Interview

Korruptionsstrafrecht für Ärzte: „Ein Sturm im Wasserglas war das nicht“

Fünf Jahre Korruptionsstrafrecht für Heilberufler. Wie stellt sich dessen Rechtswirklichkeit heute dar? Haben die Paragrafen 299a und 299b zu einer Ermittlungs- und Verfahrensflut geführt? Oder haben sie nur eine Regelungslücke an einem Punkt geschlossen, an dem sich höchstens alle Schaltjahre etwas tut? Wir sprachen mit dem Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Daniel Geiger.

Christoph WinnatVon Christoph Winnat Veröffentlicht:
Offerten dieser Art an freiberufliche Heilberufler ließen sich bis zur Einführung der Paragrafen 299a und 299b StGB Mitte 2016 strafrechtlich nicht ahnden.

Offerten dieser Art an freiberufliche Heilberufler ließen sich bis zur Einführung der Paragrafen 299a und 299b StGB Mitte 2016 strafrechtlich nicht ahnden.

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Anfang Juni 2016 traten die Paragrafen 299a und 299b Strafgesetzbuch in Kraft, mit denen erstmals Bestechung und Bestechlichkeit freiberuflicher Heilberufler strafrechtlich geahndet werden konnten. Nach einem wechselvollen Gesetzgebungsverfahren wurde der Entwurf am Ende um einige nicht ganz unwichtige Punkte entschärft: Man verzichtete darauf, Verstöße gegen berufsrechtliche Neutralitätspflichten als Korruptionstatbestand zu werten. Zudem wurden die zunächst weit gefassten handlungspraktischen Korruptionskontexte dahingehend eingeengt, dass auf Nehmerseite eigentlich nurmehr Ärzte zum Adressatenkreis gehören können. Kritiker sahen damit den ärztlichen Berufsstand unter Generalverdacht gestellt.

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Geiger, das Bundeskriminalamts weist für 2019 – das sind die aktuell vorliegenden Zahlen – bundesweit und über alle Branchen 5428 Korruptionsstraftaten aus und einen Schaden von 47 Millionen Euro. Auf Bestechlichkeit im Gesundheitswesen entfallen 135 Fälle, auf Bestechung 146. Auffällig ist die prozentual eklatante Fallentwicklung gegenüber Vorjahr. Bestechlichkeit hat sich 2019 verdreifacht, Bestechung fast verfünffacht. Woran liegt das?

Dr. Daniel Geiger: Man muss zunächst einmal wissen, dass der Umgang mit solchen Kriminalstatistiken nicht ganz trivial ist. Bei dem von Ihnen angesprochenen Bundeslagebild Korruption handelt es sich um eine Erhebung von Verdachtsfällen. Es geht also um die Eingangsstatistik. Also das, was bei den Landeskriminalämtern und Polizeibehörden angezeigt wird. Daher ist die Statistik auch sehr stark vom Anzeigeverhalten geprägt. Einerseits ist aber nicht alles, was zur Anzeige gelangt und einen Verdachtsfall begründet, am Schluss auch tatsächlich eine Straftat, die zur Verurteilung gelangt. Andererseits müssen wir bei den Korruptionsdelikten wiederum berücksichtigen, dass es sich um sogenannte Täter-Täter-Delikte handelt. Damit meint man, dass auf beiden Seiten Täter stehen, Geber und Nehmer einer Korruptionshandlung machen sich strafbar. Und das reduziert natürlich, anders als bei klassischen Täter-Opfer-Konstellationen wie etwa Diebstahl oder Raub die Anzeigewahrscheinlichkeit.

Das heißt, das, was in die Kriminalstatistik Eingang findet, ist unter diesem Aspekt ein bisschen mit Vorsicht zu genießen, weil einerseits eine hohe Dunkelziffer unterstellt werden könnte, andererseits aber eben auch viele Verdachtsfälle erfasst werden?

So ist es. Jetzt zu Ihrer Frage: Woran liegt das? Zunächst dürfte das relativ junge Alter der Strafrechtsparagrafen 299a und 299b eine Rolle spielen. Die beiden Paragrafen sind Mitte 2016 in Kraft getreten, da hatten wir statistisch ein Rumpfjahr, in dem nicht viel Eingang in die Kriminalstatistiken gefunden haben wird. 2017 und 2018 läuft das erst so langsam an. Wir hatten hier ja vorher eine Strafbarkeitslücke und nun werden auf einmal neue Straftatbestände in das Strafgesetzbuch eingeführt. Dann bedarf es natürlich zunächst einer gewissen Bewusstwerdung bei den Strafverfolgungsbehörden, dass man jetzt Instrumente hat, das zu greifen.

