Özdemir nimmt Industrie in die Pflicht
Untersuchung: In Fertigprodukten für Kinder stecken noch immer viel Zucker, Fette und Salz
Jedes Kind soll die Chance haben, sich gesund zu ernähren und aufzuwachsen. Bundesernährungsminister Özdemir sieht hier bei der Zielerreichung noch Defizite – und nimmt die Lebensmittel-Industrie in die Pflicht, stärker Zucker, Salz und Fette zu reduzieren.
Veröffentlicht:
Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) verdeutlicht mit Hilfe von Zuckerwürfeln den aus seiner Sicht zu hohen Zuckergehalt von Fertiggetränken für Kinder.
© Bernd von Jutrczenka / dpa
Berlin. In Fertigprodukten stecken noch immer zu viel Zucker, Fette und Salz. Dies gilt auch für Produkte mit Kinderoptik, die teilweise sogar mehr Zucker oder Fett enthalten als vergleichbare Produkte ohne Kinderoptik.
Das ist das Ergebnis eines Sonderberichts zu Produkten mit Kinderoptik auf Grundlage der unabhängigen, wissenschaftlichen Untersuchungen des Max Rubner-Instituts (MRI) der letzten Jahre sowie des Produktmonitorings 2022 für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), für das rund 7.000 Produkte untersucht wurden.
Weiterhin hoher Zuckergehalt
Bundesernährungsminister Cem Özdemir stellte die Ergebnissse am Dienstag in Berlin vor, die auch ein Abbild dessen geben sollen, wie weit die von Amtsvorgängerin Julia Klöckner (CDU) verfolgte Strategie der freiwilligen Selbstverpflichtung der Industrie am Runden Tisch Erfolge zeigt.
Wie das Produktmonitoring aus dem Herbst 2022 zeigt, sind die Zuckergehalte trotz Reduktionen bei bestimmten Lebensmitteln in gesüßten Milchprodukten, Frühstückscerealien und Erfrischungsgetränken sowie die Salz- und Fettgehalte in Suppen, Eintöpfen und Instantgerichten weiterhin hoch.
Mit einem wissenschaftlichen Produktmonitoring dokumentiert das MRI regelmäßig die Veränderungen der Energie- und Nährstoffgehalte in den relevanten Lebensmittelgruppen und überprüft damit die Reduktionsbemühungen der Lebensmittelwirtschaft.
Wie die vertiefte Auswertung des Zuckergehalts von gesüßten Erfrischungsgetränken mit Kinderoptik zeigt, hat sich in den letzten fünf Jahren kaum etwas verändert. Im Gegenteil: Die besonders zuckerhaltigen Kindergetränke sind sogar noch zuckriger geworden. Seit 2019 ist das obere Viertel der Zuckergehalte von 7,4 g/100ml auf 8,4 g/100ml gestiegen. Das entspricht umgerechnet fast sechs Zuckerwürfeln in einem üblichen 200ml-Trinkglas.
Meinungsabschlag in Schwarzer-Peter-Manier
Dazu sagt Özdemir: „Egal ob gesüßte Erfrischungsgetränke oder Frühstücksflocken: Der Zuckergehalt in Lebensmitteln für Kinder ist immer noch zu hoch. Bei den Getränken ist er sogar teilweise gestiegen. Gerade in den Flakes mit lustiger und bunter Kinderoptik steckt oft mehr Zucker als in vergleichbaren Produkten für Erwachsene. Und leider ist es auch so, dass die Produkte, die besonders viel Zucker, Fette und Salz enthalten, uns oftmals besonders gut schmecken – und auch dazu verleiten, mehr davon zu essen, als es gut für uns ist. Jedes Kind in Deutschland soll die Chance haben, gesund aufzuwachsen – und zwar unabhängig von dem Einkommen der Eltern, der Bildung oder der Herkunft. Deshalb kämpfe ich für einen besseren Kinderschutz und gute Ernährung. Gerade im Kindesalter wird das Ernährungsverhalten entscheidend für das weitere Leben geprägt.“
Professor Pablo Steinberg, Präsident des Max Rubner-Instituts, ergänzt: „Von Beginn an stehen beim Produktmonitoring die Lebensmittel mit Kinderoptik im Fokus. Dies ist uns deshalb so wichtig, weil schon bei den Jüngsten durch ungünstige Ernährung die Grundlage für spätere ernährungsmitbedingte Erkrankungen gelegt wird.“
Lebensmittelindustrie kontert
Die Lebensmittelindustrie lässt solche Anschuldigungen natürlich nicht auf sich sitzen – und bewertet andere Teile des MRI-Monitorings. So teilte der Lebensmittelverband am Dienstag auch stante pede mit, die freiwillige Reformulierung von Lebensmitteln schreitet weiter sehr gut voran.
Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands, kommentiert die aktuellen MRI-Ergebnisse so: „In den beobachten Kategorien zeigen sich teilweise beachtliche Erfolge. Damit beweisen die Hersteller, dass sie trotz der immer wiederkehrenden Kritik aus der aktuellen Leitung des Bundesministeriums unbeirrt an ihren Versprechen festhalten und ihre Produkte bestmöglich weiter optimieren. Klar ist, dass in unterschiedlichen Produktgruppen auch unterschiedliche Möglichkeiten der Reduktion gegeben sind – abhängig von technologischen und geschmacklichen Voraussetzungen. Auch wenn selbsternannte Experten für Produktentwicklung gerne etwas anderes behaupten, wenn sie der Lebensmittelwirtschaft den Rat geben, sie müsse doch nur ihre Rezepturen drastisch ändern. Diese Behauptungen entlarven deren Unverständnis und Unwissen in Bezug auf Lebensmitteltechnologie und -sicherheit.“
Auf Ärzteseite sind unterdessen offensichtlich schon beide Parteien in Ungnade gefallen. Vor Kurzem erst monierten die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG), Özdemir habe wichtige Vorhaben seiner Pläne zur Einschränkung an Kinder gerichteter Lebensmittelwerbung auf dem Opferaltar der FDP dargebracht, das angedachte Gesetz könne somit nur noch zum Papiertiger reifen.