Formulare und Co

Kampfansage an Bürokratiemonster

Der Arzt-Alltag in der Praxis ist mit Bürokratie gespickt. Jetzt wurden erste Daten in Praxen erhoben. Das Ziel: weniger Formulare.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
An alle Formulare gedacht? Die Bürokratie stellt hohe Anforderungen an Ärzte in Praxen und Kliniken.

An alle Formulare gedacht? Die Bürokratie stellt hohe Anforderungen an Ärzte in Praxen und Kliniken.

© Mathias Ernert

DÜSSELDORF. Die Zahl ist beeindruckend: Die niedergelassenen Ärzte müssen in ihren Praxen rund 500 Informationspflichten im Blick haben. Ursache sind nicht nur staatliche Vorgaben, sondern auch Regelungen der Selbstverwaltung, berichtete Staatssekretär a.D. Wolf-Michael Catenhusen auf dem 5. Rheinischen Ärztetag in Düsseldorf. "Ein Problem ist, dass sich bestimmte Informationen, die Ärzte an Dritte weitergeben müssen, überlappen", sagte er.

Catenhusen ist Stellvertretender Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrats (NKR) und Leiter des NKR-Projekts "Mehr Zeit für Behandlung - Vereinfachung von Verfahren und Prozessen in Arzt- und Zahnarztpraxen".

Der 2006 installierte NKR unterstützt die Bundesregierung beim Bürokratieabbau und sucht nach Möglichkeiten, Bürokratiekosten zu senken. "Wir haben in Deutschland eine starke Regulierungsintensität in der Selbstverwaltung, im Gesundheitswesen in besonderer Weise", sagte er.

Für das Praxen-Projekt hat der NKR in Zusammenarbeit mit der KBV und dem Statistischen Bundesamt die bestehenden Informationspflichten erhoben. Zu den Beteiligten gehören auch der GKV-Spitzenverband und das Bundesgesundheitsministerium. "Das Spannende ist, dass Ärzte und Kassen in unserem Projekt zusammensitzen. Das ist gruppendynamisch etwas sehr Spannendes", so Catenhusen.

In einer Vorerhebung hatten die Statistiker Ärzte in den Kassenärztlichen Vereinigungen Bayerns, Nordrhein und Westfalen-Lippe befragt, welche Dokumentationspflichten sie am meisten belasten. Das Ergebnis: Die Folgedokumentation im DMP Diabetes mellitus Typ 2, die Dokumentation von ambulanten Op, die Dokumentation der Aufbewahrung und Aufbereitung von Medizinprodukten sowie das Formular 4 (Krankenhaustransport) sind für die Ärzte die größten Ärgernisse.

Der NKR will nicht nur den bürokratischen Aufwand erheben, sondern auch Vereinfachungsvorschläge entwickeln und Einsparpotenziale identifizieren. Auf dieser Basis wollen die Beteiligten Handlungsempfehlungen erarbeiten - und ihre Umsetzung begleiten.

Der NKR hat damit begonnen, Ärzte in einstündigen Interviews zum Thema Bürokratiebelastung telefonisch zu befragen. Ärzte, die sich an der Befragung beteiligten möchten, können sich noch bis zum 10. März melden. Die Ergebnisse der Datenerhebung und der Interviews werden an die KBV zurückgespiegelt. "Bis zur Sommerpause werden wir die Datenermittlung abgeschlossen haben", kündigte der Projektleiter an.

Er geht von einer erheblichen finanziellen Belastung durch die Bürokratie aus. "Meine Nase sagt mir, dass es sich im Milliardenbereich bewegt." Die Bürokratiekostenerhebung der KV Westfalen-Lippe, die schon im Jahr 2006 auf einen bundesweiten Wert von 1,6 Milliarden Euro gekommen war, hält Catenhusen für durchaus realistisch. Er erwartet, dass diese Kosten im dreistelligen Millionen-Bereich gesenkt werden können.

Bei den Handlungsempfehlungen zur Entlastung der Praxen könnten auch Leistungen zur Disposition stehen, für die Ärzte eine Vergütung erhalten. "Wenn es um sinnvolle Beiträge zur Vereinfachung geht, kann das kein Ausschlusskriterium sein", betonte er.

Ziel sei es schließlich, mehr Zeit für die Patienten zu schaffen. In einer nächsten Projekt-Phase könnte sich die zuständige Arbeitsgruppe an die Sichtung der in den Praxen genutzten Formulare machen, berichtete Catenhusen.

Als neutraler Vermittler könne der NKR eine neue Qualität im Umgang mit bürokratischen Belastungen erzeugen. "Ich hoffe sehr, dass Sie davon etwas zu spüren kriegen", sagte er zu den Teilnehmern des Ärztetags.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 03.03.201414:09 Uhr

Bürokratiemonster: Auszahlungsschein fürs Krankengeld - Abschaffung zu bürokratisch?

Unnötiger Bürokratie- und Zeitaufwand entsteht mit den Auszahlungsscheinen für das Krankengeld in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV): Etwa 140 GKV-Krankenkassen halten weit über 100 verschiedene, selbst designete Formulare vor, in denen nicht mehr abgefragt wird, als schon auf einer Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit (AU) eines Versicherten (Muster 1a) in der „Ausfertigung zur Vorlage bei der Krankenkasse“ steht. Viele Krankenkassen fragen zusätzlich zu den AU-Angaben zum Krankengeld auf derselben Formularseite nach den Kontoverbindungen der Versicherten, die ihnen i. d. R. schon bekannt sind.

