Bundessozialgericht

Hohe Hürden für Cannabis-Verordnung auf Kasse

Das Bundessozialgericht verlangt THC-verordnenden Ärztinnen und Ärzten einiges an Begründungsaufwand ab. Kassen könnten infolgedessen künftig häufiger einen Antrag zur Erstverordnung ablehnen.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Begehrt, aber zu Lasten der gesetzlichen Krnakenkassen nicht so leicht zu haben: THC-Präparate.

Begehrt, aber zu Lasten der gesetzlichen Krnakenkassen nicht so leicht zu haben: THC-Präparate.

© Kanjana Jorruang / Getty Images / iStock

Kassel. Das Bundessozialgericht hat hohe Hürden für die Verordnung von Cannabis zulasten der gesetzlichen Krankenkassen gelegt. Nach vier am Donnerstag, (10. November 2022) verkündeten Urteilen sind insbesondere die behandelnden Ärzte gefordert. Sie müssen umfassend begründen, warum andere „Standardtherapien“ nicht in Betracht kommen.

Das Gesetz ermöglicht die Verordnung von Cannabis seit März 2017. Voraussetzung ist eine „schwerwiegende Erkrankung“, deren Behandlung mit Cannabis eine begründete Erfolgsaussicht verspricht. Wenn es andere Therapiemöglichkeiten gibt, muss es Gründe geben, warum diese im konkreten Fall nicht angewendet werden können. Anders als sonst bei ärztlichen Verordnungen muss die Kasse die erstmalige THC-Verordnung genehmigen.

Erste höchstrichterliche Entscheidung

Um diese Voraussetzungen gab es immer wieder Rechtsstreitigkeiten. In vier Fällen hat nun erstmals das Bundessozialgericht hierzu höchstrichterlich entschieden. Die an Epilepsie, ADHS, Schmerzen sowie psychischen und weiteren Erkrankungen leidenden Kläger blieben überwiegend ohne Erfolg.

Das BSG stellte zunächst klar, dass eine „schwerwiegende Erkrankung“ sich stark „von durchschnittlichen Erkrankungen abheben“ muss. Entscheidend kommt es dabei auf die durch Schmerzen und Funktionsstörungen ausgelösten Beeinträchtigungen an, etwa bei der Erwerbsfähigkeit, der Fähigkeit zur Selbstversorgung sowie der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.

Ab einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 sei in der Regel davon auszugehen, dass die Schwelle zur „schwerwiegenden Erkrankung“ erfüllt ist, urteilte das BSG. Auch darunter sei die Verordnung von Cannabis aber nicht ausgeschlossen. Auch müsse der GdB nicht formell festgestellt sein; dem gleichwertige Erkrankungen reichen aus.

Ärzte müssen umfassend begründen

Laut BSG ist die Verordnung von Cannabis auch möglich, wenn mehrere leichtere Erkrankungen in der Summe zu vergleichbar schweren Beeinträchtigungen führen. Bisheriger Cannabis-Konsum und auch eine mögliche Abhängigkeit stehen der Verordnung nicht grundsätzlich entgegen.

Besonders hoch sind dabei aber die Anforderungen an die „begründete Einschätzung“ durch die Ärzte. Diese müssen den Krankheitszustand und das Behandlungsziel genau beschreiben. Auch müssen sie anführen, welche anderen Therapien sie erprobt haben und warum diese ausscheiden – etwa bei fehlendem Erfolg oder besonders schweren Nebenwirkungen. „Ultima Ratio“ sei Cannabis dabei aber nicht.

Die Nebenwirkungen alternativer Therapien müssen die Ärzte mit denen des Cannabis abwägen. Hierbei einbezogen sei auch die Frage der Sucht. Desweiteren müssen behandelnde Ärzte angeben, welches Cannabispräparat sie in welcher Dosierung anwenden wollen.

Fast ein Sachverständigengutachten

Ohne Erfolg hatten die Anwälte der Kläger argumentiert, derart hohe Anforderungen kämen einem Sachverständigengutachten gleich. Dafür hätten Ärzte im Praxisalltag keine Zeit. Ihre Vergütung für eine solche „begründete Einschätzung“ betrage zudem nur 15,08 Euro.

Wenn Ärzte die Anforderungen trotzdem erfüllen, darf die Kasse aber nur noch überprüfen, ob die Begründung „vollständig und nachvollziehbar“ ist. Wenn ja, darf sie die Cannabis-Versorgung nicht ablehnen.

Nach diesen Grundsätzen wies das BSG drei der vier Klagen ab. Die Klage eines ADHS-Patienten wies es zur weiteren Aufklärung an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in Celle zurück.

Bundessozialgericht, Az.: B 1 KR 28/21 R und weitere

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