Verbraucherschützer

Auf Kriegsfuß mit IGeL

Einträge über Augenärzte und Gynäkologen führen die Hitliste der Beschwerden auf dem Portal IGeL-Ärger der Verbraucherschutzzentrale NRW an. Diese lässt kein gutes Haar am IGeL-Alltag und sieht die Ärzte in der Pflicht.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Beratung in der Frauenarztpraxis: Bieten Gynäkologen ihren Patientinnen über die Maßen ergänzende IGeL-Krebsvorsorge an?

Beratung in der Frauenarztpraxis: Bieten Gynäkologen ihren Patientinnen über die Maßen ergänzende IGeL-Krebsvorsorge an?

© Klaus Rose

DÜSSELDORF/BERLIN. Patienten in deutschen Vertragsarztpraxen fühlen sich nach wie vor schlecht aufgeklärt in puncto Individueller Gesundheitsleistungen (IGeL) und zudem von behandelnden Ärzten zur Annahme angebotener Zusatzleistungen unter Druck gesetzt.

Diese Bilanz ergibt sich nach Lesart der Verbraucherschutzzentrale NRW (vzNRW) aus der Auswertung der Einträge auf der Online-Plattform www.igel-ärger.de ein Jahr nach Start des Beschwerdeforums.

Mit rund 1500 Beschwerden ist das Portal der Verbraucherzentralen nach eigener Einschätztung ein gefragtes Forum für Patienten, die dort ihre Erfahrungen mit Selbstzahlerleistungen eintragen können - in anonymisierter Form ohne zwingende Angabe persönlicher Daten.

Sorge um Qualität im IGeL-Alltag

Für Gerd Billen, Staatssekretär im Bundesverbraucherministerium, dienen die Einträge auf der Plattform vor allem als Spiegelung des IGeL-Alltags. "Die individuellen Erfahrungen liefern uns einen bislang schwer zugänglichen Einblick und einen wesentlichen Beitrag zur Diskussion über die Qualität der Angebote des ‚Zweiten Gesundheitsmarktes‘", so Billen.

Die Hitliste der angeblich fragwürdigen IGeL-Praxis führen dabei laut Verbraucherschützer die Glaukom-Vorsorge, das Hautkrebsscreening mit Auflichtmikroskopie sowie die ergänzende onkologische Prävention mittels Ultraschall beim Frauenarzt an - diese Einträge stünden in der Liste der Beschwerden an erster Stelle, heißt es.

"In der Regel unterliegen die Angebote keiner Qualitätskontrolle oder Unbedenklichkeitsprüfung, bevor sie auf den Markt und an den Patienten gelangen - der Nutzen der Leistungen ist häufig umstritten. Es ist daher wichtig, dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher unabhängig informieren können", fordert Billen in diesem Kontext.

Patientenrechte mit Füßen getreten?

NRW-Verbraucherzentralenvorstand Wolfgang Schuldzinski wittert gar eine Schieflage im Hinblick auf die vor Kurzem gesetzlich gestärkten Patientenrechte. "Die Einträge im Beschwerdeforum zeigen deutlich, dass die Regeln des Patientenrechtegesetzes in der Praxis vielfach nicht eingehalten werden", bilanziert Schuldzinski. Neun von zehn Patienten schilderten demnach im Forum, dass sie sich zu einem Ja für eine Selbstzahlerleistung gedrängt fühlten.

Fast 40 Prozent hätten beklagt, dass sie trotz fehlender schriftlicher Einwilligung nach der Behandlung zur Kasse gebeten wurden. In mehr als jeder zweiten Beschwerde sei die mangelhafte Aufklärung über die Behandlungsalternativen auf Kasse kritisiert worden. Sollten die letzten beiden Angaben auch tatsächlich der Wahrheit entsprechen, so läge ein klarer Verstoß der Praxen gegen rechtliche Vorgaben vor.

Hilfestellung zum sauberen IGeLn erfahren Ärzte unter anderem in einem gemeinsamen Ratgeber von Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Bundesärztekammer in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin zu IGeL für Patienten und Ärzte. Dieser fußt auf den zehn IGeL-Grundsätzen, die der Ärztetag 2006 in Magdeburg verabschiedet hat.

Kritik an Verzichtserklärungen

Wie bereits kurz vor dem letztjährigen Weihnachtsfest, so übt die VZ NRW auch dieses Mal weiter Kritik an sogenannten IGeL-Verzichtserklärungen. Jeder fünfte Patient sollte demnach aktuell bereits im Vorzimmer seine Zustimmung oder Ablehnung einer Selbstzahlerleistung auf einem Formular ankreuzen und unterschreiben.

"Die Verwendung solcher Verzichtserklärungen sind lediglich ein psychologisches Druckinstrument, das jeglicher rechtlichen Grundlage entbehrt. Solche Formulare sind unsinnig und gehören aus der Arztpraxis verbannt", erklärt Schuldzinski.

Mit den Ophthalmologen und den Gynäkologen schneiden in der Beurteilung durch die Patienten nach dem Urteil der VZ NRW zwei Facharztgruppen besonders schlecht ab. Nachweisliche Verstöße aufgrund von Forumsbeschwerden habe die Verbraucherzentrale bereits erfolgreich abgemahnt, wie sie betont.

"Nun gilt es, die Patientenrechte zu stärken und die Ergebnisse für eine Verbesserung der Geschäftsbeziehungen von Patienten und Ärzten auf dem Gesundheitsmarkt zu nutzen", postuliert Schuldzinski - garniert mit dem Hinweis der VZ NRW auf den teilweise umstrittenen medizinischen Nutzen einzelner Angebote.

Dies stellt eine Art Selbstreferenz auf den vom Medizinischen Dienst des GKV-Spitzenverbandes etablierten - und von dem Verbraucherzentrale Bundesverband unterstützten - IGeL-Monitor dar, bei dem nur wenigen Selbstzahlerangeboten aus wissenschaftlicher Sicht ein Nutzen zuerkannt wird.

Dies gipfelte vor Kurzem in einer Kontroverse mit der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie und dem Deutschen Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte, die das negative Votum des Portals der Glukokortikoid-Therapie bei Hörsturz kritisierten, da eine neue Leitlinie nicht berücksichtigt worden war.

"Wesentlich für Einhaltung des Verbraucherschutzes ist, dass sich Patienten und Ärzte auch bei einer medizinischen Geschäftsbeziehung auf Augenhöhe begegnen", fordert Billen für die Zukunft in IGeL-Praxen.

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