Hauptstadtkongress
Übergang ins Primärarztsystem droht holprig zu werden
Beim Hauptstadtkongress sprechen Vertreter aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens über Primärarztmodelle. Eins steht fest: Ein Selbstläufer wird dies keineswegs.
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Erstmal zur Hausärztin, bevor es gegebenfalls weiter zu den Fachkollegen geht, so der Ansatz des geplanten Primärarztsystems. Aber können die Hausarztpraxen dies überhaupt leisten?
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Berlin. Nach dem Willen der schwarz-roten Koalition im Bund soll jetzt das Primärarztsystem zu einer besseren Patientensteuerung führen und die Praxen entlasten. Nur ein neuer Name für alten Wein und neuen Schläuchen?
Vergleichbares ist unter anderen Namen bereits bekannt, siehe Hausarztzentrierte Versorgung, weshalb Petra Brakel, Vorsitzende der Geschäftsführung Deutschen Rentenversicherung Knappschaft Bahn See, nichts Gutes schwant: „Allein der Begriff Primärarztsystem ist schon so einer weiterer, den die meisten Menschen außerhalb des Gesundheitssystems nicht verstehen.“
Überhaupt, dass das geplante Einsparpotenzial von zwei Milliarden Euro über das geplante Primärarztsystem zu erreichen sei, hält Brakel für „nicht realistisch“. Darin stimmte ihr Professor Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), zu. In gewohnt hemdsärmeliger Art schilderte er, wie er im Bundesgesundheitsministerium angerufen und gefragt habe, „seid Ihr besoffen, wo kommt denn diese Zahl her?“.
Auch Hecken äußerte Zweifel am neuen Lenkungssystem. „Einfach mal sagen, wir schicken jeden zuerst zum Hausarzt, wird zum Flop des Jahres.“ Die Hausärzte seien eh schon überlastet. Er plädierte für Primärversorgungszentren mit vorgelagerten digitalen Einschätzungssystemen. Die könnten dann mit Nurses oder Physician Assistants besetzt werden.
Zu viele Arztkontakte in Deutschland
Das grundsätzlich Handlungsbedarf besteht, stellte nochmals Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt klar: In Deutschland gebe es 9,6 Arztkontakte pro Jahr und Bürger; nahezu jeder zweite Patient (1,84) habe gar einen zweiten Hausarzt.
Außer Zahlen hatte Reinhardt auch ein ganz praxisnahes Beispiel zu bieten: Viele Menschen würden ihre Niere auf Höhe des Iliosakralgelenks verorten. Manche Patienten liefen dann, sofern es dort schmerze, zum Urologen wegen eines vermeintlichen Nierenleidens.
Da sei nichts, heiße es dann bei jenem, der ihn dann zurück zum Hausarzt schicke oder zum Orthopäden. „Damit ist schon ein Arztbesuch zu viel erfolgt, nämlich der beim Urologen“, resümierte Reinhardt, der darauf setzt, dass so etwas im Primärarztsystem verhindert werden könnte.
Dass nicht alle Fachgebiete das Modell begrüßen würden, verhehlte auch Reinhardt nicht: „Die Ärzteschaft steht heterogen dazu, die Mehrzahl begrüßt es aber.“ Angesichts des aktuell völlig freien Zugangs, sei zunächst mit „niedrigschwelliger Zustimmung“ der Patienten zu rechnen, man müsse langsam anfangen.
Kritische Übergangsphase
„Die Übergangsphase ist kritisch“, warnte auch Prof. Leonie Sundmacher, die Gesundheitsökonomie an der TUM School of Medicine und Health lehrt. „Wir sind umzingelt von Ländern mit Primärarztsystemen“, berichtete das Mitglied im Sachverständigenrat Gesundheit & Pflege. In den meisten Ländern sei die Teilnahme fakultativ, aber dort gebe es teils eine Teilnahmequote von 90 Prozent.
Das A und O sei eine hohe Registrierungsquote zu erreichen, so Sundmacher, sonst könnten die Krankenkassen auch keine guten Beiträge kalkulieren. Was nicht funktioniert, wusste auf jeden Fall Kassenvertreterin Petra Brakel zu berichten: Der Versuch einer Lenkung in hausarztzentrierte Modelle „funktioniert bei der Knappschaft nicht“. (bar)