Corona-Schutz

Praxiskontakt mit wenig Kontaktpunkten

Auch in der Corona-Pandemie erste Anlaufstelle für die Patienten sein, aber dennoch den Schutz der eigenen Mitarbeiter gewährleisten: Zwei Praxen setzen dabei auf einen digitalen Assistenten, jedoch nicht als Arzt- oder MFA-Ersatz, sondern als Unterstützung in einem nur bedingt planbaren Praxisalltag.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Hinter Plexiglas: In der Praxis von Neurochirurg Dr. Michael Petermeyer läuft die Anmeldung  ohne direkten Kontakt mit der MFA ab. Die Patienten lesen ihre Daten selbst ein.

Hinter Plexiglas: In der Praxis von Neurochirurg Dr. Michael Petermeyer läuft die Anmeldung ohne direkten Kontakt mit der MFA ab. Die Patienten lesen ihre Daten selbst ein.

© Dr. Michael Petermeyer

Berlin/Limburg. Während die KVen über die Bereitschaftsdienstnummer 116 117 eine zentrale Anlaufstelle für die Corona-Tests geschaffen haben, sind die Anfragen vieler verunsicherter Patienten vor allem bei den Praxen aufgelaufen. Verfünf- bis verzehnfacht habe sich das Anrufaufkommen in seiner Praxis seit Beginn der Pandemie, berichtet der Berliner Hausarzt Dr. Gilbert Büchner. Darunter viele neue, junge Patienten.

Büchner hat erst Anfang 2019 die etablierte Hausarztpraxis einer Kollegin im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick übernommen, mit vorwiegend älteren, chronisch kranken Patienten. Doch es ist nicht nur die Pandemie, die dem 38-Jährigen mehr jüngere Patienten beschert hat. Es ist vor allem die 24-Stunden Erreichbarkeit der Praxis, die sich schnell herumgesprochen hat.

„Wir wollten die Anmeldung entlasten“

Diese erreichen er und sein Team, das aus einer Hotelfachkraft am Praxisempfang sowie einer Krankenschwester und einer Medizinischen Fachangestellten (MFA) besteht, durch einen digitalen Telefonassistenten. Der auf künstlicher Intelligenz basierende Assistent stammt vom Berliner Unternehmen Aaron.ai und arbeitet mit einem Algorithmus, der es ihm erlaubt, die anrufenden Patienten über einen Fragenkatalog durchs Gespräch zu lenken.

So können die Praxismitarbeiterinnen die Telefonate – je nach Dringlichkeit – dann nacharbeiten, wenn sie im Praxisalltag Zeit dafür haben. Dabei erkennt der smarte Telefonassistent auch dringende Fälle bzw. Notfälle, diese werden während der Sprechzeit entweder direkt ans Praxisteam durchgestellt oder an den Notruf verwiesen.

„Die initiale Idee – auch schon vor Corona – war, dass wir die Anmeldung entlasten“, sagt Büchner. Denn laut dem Hausarzt ist der Stresspegel für das Praxisteam enorm, wenn unentwegt zusätzlich zum Praxisbesuchsaufkommen das Telefon etwa wegen Rezeptbestellungen läutet. Die Praxis hat die Patienten gebrieft, dass sie mit Wiederholungsrezepten und planbaren Terminen außerhalb der Sprechzeiten anrufen sollen. „Es funktioniert gut“, berichtet der Hausarzt.

Der Telefonassistent ist rund um die Uhr geschaltet, nach 40 Sekunden schalte sich der digitale Assistent ein, der die Patienten durch das angeleitete Gespräch führe. Zeitweise seien in den letzten Wochen 30 bis 40 Anrufe außerhalb der Sprechzeiten angenommen worden.

Jeder Anruf wird in Text übersetzt

Dabei müssen sich die Praxisangestellten die Telefonate nicht unbedingt anhören. Über die zugehörige Webapplikation bietet der Telefonassistent eine Übersicht über alle Anrufe samt dem Anliegen der Patienten als strukturierte Kurzinfo. „Jeder Rezeptwunsch wird etwa für uns in Text übersetzt“, so Büchner.

Die Praxismitarbeiter können dem Patienten dabei direkt über den Telefonassistenten eine SMS senden, wenn das Rezept abholbereit ist. In der Corona-Pandemie werden die Rezepte allerdings vorrangig an die Patienten verschickt. Auch das klappt laut Büchner gut.

Spezieller Corona-Fragebogen

Seit einem Monat verfügt der digitale Telefonassistent laut Aaron.ai-Geschäftsführer Richard von Schaewen zudem über ein spezielles Corona-Feature. Der Assistent arbeitet mit den Patienten im Falle einer Atemwegsinfektion einen speziellen Fragenkatalog ab.

