BMG-Gutachten

Viele Hebammen denken über Berufsaufgabe nach

Schlechte Arbeitsbedingungen vermiesen Geburtshelferinnen die Freude am Beruf. Die Mütter fühlen sich aber trotzdem meistens gut betreut.

Christiane BadenbergVon Christiane Badenberg Veröffentlicht:
Im Einsatz: Eine Hebamme hat das Schild „Hebamme im Dienst“ hinter die Windschutzscheibe ihres geparkten PKW gelegt,

Im Einsatz: Eine Hebamme hat das Schild „Hebamme im Dienst“ hinter die Windschutzscheibe ihres geparkten PKW gelegt,

© Oliver Berg / dpa

Berlin. Mehr als 40 Prozent der Hebammen denken über eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit nach. Über ein Viertel von ihnen erwägt sogar, den Beruf ganz aufzugeben. Das geht aus einem Gutachten zur Hebammenversorgung in Deutschland hervor, das das IGES-Institut im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums erstellt hat.

Die Nachricht ist vor allem deshalb problematisch, weil 70 Prozent der Geburtskliniken vor allem in den städtischen Regionen einen steigenden Bedarf an Hebammen in den kommenden fünf Jahren erwarteten, so die Studienautoren.

So haben bereits jetzt 57 Prozent der Geburtskliniken Vakanzen von etwa 18 Prozent ihrer Planstellen. Etwa die Hälfte dieser Kliniken hat dabei Probleme, die Stellen zu besetzen.

Zu viele fachfremde Tätigkeiten

Viele Hebammen hadern mit ihren Arbeitsbedingungen. So erhalten sie für fachfremde Tätigkeiten wie Reinigung, Hol- und Bringdienste sowie Verwaltungsaufgaben wenig Unterstützung.

Dabei berichte ein Großteil der Hebammen, dass sich der Verwaltungs- und Dokumentationsaufwand in den letzten Jahren teilweise stark erhöht habe.

82 Prozent der an der Studie teilnehmenden Hebammen gaben an, dass mehr Personal in den Berufsgruppen Sekretärinnen, Putzhilfen, Hol- und Bringdienste oder Pflegekräfte ihre Arbeitssituation verbessern würde.

„Hebammen müssen von fachfremden Arbeiten wie Putzen entlastet werden“, fordert entsprechend die Grünen-Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther. Zudem bräuchten gerade junge Hebammen familienfreundliche Arbeitsbedingungen. „Nur so kann man mehr Hebammen für die Arbeit in der Geburtshilfe gewinnen“, so Kappert-Gonther.

Mütter sind mit Hebammen sehr zufrieden

Die Unzufriedenheit der Hebammen mit ihren Arbeitsbedingungen wirkt sich aber offenbar nicht auf ihre Tätigkeit aus. So fühlten sich 91 Prozent der 1770 Mütter, die an der Umfrage teilgenommen haben sehr oder eher freundlich und respektvoll von den Hebammen behandelt.

Auf 94 Prozent der Mütter machten die Hebammen einen sehr oder eher fachlich kompetenten Eindruck. Allerdings beklagte jede vierte Mutter, die Hebamme habe nicht genügend Zeit für die Betreuung gehabt. Mit der Betreuung auf der Station waren nur 68 Prozent der Mütter sehr oder her zufrieden.

„Das Gutachten zeigt, dass wir in Deutschland insgesamt über eine gute Versorgung in der Geburtshilfe im Krankenhaus verfügen. Das spiegelt sich in der Zufriedenheit der Mütter wider“, kommentiert der parlamentarische Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium Dr. Thomas Gebhart die Studie.

Wie die Arbeitsbedingungen der Hebammen schnell und wirksam verbessert werden könnten, werde zusammen mit den Hebammenverbänden und weiteren Beteiligten besprochen, kündigte Gebhart an.

Engpässe vor allem in großen Städten

Beim Betreuungsschlüssel gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Kliniken, mit teilweise hohen Belastungsspitzen. So betreut ein Viertel der 2264 Hebammen aus 483 Geburtskliniken, die an der Befragung teilgenommen haben, in einer üblichen Schicht vier und mehr Frauen im Kreißsaal gleichzeitig.

An Level 1-Perinatalzentren gilt das sogar für ein Drittel der Geburtshelferinnen. An kleinen Geburtskliniken trifft das dagegen nur auf ein Zehntel der Hebammen zu. In 28 Prozent der Schichten müssen Hebammen überdurchschnittlich viele Gebärende betreuen. Das heißt, sie kümmern sich um vier oder mehr Frauen gleichzeitig.

Die Kapazitätsengpässe, die sich in zeitweise deutlich verschlechterten Betreuungsschlüsseln und in stellenweisen Aufnahmestopps von Kreißsälen zeigen, seien keine flächendeckende Erscheinung, aber auch nicht mehr seltene Einzelfälle, heißt es in dem Gutachten.

Vor allem in den großen Geburtskliniken und Zentren sowie in den großen Städten würden die verfügbaren Arbeitskapazitäten der Hebammen angesichts des Geburtenanstiegs nicht mehr ausreichen, um in Phasen mit überdurchschnittlicher Nachfrage den üblichen Versorgungsstandard aufrecht zu erhalten.

Gutachter empfehlen Fusionen

Die Kapazitätsengpässe können nach Auffassung der Studienautoren zum Beispiel durch eine Konzentration von Geburtshilfekliniken reduziert werden. So gebe es neben stellenweisen Überlastungen auch Unterauslastungen, zum Beispiel in kleineren Kliniken und in ländlichen Regionen.

Zahlen zur Personalbedarfsmessung zeigten, dass Geburtskliniken mit der für einen 24/7-Betrieb Mindestpersonalausstattung von 5,65 Hebammen in Vollzeit eine vollständige Auslastung bei einer jährlichen Geburtenzahl von etwa 600 erreichten. Im Jahr 2018 habe es aber 183 Geburtskliniken mit weniger als 600 Geburten gegeben.

Wenn diese Kliniken die für einen 24/7-Betrieb notwendige Zahl an Hebammen beschäftigten und entsprechend unterausgelastet seien, „ließe sich durch Fusionen und Standortkonzentrationen der Hebammenbedarf bei gleicher Geburtenzahl reduzieren“, heißt es in der Studie. So könnte die frei werdende Arbeitskraft in anderen Geburtskliniken eingesetzt werden.

Krankenhausplanung ist der Schlüssel

Allerdings geben die Autoren selbst zu bedenken, dass die Hebammen auch bereit sein müssten, an einem weiter entfernten Krankenhausstandort zu arbeiten.

Außerdem müsste bei einer solchen Konzentration auch die Erreichbarkeit in den ländlichen Regionen berücksichtigt werden.

Zudem ließen sich solche Konzentrationsprozesse nur mittel- bis langfristig im Rahmen der Krankenhausplanung der Bundesländer anstoßen, schreiben die Gutachter.

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