Unterschiede zwischen GKV und PKV
Wartezeit auf Arzttermin: Beim Aufregerthema wird oft mit Daten geschludert
Wartezeiten auf einen Arzttermin sind für viele ein Ärgernis. Oder doch eine Facette der Benachteiligung von GKV-Versicherten? Bei dem Streit, der darüber tobt, kommt ein Blick auf die Zahlen zu kurz. Dabei könnte er Mythen entkräften.
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Wie viele Tage vergehen bis zu einem Arzttermin? Die Debatte darüber ist ein Aufreger, der auch die Politik bewegt.
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Berlin. Es ist ein Thema, das nicht mehr weggeht. Doch seine Tragweite und Bedeutung wird grundlegend unterschiedlich wahrgenommen. Die Rede ist von Wartezeiten für die Patientinnen und Patienten auf einen Arzttermin.
In unregelmäßigen Abständen werden Vorwürfe insbesondere gegen Fachärztinnen und Fachärzte erhoben. Jüngstes Beispiel ist der Sozialverband VdK. Wer gesetzlich krankenversichert sei, warte „wesentlich länger“ auf einen Facharzttermin als Privatversicherte. „Diese Erfahrung von Millionen Menschen kann nicht wegdiskutiert werden“, meldete sich VdK-Präsidentin Verena Bentele zu Wort.
Bentele erhebt massive Vorwürfe – etwa den, dass Vertragsärzte oft nicht ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkämen, mindestens 25 Stunden Sprechzeit für GKV-Versicherte pro Woche anzubieten.
Wer die Bevorzugung von PKV-Versicherten leugne, dem mache der VdK einen Vorschlag: Man könne großflächig kontrollieren, „um schwarze Schafe mit saftigen Geldbußen zu belegen“.
Sozialverband „schürt den Privatpatienten-Mythos“
Der Spitzenverband der Fachärztinnen und Fachärzte Deutschland (SpiFa) nennt die Vorwürfe „völlig haltlos“. Der Sozialverband schüre „mit falschen Zahlen den Privatpatienten-Mythos“.
So ging die Debatte mehrere Tage hin und her – die wenigsten machten sich freilich die Mühe, die empirische Grundlage für den Streit auszuloten. Dabei wäre die wichtig.
Honorarverhandlungen ante portas
Fachärzte-Chef Heinrich: Vertragsarztpraxen müssen 25 Stunden in der Woche geöffnet haben
Der Reihe nach – zunächst zur Arbeitszeit von Vertragsärzten: Diese wird für das Praxis-Panel des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) erhoben. Laut Jahresbericht 2023 arbeiten Vertragsärzte pro Woche durchschnittlich rund 45 Stunden. Bei Praxisinhabern in Städten sind es 43,9 Stunden, im Umland oder auf dem Land hingegen 47,2 Stunden.
Über alle Fachgebiete wird der größte Teil der Arbeitszeit für die Patientenversorgung eingesetzt: im Schnitt 36,4 Wochenstunden. Davon entfallen 29,3 Stunden auf den Direktkontakt mit Patienten (80 Prozent), 6,6 Stunden auf ärztliche Tätigkeiten ohne die Anwesenheit von Patienten und 0,5 Stunden für Notfalleinsätze.
Daneben komplettierten Fortbildung (1,4 Wochenstunden) und Praxismanagement (7,5 Stunden) den Arbeitstag von Vertragsarzt oder Psychotherapeutin.
Fast 82 Prozent der Kontaktzeit für GKV-Patienten
Der Vorwurf, die Arbeitszeit komme nicht ausreichend GKV-Patienten zugute, findet in den Zahlen des Zi-Praxis-Panels keinen Beleg. Demnach entfallen 81,8 Prozent der Arztkontaktzeit auf GKV-Patienten, 12,7 Prozent auf PKV-Patienten, 1,9 Prozent auf Krankenhausfälle sowie 2,1 Prozent auf Patienten im Kontext der Unfallversicherung.
Datenerhebungen, bei denen Wartezeiten von GKV- und PKV-Versicherten gemeinsam erfragt werden, gibt es indes nur wenige. Die KBV hat vergleichende Zahlen im Rahmen ihrer Versichertenbefragung nur bis einschließlich 2021 vorgelegt.
Eine alternative Datenquelle bildet der vom US-amerikanischen Commonwealth Fund (CWF) organisierte International Health Policy-Survey (IHP). Mit dem Survey im Jahr 2023, an dem außer Deutschland neun weitere Länder teilgenommen haben, wurde für Deutschland das Robert Koch-Institut beauftragt. Befragt wurden für die Erhebung im April und Mai 2023 insgesamt 2.005 Bundesbürger.
Die Wartezeiten auf einen Termin beim Hausarzt sind vergleichsweise kurz – hier sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern signifikanter als die zwischen den Versicherungssystemen: 48,7 Prozent (Frauen) und 50,1 Prozent (Männer) der GKV-Patienten erhielten laut Survey noch am gleichen Tag oder dem Folgetag einen Termin. Unter den PKV-Versicherten traf dies auf 44,9 Prozent der Frauen und 66,7 Prozent der Männer zu.
