Neue Strategie

Notfallreform: Mehr Arzt, weniger Algorithmus geplant

Die Koalition verlagert die große Notfallreform in die nächste Legislaturperiode. Kleine Teile sollen aber schon mal auf den Weg gebracht werden.

Anno FrickeVon Anno Fricke und Thomas HommelThomas Hommel Veröffentlicht:
Die große Notfallreform wird es in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben.

Die große Notfallreform wird es in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben.

© upixa / stock.adobe.com

Berlin. Ärzte sollen nun doch früher in die Ersteinschätzung von ambulanten Notfallpatienten im Krankenhaus einbezogen werden. Das sehen aktuelle Änderungsanträge der Regierungsfraktionen zum GVWG vor, die der „Ärzte Zeitung“ vorliegen.

Sie sehen im Zusammenhang mit der Neuausrichtung der Notfallversorgung viel Arbeit für den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) vor. Neu ist etwa die Vorgabe an die Selbstverwaltung, Fälle zu benennen, in denen im Einschätzungsverfahren zwingend ein Arzt hinzuzuziehen ist, der bestätigt, dass kein sofortiger Behandlungsbedarf vorliegt und der betreffende Patient nicht vor Ort – sprich im Krankenhaus – versorgt werden muss.

Damit greifen die Regierungsfraktionen einen Beschluss des 124. Deutschen Ärztetags von Anfang Mai auf. Der Ärztetag hatte die zunächst geplante isolierte Einführung des Ersteinschätzungsverfahrens am Tresen im Krankenhaus abgelehnt. Das Vertrauen der Patienten werde erschüttert, wenn sie ohne ärztliche Abklärung allein aufgrund der Einschätzung eines Software-Algorithmus abgewiesen werden könnten.

GBA erhält mehr Zeit

Die Frist, binnen derer der GBA seine Vorgaben zum Ersteinschätzungsverfahren zu beschließen hat, soll von sechs Monaten auf ein Jahr verlängert werden.

Konkret festlegen soll das Gremium demnach die Spielregeln, nach denen das Ersteinschätzungsverfahren abzulaufen hat. Vorgaben soll das Gremium auch zur Qualifikation des ersteinschätzenden Personals machen.

Bei seinen Festlegungen soll der GBA auch die in den zentralen Notaufnahmen bereits zur Anwendung kommenden „Verfahren zur Behandlungspriorisierung“ berücksichtigen. Die Koalition erhofft sich dadurch eine „sachgerechte Verknüpfung der Systeme zur Ersteinschätzung und zur Behandlungspriorisierung“.

Warnung vor Akzeptanzverlust

Festlegen soll der GBA überdies, „wann und wie“ Patienten, die eben keine Notfälle sind, an die Terminservicestellen, eine Portalpraxis im Krankenhaus oder an einen Haus- oder Facharzt weitergeleitet werden sollen. Dem „kleinen Gesetzgeber“ GBA stehen damit zahlreiche Detailberatungen ins Haus. Diese dürften auch vor dem Hintergrund des anhaltenden Kompetenzgerangels bei der Notfallversorgung zäh ausfallen.

Gleichwohl hatte GBA-Chef Professor Josef Hecken unlängst unterstrichen, Ziel des Ersteinschätzungsverfahrens müsse sein, allen Menschen rechtzeitig und qualifiziert zu helfen. Selbst denen, die „nur“ an die Terminservicestellen vermittelt werden sollten, da ihr Problem nicht akut sei. Sonst bestehe die Gefahr, dass die vom Gesetzgeber erwartete Patientensteuerung eventuell nicht greife.

Opposition hält Reform am Kochen

Trotz vieler Ankündigungen haben Union und SPD die Notfallreform in dieser Legislaturperiode nicht auf die Beine stellen können. Die Fraktionen von FDP und Grünen wollen nun mit Anträgen an den Bundestag das Thema in der Diskussion halten.

Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen fordert, die Ansiedlung von Notfallpraxen an bestimmten Krankenhausstandorten zwingend vorzuschreiben. Der Sicherstellungsauftrag für eine Integrierte Notfallversorgung solle auf die Länder übergehen. Zudem solle die Bundesärztekammer einen Facharzt für Notfallmedizin schaffen.

