projektkoordinatorin beim Aktionsbündnis Seelische Gesundheit.

"Nach wie vor kämpfen Menschen neben ihrem eigentlichen Leiden mit dem Stigma, wenn es um psychische Erkrankungen geht."

Schwelle für Betroffene

Ramge sieht die Entwicklung der jüngsten Vergangenheit aber positiver als Schliebener. "Es hat sich in den vergangenen Jahre schon sehr viel getan." Dazu hätten nicht zuletzt die Aktionswochen zum Tag der seelischen Gesundheit beigetragen.

"Wir haben immer mehr Zulauf bei den Veranstaltungen, die Resonanz bei den Besuchern und in der Öffentlichkeit ist gut", sagt sie.

Die Medien würden das Thema psychische Erkrankungen verstärkt aufgreifen und für mehr Offenheit werben. "Gleichwohl ist für die Betroffenen immer noch eine große Schwelle zu überwinden."

Die Weiterentwicklung der Wissenschaft könnte bei der Entstigmatisierung helfen. "Das Gehirn ist das komplexeste Organ, und wir fangen jetzt erst an, die Komplexität zu begreifen", sagt Psychiaterin Roth-Sackenheim.

Je mehr man über die Zusammenhänge erfährt, desto größer wird das Verständnis für psychische Erkrankungen, hofft sie. "Niemand kann erwarten, dass ein solch komplexes Organ weniger erkrankt als das Herz oder die Leber."

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