Zwei bis fünf Tage mussten 19 Prozent der GKV-versicherten Frauen und 30,2 Prozent der PKV-versicherten Frauen warten. Bei Männern traf dies auf 23,7 Prozent (GKV) und 23,1 Prozent (PKV) der Versicherten zu.
Unterschiede bei Wartezeiten auf Facharzttermin
Bei Facharztterminen splittet sich die Wartezeit je nach Versichertenstatus dagegen weiter auf: Können 17,6 Prozent der weiblichen GKV-Versicherten binnen einer Woche einen Termin realisieren, so fällt der Anteil bei PKV-versicherten Frauen mit 35,8 Prozent rund doppelt so hoch aus.
Noch stärker fällt der Unterschied bei denen aus, die länger als einen Monat auf eine Facharzt-Konsultation warten müssen: Unter den GKV-versicherten Männern sind dies 43,9 Prozent der Befragten, aber nur 17,5 Prozent ihrer PKV-versicherten Geschlechtsgenossen.
Eine Bevölkerungsbefragung, die der GKV-Spitzenverband im Dezember 2024 für die Gruppe der rund 74 Millionen GKV-Versicherten präsentiert hat, lässt indes erkennen: Beim Thema Wartezeiten geht es nicht allein darum, wie viele Tage bis zum Termin vergehen.
Auch die allgemeine Zufriedenheit mit dem deutschen Gesundheitssystem prägt die Wahrnehmung. 3.512 GKV-Versicherte zwischen 18 und 80 Jahren wurden dazu im März/April 2024 von einem Marktforschungsunternehmen befragt.
Im Vergleich zur Umfrage im Jahr 2019 zeigen sich bei den Wartezeiten auf einen Termin beim Hausarzt kaum Veränderungen: Drei Tage sind es im Durchschnitt, im Median beläuft sich die Wartezeit auf einen Tag. Für 52 Prozent der Befragten entspricht dies „genau ihren eigenen Wünschen“.
Geringe Veränderungen im Vergleich zu 2019
Bei Fachärzten betrug der Median der Wartezeit zehn Tage – wie schon bei der Erhebung 2019. 75 Prozent der Versicherten realisieren binnen 30 Tage eine Konsultation beim Facharzt – auch hier ergibt sich keine Veränderung zu 2019. Und der Anteil derer, die ihre Wartezeit auf Sprechzeit beim Facharzt als (viel) zu lang bezeichnen, ist mit 31 Prozent nur geringfügig gestiegen (2019: 29 Prozent).
Doch als die Interviewten danach gefragt werden, was sich nach „Ihrer persönlichen Erfahrung bei Ärzten im Vergleich zu vor 5 Jahren verändert“ hat, antworten 43 Prozent, die Terminwartezeiten seien „schlechter geworden“. 44 Prozent antworten – sachlich zutreffend – sie hätten sich kaum verändert.
Deutlich wird aus der Umfrage des GKV-Verbands auch, dass vielen Versicherten die Orientierung im Gesundheitswesen schwerfällt. Dieser Befund deckt sich mit bundesweiten Studien zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung.
49 Prozent der Befragten kannten im vergangenen Jahr nicht die Terminservicestellen der KVen (2019: 54 Prozent). Ähnlich sieht es bei der „offenen Sprechstunde“ aus, die grundversorgende Fachärzte seit September 2019 verpflichtend anbieten müssen. 42 Prozent der Versicherten kannten dieses Angebot vergangenes Jahr (immer) noch nicht.
Gassen: Medizinische Notwendigkeit ist entscheidend

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Wie diese Daten einzuschätzen sind, darüber wird in der Selbstverwaltung hart gerungen. KBV-Vorstandschef Dr. Andreas Gassen betont, wie schnell ein Patient einen Termin bekomme, sollte „grundsätzlich von der medizinischen Notwendigkeit abhängig sein“. Sehr häufig, so Gassen, sei die Dringlichkeit eines Termins aber subjektiv – „eine Wartezeit wird dann immer als unangenehm empfunden“, sagt Gassen der Ärzte Zeitung.
Wartezeiten bei planbaren Untersuchungen seien unter medizinischen Aspekten in der Regel „völlig vertretbar“. Schlussfolgerung des KBV-Chefs: „Jede Diskussion um Terminvergaben ist solange sinnfrei , solange es keine objektive medizinische Bewertung der Dringlichkeit gibt, die dann auch für Patienten verbindlich ist.“
Diesen Vorbehalt will Stefanie Stoff-Ahnis, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, nicht gelten lassen: „Kranke Menschen müssen bedarfsgerecht versorgt werden und wer echte medizinische Gleichbehandlung will, muss dafür sorgen, dass bei der Terminvergabe nicht mehr gefragt werden darf, ob jemand gesetzlich oder privat versichert ist“, sagt Stoff-Ahnis der Ärzte Zeitung.
