Pssst, nicht stören

Nickerchen für Krankenhaus-Mitarbeiter im Kommen

Kleine Schlafens-Auszeiten gehören in vielen Branchen zur Normalität – nun findet auch im Gesundheitswesen langsam ein Umdenken statt: In 30 britischen Kliniken können Mitarbeiter in speziellen Schlafkapseln ein Nickerchen halten.

Von Jula Wagner Veröffentlicht:
Im Gesundheitswesen sind Power Naps noch Mangelware. Aber es findet ein Umdenken statt.

Im Gesundheitswesen sind Power Naps noch Mangelware. Aber es findet ein Umdenken statt.

© Elnur /stock.adobe.com

Hamburg. Die provokante Frage des Time Magazine „Sollten Ärzte nappen?“ würden die meisten Kollegen wohl mit einem klaren Nein beantworten. Schlafen während der Arbeitszeit im Krankenhaus gilt als verpönt. „Man wird doch nicht fürs Schlafen bezahlt!“ oder „Wer schläft, ist faul.“ sind noch die harmloseren Reaktionen.

Das musste eine mexikanische Ärztin erleben, als ein Foto von ihr beim Schlafen während der Arbeitszeit im Internet einen regelrechten Shitstorm auslöste. Doch langsam beginnt auch im Gesundheitswesen ein Umdenken.

Immer mehr große Unternehmen, darunter Google, Nike, Uber, Ben&Jerry’s oder Cisco ermutigen ihre Mitarbeiter zu „Power-Naps“. Für diese Nickerchen von 20 bis 30 Minuten stellen sie ihren Mitarbeitern Rückzugsorte bereit. Denn wissenschaftlich gibt es mehr und mehr Anzeichen, dass kurze Leichtschlaf-Phasen im Arbeitsalltag die Leistungsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Emotionskontrolle verbessern können.

Power Nap dienstliche Vorschrift

Nur in den Krankenhäusern scheinen die Befunde aus der Schlafforschung in der Organisationskultur noch nicht angekommen zu sein: Power-Naps sucht man dort vergebens. Dabei geht es Ärzten und Pflegekräften wie Piloten und Truckern: Übermüdung kann zu potenziell tödlichen Fehlern führen. In der Luft sind Nickerchen längst Dienstvorschrift, auf Straße und Schiene müssen Pausen eingelegt werden. Und im Gesundheitswesen?

In Großbritannien hat die „Association of Anaestesists“ mit ihrer Kampagne #FightFatigue („Bekämpfe die Müdigkeit“) bereits reagiert, nachdem 2015 ein Assistenzarzt der Anästhesie nach einer Nachtschicht hinter dem Steuer eingeschlafen war und tödlich verunglückte.

Pilotprojekte in Großbritannien und USA

In einer kleinen Studie hatten australische Autoren schon vor über zwanzig Jahren gezeigt, dass 18 Stunden ohne Schlaf die kognitive und motorische Performance ähnlich beeinträchtigen wie 0,5 Promille Blutalkohol. Bei längeren Wachphasen waren die Beeinträchtigungen sogar mit einem Promille vergleichbar.

Pilotprojekte für Power-Naps in Großbritannien und den USA zeigen, wie damit im Gesundheitswesen umgegangen werden kann. Der National Health Service (NHS) in England hat in dreißig Krankenhäusern landesweit sogenannte Sleep-Pods aufgestellt.

In den USA stellen seit Ende 2020 Cleveland‘s University Hospitals ihren Mitarbeitern Sleep-Pods zur Verfügung. Die futuristisch anmutenden Schlafkapseln sind abgedeckte Liegen, die von der Außenwelt abschirmen und eine Liegefläche sowie eine Zeitschaltuhr als Wecker beinhalten.

Bis zu vier Stunden konzentrierter

Ärzte und Pflegekräfte sollen darin auch in lauter Umgebung einen ruhigen Ort für ein kurzes Nickerchen finden können. Nach dem Gebrauch erledigen LED-Lampen die Reinigung. Unterm Strich können solche Power-Naps 2,5 bis vier Stunden stabileres und konzentriertes Arbeiten ermöglichen, egal ob in Tag- oder Nachtschicht.

Physische und psychische Belastungen gehören für das Krankenhauspersonal zum Alltag. Gerade sie könnten von kurzen Schlafeinheiten gezielt profitieren. Deshalb sei die Anschaffung von Sleep-Pods gerade in herausfordernden Zeiten wie der Corona-Pandemie umso wichtiger, argumentieren Klinikverantwortliche. Aber schon vor der Pandemie zeigte die Arbeitsbelastung bei Ärzten und Pflegekräften Auswirkungen auf die Psyche. In den USA leiden 42 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte laut Medscape National Physician Burnout & Suicide Report 2020 an Burnout, 15 Prozent seien depressiv.

Ähnliche Ergebnisse erbrachte eine Umfrage des Marburger Bundes 2019 für Deutschland. 15 Prozent der Ärzte waren mit Burnout oder Depression aufgrund der Arbeitsüberlastung schon einmal in psychotherapeutischer Behandlung.

Die positiven Reaktionen auf die neuen Möglichkeiten, Naps auch während oder nach der Arbeit einlegen zu können, haben dazu geführt, dass sie landesweit im UK immer mehr ausgebaut werden.

#ichbinaucheingeschlafen

Wenn sich die Arbeitsbedingungen für das Personal in Krankenhäusern verbessern, werde dies auch die Patientenbetreuung verbessern. Davon sind auch die Präsidentin der britischen Association of Anaesthesists, Dr. Kathleen Ferguson, und mehrere Vorsitzenden verschiedener Krankenhausverbünde im Königreich überzeugt.

Wie groß weltweit der Wunsch und Bedarf an Ruhepausen im Krankenhaus ist, zeigen auch die 18.000 Posts von Krankenhauspersonal weltweit, die Fotos von sich oder Kollegen beim Schlafen aus Solidarität mit der mexikanischen Ärztin gepostet haben. Unter dem Hashtag #yotambienmedormí, auf Deutsch #ichbinaucheingeschlafen, zeigen sie, dass auch Ärzte und Pflegekräfte zwischendurch mal die Augen zumachen (müssen).

Warum also sollte es künftig nicht auch in deutschen Krankenhäusern heißen können: „Ich lege mich mal kurz hin“?!

Die Autorin ist Medizinstudentin und steht kurz vor dem dritten Examen.

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