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Bei Merck Darmstadt übernimmt eine Ärztin aus Spanien das Kommando

Belén Garijo ist die erste Frau allein an der Spitze eines Dax-Unternehmens. Die Spanierin soll den traditionsreichen Pharma- und Chemiekonzern Merck voranbringen. Willensstärke hat die Medizinerin schon oft bewiesen.

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Hat in Darmstadt die Nachfolge Stefan Oschmanns angetreten: die Ärztin Belén Garijo.

Hat in Darmstadt die Nachfolge Stefan Oschmanns angetreten: die Ärztin Belén Garijo.

© picture alliance / Merck/dpa

Darmstadt. Als erste Frau an der Spitze eines Dax-Unternehmens führt Belén Garijo ab Mai den traditionsreichen Merck-Konzern. Das mehr als 350 Jahre alte Pharma- und Chemieunternehmen aus Darmstadt beruft mit der Spanierin als erster Dax-Konzern eine Frau allein nach ganz oben.

Garijo, die bis zuletzt die Pharma-Sparte bei Merck leitete, hat zum 1. Mai Stefan Oschmann abgelöst. Zuletzt hatte der Softwarekonzern SAP mit Jennifer Morgan und Christian Klein eine Doppelspitze, doch Morgan musste den Posten nach kurzer Zeit räumen.

Garijo, 1960 in der spanischen Kleinstadt Almansa geboren, soll den Familienkonzern Merck mit gut 58.000 Mitarbeitern auf Wachstumskurs halten. Das Unternehmen ist außergewöhnlich breit aufgestellt: Merck vertreibt Arzneien gegen Krebs, Unfruchtbarkeit und Diabetes ebenso wie Laborausrüstung für Forscher, Lacke für Autos und Pigmente für Kosmetik sowie Flüssigkristalle für Smartphone- und TV-Displays.

Zulieferer für Impfstoffentwickler

In der Corona-Krise beliefert Merck mehr als 50 Impfstoffentwickler weltweit mit Laborbedarf wie Einwegmaterialien oder Filtern. Den Mainzer Impfstoffhersteller BioNTech stellt Merck Lipide bereit, die den mRNA-Botenstoff beim Transport in den Körper umhüllen.

Bei Merck will Garijo mehr Frauen in Managementpositionen bringen und Diversität fördern. „Diversität ist wichtig, weil es gut für das Geschäft ist“, meint sie nüchtern. 35 Prozent der Führungspositionen bei Merck seien bereits mit Frauen besetzt. Von gesetzlichen Frauenquoten hält Garijo nichts. „Ich bin gegen jede Diskriminierung, positive wie negative“, sagt die Managerin, die im vergangenen Jahr fast 6,3 Millionen Euro verdiente.

Die Medizinerin Garijo, die Englisch mit hartem spanischem Akzent spricht, arbeitete in einem Krankenhaus in Madrid, bevor sie zum Pharmakonzern Abbott wechselte. Nach mehreren Stationen unter anderem beim französischen Branchenriesen Sanofi kam Garijo 2011 zur Merck KGaA mit der Zentrale in Darmstadt. Dort leitete die zweifache Mutter zunächst das Biopharma-Geschäft, bevor sie 2015 Chefin der Pharma-Sparte wurde. Um die Kindererziehung während der vielen Umzüge kümmerte sich viel ihr Mann.

Rückzug aus dem OTC-Geschäft

Unter Führung der Managerin schloss Merck Allianzen mit Branchenriesen wie Pfizer und richtete das Arznei-Portfolio auf die Krebsforschung und Krankheiten wie Multiple Sklerose aus. Aus dem Geschäft mit rezeptfreien Arzneien zog sich Merck dagegen zurück. Der sachliche, bestimmte Managementstil von Garijo trug Früchte: Mercks Pharmasparte, die jahrelang keine einzige Arznei-Zulassung erreicht hatte, hat wieder Medikamente in der Pipeline.

Zudem kann Garijo auf die Arbeit von Oschmann bauen. In den vergangenen Jahren kaufte Merck für Milliarden den Laborausrüster Sigma-Aldrich und den Halbleiterzulieferer Versum. Nun profitiert Merck von der Forschung an Corona-Impfstoffen und der hohen Nachfrage nach Chips. Keine schlechten Startbedingungen für Garijo.

Ausweitung der Lipid-Produktion

Kurz nach Amtsübernahme kündigte Garijo an, Merck werde die Produktion von Lipiden für den Mainzer Corona-Impfstoffhersteller BioNTech auszudehnen. „Wir haben bereits im zweiten Quartal Aufträge vorgezogen und werden in der zweiten Jahreshälfte unsere Lieferungen weiter ausbauen, um den hohen Bedarf an dringend benötigten Lipiden für BioNTech und unsere anderen Kunden zu decken“, sagte Garijo der Deutschen Presse-Agentur.

„Wir haben das Haus dafür auf den Kopf gestellt“, sagte die Spanierin. Merck habe seine Lipide-Produktion am Stammsitz Darmstadt und in Schaffhausen (Schweiz) erheblich ausgebaut. Teams aus Experten beider Unternehmen stünden in ständigem Kontakt. Merck und Biontech hatten die vertiefte Partnerschaft im Februar bekannt gegeben.

Lipide kommen bei der Herstellung des Corona-Impfstoffs zum Einsatz, den BioNTech mit seinem US-Partner Pfizer vertreibt. Dabei wird der Botenstoff des mRNA-Vakzins in eine Art Hülle verpackt, die aus Lipiden besteht. Diese fettartigen Moleküle sind wichtig, damit die Wirkstoffe des Vakzins im Körper freigesetzt werden können. Zu den wenigen anderen Firmen, die ebenfalls Lipide an BioNTech liefern, zählt der Spezialchemiekonzern Evonik.

Merck will unterdessen auch schon bald die eigene Belegschaft impfen, sobald genügend Impfstoff verfügbar ist. Am 3. Mai werde ein Pilotprojekt der hessischen Landesregierung am Standort Darmstadt starten, sagte Garijo. „Wir sind bereit, basierend auf unserer Erfahrung aus der Verabreichung der jährlichen Grippeimpfung an Tausende unserer Mitarbeiter.“ (dpa)

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