Zweiter Punkt: Es ist natürlich rein ermittlungstechnisch nicht ganz leicht, Korruptionsdelikte zu fassen. Korruptionsdelikte sind Heimlichkeitsdelikte, die im Verborgenen stattfinden. Ermittler gelangen deshalb nicht leicht an verwertbare Informationen. Dann sind es meist sehr komplexe Sachverhalte. Die zu ermitteln braucht seine Zeit. Es kann also dauern, bis die Ermittlungen zum Abschluss gelangen. Bedeutet, dass wir typischerweise in den ersten Jahren nicht viele Fälle sehen und es dann erst allmählich anflutet. Das könnte erklären, dass es eigentlich jetzt erst losgeht.

In Relation zur bundesweiten Arztzahl scheint dieses Korruptionsaufkommen verschwindend gering. Was sind nach Ihrer Kenntnis die häufigsten Sachverhalte der unlauteren Bevorzugung im Wettbewerb, wie ja im Gesetzestext ein Synonym für Korruption lautet?

Insbesondere anfangs haben wir sehr häufig das Thema Zuweisung gegen Entgelt gesehen. Das dominiert aus meiner Sicht die Verfahren, die es aktuell gibt, immer noch. Die Verfahren im Zusammenhang mit der Arzneimittel-Verordnung oder dem Bezug von Medizinprodukten scheint mir demgegenüber eine geringere Rolle zu spielen. Andererseits ist es so, dass es in solchen Verfahren häufig sehr viele Verdächtige gibt. Wohingegen es häufig bei Zuweisungen gegen Entgelt nur kleinere Täterpopulationen sind. Aber die Wahrnehmung ist schon noch die, dass der Komplex Zuweisung gegen Entgelt überwiegt. Wobei ich betonen möchte, dass das meine subjektive Wahrnehmung ist. Das muss nicht zwingend statistisch belegbar sein.

Zuweisung gegen Entgelt heißt, an der Grenze der ambulantem zur stationären Versorgung, Patientenzuweisung?

Richtig. Aber darüber hinaus auch die Zuweisung innerhalb eines Sektors, wenn Sie beispielsweise an Zuweisungsverhältnisse zwischen Orthopäden und Physiotherapeuten oder auch an den labormedizinischen Bereich denken; oder an Hörgeräteakustiker und HNO-Ärzte. Und es können sich natürlich auch innerhalb des stationären Sektors, bei Verlegungsfällen oder ähnlichem, einschlägige Konstellationen ergeben .

Vielfach wurde während des Gesetzgebungsverfahrens vor dem Reputationsschaden gewarnt, den schon eine staatsanwaltliche Ermittlung aufgrund eines Anfangsverdachts verursachen kann – ungeachtet dessen, dass sich dieser Verdacht später vielleicht in Luft auflöst. Sind Ihnen Fälle bekannt, in denen sich das bewahrheitet hat?

Es sind natürlich schon Fälle bekannt geworden, in denen es um Korruption im Gesundheitswesen ging. Da sind auch in der Tat Unternehmensnamen und ähnliches genannt worden. Die Ermittlungen dauern nach meinem Kenntnisstand noch an, so dass man jetzt nicht sagen könnte, dass der Reputationsschaden eingetreten ist, sich aber der Verdacht nicht bestätigt hätte. Ansonsten ist mein Eindruck, dass die Ermittlungsverfahren bislang überwiegend durchgeführt wurden, ohne immer auch gleich mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Das Interview zum Anhören

Das ausführliche Gespräch mit Charly Bunar im „ÄrzteTag“-Podcast.

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Die Diskussion um akute Rechtsrisiken drehte sich unmittelbar nach Inkrafttreten der Korruptionsparagrafen 299a und b vor allem auch um die legitime Vergütungshöhe für Niedergelassene, die nebenher gegen Honorar in Kliniken arbeiten. Hat sich diese Frage inzwischen geklärt? Oder ist das weiterhin vermintes Gelände?