Die Versichertenbefragung ihres Hauses zeige, dass ein Drittel der GKV-Versicherten länger als 21 Tage auf einen Termin in der Facharztpraxis warten müsse. „Das darf nicht sein.“
Für eine bessere Terminvergabe schlage der GKV-Verband eine gesetzliche Regelung vor, nach der alle Arztpraxen einen festzulegenden Anteil ihrer GKV-Termine tagesaktuell auf einem Onlineportal zur Verfügung stellen. „So ein Portal würde zum einen Transparenz über Terminoptionen erreichen, zum anderen könnten dann insbesondere auch Krankenkassen Termine für ihre Versicherten vermitteln“, betont Stoff-Ahnis.
Deutschland steht international gut da

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Bei allen gegensätzlichen Einordnungen der Selbstverwaltungspartner: Die Wartezeiten stellen sich im internationalen Vergleich immer noch günstig da. Zwei Beispiele aus dem Commonwealth Fund Health Policy Survey für 2021: Gefragt wurden über 65-Jährige, wie lange sie im akuten Erkrankungsfall auf einen Termin beim Arzt warten müssen.
Mehr als sechs Tage warteten nur vier Prozent der Befragten aus Deutschland – ein Spitzenwert. Überschaubar klein war diese Gruppe auch in den Niederlanden (fünf Prozent) und in der Schweiz (neun Prozent). Dagegen musste in den USA und in Schweden fast ein Viertel der älteren Patienten rund eine Woche warten (22 Prozent), in Kanada waren es sogar 31 Prozent.
Weiter wurden die über 65-Jährigen gefragt, wie häufig sie am Tag der Kontaktaufnahme mit der Arztpraxis keine Rückmeldung erhalten haben. Wiederum ist diese Gruppe in der Commonwealth-Umfrage in Deutschland mit sechs Prozent am kleinsten.
In den Niederlanden warten neun Prozent der älteren Patienten vergeblich am selben Tag auf eine Rückmeldung von Arzt oder Ärztin, in der Schweiz trifft dies auf zehn Prozent der Patienten zu. Wieder fallen die Ergebnisse in Schweden und in den USA (jeweils 21 Prozent ohne Rückmeldung) sowie in Kanada (27 Prozent) am schlechtesten aus.
„Gleichberechtigte Terminvergabe“
In Deutschland haben nicht nur der Bund, sondern auch die Bundesländer das Thema Wartezeit auf dem Schirm. Im März dieses Jahres nahm der Bundesrat eine von Niedersachsen eingebrachte Entschließung an, in der die Länderkammer eine „gleichberechtigten Terminvergabe in Arztpraxen“ fordert.
Darin wird die Bundesregierung aufgefordert zu prüfen, inwieweit die geltenden gesetzlichen Regelungen „zu einer Ungleichbehandlung von gesetzlich und privat Krankenversicherten im Rahmen der ambulanten medizinischen Versorgung bei der Terminvergabe führen“. Dabei sollten auch „neue Lösungsansätze“ geprüft werden. Als Beispiele werden die Kontingentierung von Terminen für PKV-Versicherte, respektive eine Mindestquote von Terminvergaben für GKV-Patienten genannt.
Antrag im Bundesrat
Minister Philippi: Wir müssen „Gerechtigkeit in den Wartezimmern schaffen“
„Zwei-Klassen-Medizin“, so der niedersächsische Gesundheitsminister Dr. Andreas Phillipi (SPD) im Bundesrat, sei für Millionen von gesetzlich Versicherten „frustrierende Realität“. „Dass gesetzlich Versicherte benachteiligt werden, ist nicht hinnehmbar. Ich weiß, dass diese Debatte vielen Ärztinnen und Ärzten nicht gefällt, weil sie als persönliche Kritik empfunden wird“, so der Facharzt für Chirurgie und SPD-Politiker.
Das sei kein Vorwurf an die Ärzteschaft. Die Probleme seien vielmehr „systemimmanent und über Jahre gewachsen“. Mit dem „Problem“ meint Philippi das duale System aus privaten und gesetzlichen Kassen.
Auf offener Bühne in der Länderkammer widersprach Philippi niemand. Doch in den zu Protokoll gegebenen Reden werden Vorbehalte deutlich: Schleswig-Holstein, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt erklären, dass sie „eine pauschale Einführung von Mindestquoten oder die Kontingentierung von Privatpatienten skeptisch sehen“.
Bayerns Staatsminister Florian Herrmann (CSU) ließ ausrichten, man halte wenig von Instrumenten, „die immer stärker in die freie Berufsausübung der Ärztinnen und Ärzte eingreifen“. Mit gleichem Tenor meldete sich auch die NRW-Landesregierung. Der Bundesrat täuscht somit nur Entschlusskraft vor: Zwar wird die Terminvergabe der Praxen als Problem wahrgenommen, einheitliche Antworten des Gesetzgebers sind aber derzeit nicht in Sicht.