Konzept vorgelegt
Ambulante Notfallversorgung: Kliniklobby mit Breitseiten gegen Vertragsärzte
Der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn scheiterte mit dem Plan, die Notfallversorgung neu aufzustellen. Jetzt versucht sich Nachfolger Karl Lauterbach daran. Die Kliniklobby prescht bereits mit Ideen vor – und macht klar, wer den Hut aufhaben soll.
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Notfall am Wochenende? Krankenhaus! Diesen Automatismus möchte die DKG in Zukunft umgesetzt sehen. Dabei geht es schon heute in der Notaufnahme oft hektisch zu. upixa / stock.adobe.com
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Berlin. Die Kliniklobby läuft sich warm für die angekündigte Notfallreform. Bei dieser habe der Fokus auf der ambulanten Notfallversorgung zu liegen, machte der Vorstandschef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Dr. Gerald Gaß, jetzt bei der Vorstellung eines Konzepts zur Reform der ambulanten Notfallversorgung deutlich.
Der Umbau habe auf bestehenden Strukturen aufzusetzen, sagte Gaß. Diese seien weiterzuentwickeln – „patientenorientiert“ und mit „klaren Verantwortlichkeiten“. Eine Reform müsse zudem sicherstellen, dass ambulante Notfallleistungen „auskömmlich“ finanziert seien.
Kommission schon am Thema dran
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte kürzlich erklärt, die von ihm eingesetzte 16-köpfige Krankenhauskommission befasse sich schon intensiv mit der Frage, wie die Notfallversorgung künftig aussehen solle. Sein Vorgänger im Amt, der CDU-Politiker Jens Spahn, hatte sich daran verhoben. Spahns Ansinnen, die Notfallstrukturen zu ändern, scheiterte – teils am Widerstand der Länder, teils am Gerangel zwischen Vertragsärzteschaft und Kliniklobby um Einfluss und Geld.
Dass es dringend einer Lösung bedarf, damit Bundesbürger bei leichten Erkrankungen oder kleineren Blessuren nicht gleich in die nächste Klinik-Notaufnahme rennen, darin sind sich alle Beteiligten einig. Bei der Frage, wer für die Patientensteuerung verantwortlich zeichnet, liegen die Vorstellungen aber weit auseinander.
Dieser Streit dürfte sich fortsetzen. Denn auch in ihrem jüngsten Vorstoß macht die Klinikseite keinen Hehl daraus, dass die Krankenhäuser bei der ambulanten Notfallversorgung ebenfalls den Hut aufhaben wollen. „Auch in ambulanten Notfallsituationen vertrauen die Menschen den Krankenhäusern“, schreibt die DKG. Krankenhäuser seien in der Regel die einzigen Institutionen im Gesundheitswesen, die eine 24/7-Versorgung ambulanter Notfälle gewährleisten könnten.
Deutlicher kann eine Breitseite gegen die Vertragsärzte kaum ausfallen. Diese mussten sich schon in der Vergangenheit den Vorwurf gefallen lassen, ihren Bereitschaftsdienst weder flächendeckend noch rund um die Uhr gut aufgestellt zu haben. Deshalb liefen Patienten dann auch ungefiltert in die nächste Notaufnahme.
INZ als Kernstück der Reform
Grundsätzlich soll die Behandlung ambulanter Notfälle laut DKG in „Integrierten Notfallzentren“ (INZ) erfolgen. Dort arbeiteten Kassenärztliche Vereinigung (KVen) und Krankenhaus „eng zusammen“. Die Zentren sollen an all den Krankenhäusern vorgehalten werden, die gemäß den Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) einer Stufe des stationären Notfallsystems zugeordnet sind. In ländlichen und strukturschwachen Regionen sollten die Länder auch an Krankenhäusern ohne Basisnotfallstufe den Aufbau von INZ „beauftragen“ können.
Bestandteile eines INZ sollen laut DKG Portal- oder Bereitschaftsdienstpraxen an den Krankenhäusern sein. Diese könnten von der KV organisiert und betrieben werden. Hinzu kämen Notfallaufnahmen oder Ambulanzen, die vom Krankenhaus verantwortet würden.
Als „Verbindungsstück“ beider Elemente soll ein gemeinsamer Tresen für ambulante Notfälle dienen: Patienten durchliefen dort ein standardisiertes Ersteinschätzungsverfahren: Ergebe dieses einen unmittelbaren Behandlungsbedarf, sei der Patient in die Notfallstrukturen des Krankenhauses zu steuern. Sei der Patient nicht direkt behandlungsbedürftig, vermittele „der Krankenhausmitarbeiter“ am Tresen einen Termin beim Haus- oder Facharzt. Das Krankenhaus soll dafür eine Servicepauschale erhalten, schwebt der DKG vor.
Dieses Prozedere soll jedoch nur an Wochentagen zwischen sieben Uhr und 19 Uhr gelten, stellt die DKG klar. Wochentags zwischen 19 Uhr und sieben Uhr morgens sowie an Wochenenden sowie Feiertagen sollen die vertragsärztlichen Notfallstrukturen laut DKG „im Regelfall“ geschlossen bleiben. Das entlaste die KVen und ermögliche ihnen, die vertragsärztlichen Notfallstrukturen an Wochentagen entsprechend den Vorgaben des G-BA zu besetzen, so die Begründung.
Nicht nachts und an Wochenenden
Dass der ärztliche Bereitschaftsdienst nicht hinreichend funktioniere, sei durch Zahlen belegt, gibt die DKG an. So betrage der Abdeckungsgrad der Öffnungszeiten der Bereitschaftsdienst- und Portalpraxen derzeit bundesweit 37 Prozent der Sollstunden. In sechs KV-Regionen liege er gar unter 25 Prozent, nur in vier bei über 50 Prozent. Insbesondere an Wochenenden kämen teils erhebliche Versorgungsengpässe hinzu. Für Patienten, die sich in Lebensgefahr befinden oder unter großen Schmerzen leiden, soll laut Konzept weiter der Rettungsdienst zuständig sein.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat stets betont, der Bereitschaftsdienst sei flächendeckend 24 Stunden an sieben Tagen die Woche gewährleistet. In dünn besiedelten Regionen müssten die Menschen „im Zweifelsfall“ zwar weitere Wege zur Bereitschaftsdienstpraxis in Kauf nehmen, so KBV-Chef Dr. Andreas Gassen im Interview mit der Ärzte Zeitung. Das gelte dort aber für nahezu alle Dinge des öffentlichen Lebens.
DKG-Chef Gaß hingegen betonte nun, die „wichtigste Botschaft“ einer Reform der Notfallversorgung müsse sein: „Die Anlaufstelle für medizinische Notfälle ist das nächstgelegene Krankenhaus.“