Das angemessene Honorararzt-Honorar ist immer noch eine völlig offene Frage. Dazu gab es meines Wissens durch die Rechtsprechung bisher keinen Erkenntnisgewinn. Mir ist kein strafrechtlicher Fall bekannt, der dazu entschieden worden wäre. Natürlich gibt es Publikationen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Aber es gibt jetzt nicht einen Pflock, den die Rechtsprechung eingeschlagen hätte. Und ich prognostiziere, dass es den mittelfristig auch nicht geben wird, weil das Thema aus meiner Sicht überbewertet wird.

Inwiefern?

Nun, eine unangemessene Vergütung ist ja nicht per se strafbar. Sie ist es erst dann, wenn in dem ungemessenen Honoraranteil ein verkapptes Schmiergeld steckt. Das sind aber zwei Paar Schuhe. Man hat sich sehr stark auf dieses Thema gestürzt, aber es handelt sich bei einem auffällig hohen Honorar – darüber muss man sich eben auch im Klaren sein – nur um ein Indiz, aus dem sich möglicherweise Rückschlüsse ziehen lassen, nicht jedoch um ein handfestes Tatbestandsmerkmal. Die Schlüsse, die man daraus zieht, müssen erst einmal erhärtet werden. Die Strafverfolgungsbehörde muss beweisen, dass ein unangemessener Honoraranteil als Schmiergeld gedacht war.

In welchen Praktiken ist denn heute unter selbstständigen Heilberuflern Korruption im Besonderen und strafbares Handeln im Allgemeinen zu Hause? Sind Kick-back-Zahlungen für Verordnungen – das war ja mal der Anlass der Gesetzgebung – noch ein großes Thema?

Die Frage ist schwer zu beantworten. Die Architektur unseres Gesundheitswesens – das muss man so einfach anerkennen – sieht durchaus vor, dass fast der gesamte Warenfluss über den Rezeptblock des Arztes kanalisiert wird. Und dass Anbieter, die von Verordnungsentscheidungen abhängig sind, ein gutes Verhältnis zu Ärzten anstreben, ist insofern folgerichtig. Das ist ein ganz normales marktübliches Verhalten. Nun haben wir aber die Situation, dass genau derjenige, der dann letztlich über das wirtschaftliche Wohl und Wehe entscheidet, derjenige ist, der zu Recht auch unter Korruptionskontrolle gestellt wird. Und dann fangen die Abgrenzungsschwierigkeiten an: Was ist legitim, was ist legal und was ist möglicherweise illegal oder möglicherweise legal, aber nur illegitim? Da sind viele Nuancen denkbar.

Und dann kommt es wiederum darauf an, in welchem Interaktionsfeld man sich bewegt. Sind wir im Bereich des Arzneimittelvertriebs, des Medizinproduktevertriebs? Sind wir im Markt der Labormedizin, in dem man die Zuweisung von Untersuchungsmaterial möglicherweise sogar ankurbeln möchte. Aber natürlich gibt es auch die Verordnungsprämien und die Zuweiserprämien. Diese Fälle gibt es nach wie vor. Und das sind sicherlich Interaktionsformen, die, wenn sie in dieser glatten Form vorliegen, auch als Korruption zu ahnden sind.

Fünf Jahre Korruptionsstrafrecht für Heilberufler: Ein Sturm im Wasserglas?

Nein, ein Sturm im Wasserglas war das mit Sicherheit nicht. Allein die Einführung der Straftatbestände hat den Sektor wachgerüttelt. Viele überlegen sich Interaktionen bewusster, machen sich mehr Gedanken darüber, wie sie korrekt im Markt agieren. Unter diesem rein psychologischen Aspekt ist die Einführung der Straftatbestände kriminalpolitisch erstmal ein Erfolg gewesen.

Allerdings haben wir auch schon einige Verfahren gesehen, die sehr unglücklich geführt wurden, bei denen mit einem gewissen Fehlverständnis des Marktes agiert wurde. Das sehe ich durchaus als problematisch an. Und was wir darüber hinaus auch beobachten können, ist, dass die Straftatbestände teilweise instrumentalisiert werden. Wir haben meines Wissens interessanterweise noch kein strafrechtliches Urteil, aber zivilrechtliche, arbeitsrechtliche Urteile. Heißt, teilweise wird der Korruptionsvorwurf genutzt, um Verträge zu kündigen. Davon abgesehen, kann man mit dem Instrument jetzt erst einmal gut leben. Aber es wird sicherlich noch einiger Rechtsfortbildungen durch Gerichte bedürfen, bis man da festeren Grund unter die Füße bekommt.

Herr Dr. Geiger, vielen Dank für das Gespräch.

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