Die Liberalen sehen die Notfallversorgung in Integrierten Notfallzentren (INZ) unter fachlicher Leitung der Kassenärztlichen Vereinigungen. Dafür sollten das Vertragsarztsystem, Kliniken und der Rettungsdienst „maximal verzahnt“ werden. Die Notfallleitstellen sollten einheitlichen Standards folgen und die Notrufnummern 112 und 116117 integrieren.

Wechsel der Sicherstellung hat Haken

Vertreter der Kassenärzte haben vor einer Übertragung des Sicherstellungsauftrags für die Notfallversorgung an die Länder gewarnt. Derzeit seien alle Vertragsärzte zur Teilnahme an der Notfallversorgung verpflichtet. „Diese Pflicht entfällt, wenn dieser Teil des Sicherstellungsauftrags an die Länder geht“, sagte KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister am Mittwoch.

Die Länder müssten dann die Versorgung der Patienten außerhalb der Sprechzeiten sicherstellen und dafür Ärzte rekrutieren sowie Verträge mit Kassen abschließen. Die Bereitschaftsdienstnummer 116117 könne dann abgewickelt werden, heißt es zudem in der Stellungnahme der KBV.

Die KBV streicht zudem das „flächendeckende Netz von Bereitschaftspraxen“ der KVen an mehr als 700 Krankenhausstandorten heraus, dessen Ausbau die KBV unterstütze. Im Zuge einer Notfallreform müsse zudem der aufsuchende Bereitschaftsdienst „unbedingt erhalten“ bleiben, so die KBV.

DKG: Wir sind tragende Säule

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft bezeichnet sich in ihrer Stellungnahme als „tragende Säule“ der Notfallversorgung in Deutschland. Etwa 1200 Krankenhäuser seien daran beteiligt. Die Krankenhauslobby fordert, den Ländern das Recht zu übertragen, Krankenhäuser dauerhaft zur ambulanten Versorgung zuzulassen. Die DKG bietet den Vertragsärzten „partnerschaftliche Kooperation“ bei der Notfallversorgung an. Gemeinsam betriebene INZ an den Krankenhäusern lehnt die DKG allerdings ab. Grund: Die Krankenhäuser seien per se solche Zentren.

Die Bundesärztekammer wiederum sieht keine Notwendigkeit, einen eigenen Facharzt für Notfallmedizin zu installieren. Diese Qualifikationen seien in der Ärzteschaft breit vorhanden. „Die derzeitige Weiterbildung in der Allgemeinmedizin befähigt zu einer qualifizierten Akutversorgung im notfallmedizinischen Bereich“.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Anhörung im Bundesgesundheitsministerium

Versuch einer Reform der Notfallversorgung, der dritte!

Das könnte Sie auch interessieren
Der Gesundheitsdialog

© Janssen-Cilag GmbH

J&J Open House

Der Gesundheitsdialog

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
Impulse für den medizinischen Fortschritt: Welches Mindset braucht Deutschland?

© Springer Medizin

Johnson & Johnson Open House-Veranstaltung am 26. Juni 2025 beim Hauptstadtkongress

Impulse für den medizinischen Fortschritt: Welches Mindset braucht Deutschland?

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
J&J Open House beim Hauptstadtkongress

© [M] Springer Medizin Verlag

Video zur Veranstaltung

J&J Open House beim Hauptstadtkongress

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Mehr als ein oberflächlicher Eingriff: Die Krankenhausreform verändert auch an der Schnittstelle ambulant-stationär eine ganze Menge.

© Tobilander / stock.adobe.com

Folgen der Krankenhausreform für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte

Die Klinikreform bringt Bewegung an der Schnittstelle zwischen Praxen und Krankenhäusern

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztbank (apoBank)
Angepasste Endpunkte, moderne Studiendesigns und ungelöste Herausforderungen

© metamorworks / Getty Images / iStock

Krebsmedizin auf neuen Wegen

Angepasste Endpunkte, moderne Studiendesigns und ungelöste Herausforderungen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Pfizer Pharma GmbH, Berlin

Übersicht

Eine Agenda für Seltene Erkrankungen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa)
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Krebs in Deutschland

Bei zwei Krebsarten nahm die Sterblichkeit am stärksten ab

Lesetipps
Die Luftbelastung in Innenräumen mit Reinigungsprodukten betrifft jede Person. Sie beeinflusst unsere Lungenfunktion, und das lebenslang. Diese Gefahr wird unterschätzt. So die Meinung einer Pneumologin aus Italien.

© natali_mis / stock.adobe.com

Verschmutzte Luft

Was Reinigungsmittel in der Lunge anrichten können