Die kontinuierliche Weiterverwendung einer AU-Bescheinigung von der Lohnfortzahlung bis zum Ende des Krankengeldbezuges wäre eine äußerst praktikable Vereinfachung und Entbürokratisierung. Vertragsärztliche Honorierungen dieser Vorgänge sind sowieso nicht vorgesehen. Obwohl ich diesen Vorschlag bei der KVWL, KBV und Entbürokratisierungskommission mehrfach schriftlich eingereicht habe, habe ich bis heute keine Antwort erhalten. Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) hat von diesem Vorschlag offenkundig noch nie etwas gehört.

Aber es wäre ja auch ein viel zu großer Bürokratie-Aufwand gewesen, meinen Vorschlag zum NKR einfach durch zu winken.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Andreas Petri 03.03.201412:46 Uhr

fehlender Kontakt der Verwaltungen zu den Leistungserbringern

Der Artikel über Bürokratieabbau ist aufschlussreich. Begrüßenswert ist der Wunsch, die Arbeit der Ärzte nicht weiter durch unnötige Formulare und Dokumentationspflichten zu behindern. Der Satz "Das Spannende ist, dass Ärzte und Kassen in unserem Projekt zusammensitzen. Das ist gruppendynamisch etwas sehr Spannendes" bringt das Ganze auf den Punkt. Leider wird die Verwaltung der Kassenärztlichen Vereinigungen oft mit der Sichtweise und Arbeit erbringenden Ärzte gleichgesetzt. Initiativen aus den KV-Verwaltungen, solche Befragungen zum Bürokratieabbau zu starten sind mir unbekannt. Die von uns finanzierten KV-Angestellten würden dann nämlich ihre eigenen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen torpedieren. Es ist aber hoffungsvoll, wenn Politiker und Verwaltungsmenschen erkennen, dass sie mit den Leistungserbringern reden müssen. Verbesserungen sind nicht von Gesprächen zwischen verschiedenen Verwaltungsebenen zu erwarten.
Für den hausärztlichen Kinder- und Jugendlichenbereich könnte ich mir Verbesserungen bei folgenden Formularen und Prozessen vorstellen:
-vereinfachte DMP-Asthma Meldung und Dokumentation (dazu angemessene Vergütung)
-Abschaffung unnötiger Einzelmeldungen und Nachfragen der Krankenkassen bei DMP
-Honorierung der verpflichtenden Vorsorgemeldungen oder Verpflichtung der Meldung durch die Eltern selber
-vereinfachte Formulare für Kinder AU, Reha-Maßnahmen, Transportscheinen
-Abschaffung der Verpflichtung, kostenfrei Bonushefte abzuzeichnen. Die Patienten sollten eine Kopie des Impfpasses oder des Vorsorgeheftes selbst bei den Krankenkassen hierfür einreichen. Einige Krankenkassen stellen mehr Geld für Boni zur Verfügung als für Arzthonorare; dies zeigt mit welcher Wertschätzung einige Krankenkassen mit den Leistungserbringern umgehen, für die sie sich halten
-Beendigung von Verschwendung bei neuen Formularen. Die alten sollten erst aufgebraucht werden bis neue verwendet werden (Beispiel neue DMP Formulare: tausende ältere teure Formulare sollten nicht mehr verwendet werden, schätze eine Geldverschwenung von ca 50.000 euro deutschlandweit, die Kassenärztliche Vereinigung wies die Verantwortung hierfür von sich). Solche "Peanut" Beträge summieren sich.
-alle Nachfragen der Krankenkassen, die nur der betriebswirtschaftlichen Struktur der Krankenkasse und nicht dem Arzt oder Patienten diesen, sollten mit einer hohen Gebühr belegt werden, die der Arzt unkompliziert mit einer EBM Abrechnungsziffer einfordern kann (z.B. DMP)
-offensichtlich unberechtigte Regressabfragen oder sonstige inkompetente Abfragen (in Fragestellung der STIKO empfohlenen Meningokokken-Impfung durch BKK-KK; in Fragestellung einer Salbutamolverordnung bei Bronchitis; dies liegt auch im Verantwortungsbereich der kassenärztlichen Vereinigung) sollten mit Strafgebühren sanktioniert werden, die unkompliziert durch eine EBM-Ziffern eingefordert werden kann
-Unsummen werden durch unsinnige Selbstüberweisungen der Patienten an Subspezialisten verursacht (z.B. ein Patient mit unkomplizierter Bindehautentzündung wird erst im Notdienst, dann beim Augenarzt und dann beim Kinderarzt vorgestellt; ein Patient mit leichter Neurodermitis wird erst beim Notdienst, dann beim Hautarzt, dann beim Allergologen, dann beim Kinderarzt, dann beim Familienallgemeinarzt und dann beim nächsten Kinderarzt vorgestellt - hier hätte eine Betreuung gereicht). Diese Mehrfachversorgung mit teilweise unnötiger Diagnostik und teilweise unnötigen Weiterüberweisungen und überflüssiger Diagnostik (manche Subspezialisten können kinderspezifischen Erkrankungen schwer einordnen) wird dem Honorar der Ärzte abgezogen. Hier müssen die Krankenkassen, die so etwas zulassen, zur Verantwortung gezogen werden.

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