Viele Patienten sieht er in der Praxis derzeit nicht, berichtet Büchner, drei bis vier seien es pro Tag. „Ich wünschte mir, ich könnte die Zeit ein Jahr zurückdrehen“, sagt der Hausarzt etwas wehmütig. Zwar gebe es nun mehr Hausbesuche, und er telefoniere auch wesentlich mehr – 50 bis 60 Prozent mehr Telefonate erledige er nun im Vergleich zu vorher –, aber es fehle eben der „normale“ Praxisbetrieb. Dabei hat der Hausarzt sogar einen speziellen Raum für Patienten mit Infekt-Beschwerden.

Infektionsangst bei den Patienten noch da

Doch auch er sieht, was viele Berufsverbände und Fachgesellschaften bereits angemahnt haben: Die chronisch kranken Patienten bleiben aus Angst vor einer Corona-Infektion fern und nehmen ihre Kontrolltermine nicht mehr wahr. „Hier muss man die Patienten, wenn sie nach einem Wiederholungsrezept fragen, aktiv einladen“, sagt Büchner. Er räumt aber auch ein, dass gerade durch die Disease-Management-Programme die meisten Chroniker durchaus gut eingestellt seien.

Die Telefon-AU war eine gute Sache.

Dr. Gilbert Büchner, Hausarzt in Berlin

Dabei hat laut dem Berliner Hausarzt das Corona-Aufkommen bereits eineinhalb Wochen vor Ostern stark nachgelassen. Während er im ersten Quartal über 1000 Fälle hatte, viele davon Neupatienten, – denn in einem gewöhnlichen Quartal sind es bei dem Hausarzt bislang um die 750 Fälle –, sei es nun insgesamt wesentlich ruhiger geworden. Auch für eine telefonische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU), die anfangs stark nachgefragt wurde, habe sich bereits in der letzten Aprilwoche kaum mehr ein Patient gemeldet.

Wobei Büchner feststellt, dass die Telefon-AU während der Krise „eine gute Sache“gewesen sei. Immerhin hatte der Gemeinsame Bundesausschuss die Telefon-AU nach heftiger Kritik von Ärzteverbänden und KBV mehrmals verlängert. Die Ausnahmeregelung ist aber am 31. Mai schließlich doch ausgelaufen, seit Juni müssen sich Patienten für die AU-Bescheinigung wieder persönlich in der Praxis vorstellen.

Videosprechstunde kaum nachgefragt

Relativ ruhig ist es derzeit auch in der Praxis von Dr. Michael Petermeyer im rheinland-pfälzischen Diez. Anders als Hausarzt Büchner hat der Neurochirurg und Anästhesist gleich zu Beginn der Corona-Pandemie sein regionales Schmerzzentrum auf möglichst viele digitale Arbeitsplätze umgestellt. „Als es losging, haben wir in den Sprechzimmern Kameras installiert, damit wir den Patienten am Monitor ihre Röntgenbilder erklären können“, berichtet er. So haben die Patienten Arzt und Röntgenbild im Blick.

Alternativ würden Röntgenbilder in eine sichere Cloud hochgeladen und telefonisch mit dem Patienten besprochen. Die Technik funktioniert gut, nachgefragt wurde die Videosprechstunde aber kaum, sagt er.

Dabei hat die Praxis gleich drei von der KV zertifizierte Videosprechstunden-Systeme am Laufen, bietet den Patienten also eine gewisse Auswahl. Aber: „Die Patienten kommen auch gerne in die Praxis“, stellt Petermeyer fest. In dem Moment, wo sie gesehen hätten, dass der Praxisbesuch für sie sicher sei, sei das Thema Videosprechstunde nicht mehr wichtig gewesen.

Anders sehe es bei der telefonischen Sprechstunde aus, diese Variante werde deutlich stärker nachgefragt, wohl auch, weil die Patienten hierfür keine besondere Technik benötigen.

Videokontakt rechnet sich kaum

Ganz so traurig, dass die Videosprechstunde nur bedingt von den Patienten angenommen wird, ist er dabei nicht. Die KV sei deutlich auf die Ärzte zugegangen, räumt Petermeyer ein, indem sie sich für die Erweiterung der Abrechnungsmöglichkeiten der Videosprechstunde eingesetzt habe. Dennoch würde die Praxis nur mit Videosprechstunde im Vergleich zur Vor-Ort-Sprechstunde Umsatzeinbußen von 60 bis 70 Prozent verzeichnen, rechnet er vor.

KBV und Kassen hatten die geltenden Beschränkungen für den Einsatz der Videosprechstunde für das zweite Quartal aufgehoben. Fallzahl und Leistungsmenge sind damit nicht mehr limitiert. Allerdings werden in Fällen, in denen der Kontakt in dem Quartal ausschließlich per Video erfolgt, die jeweilige Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschale, über die die Videosprechstunde vergütet wird und gegebenenfalls auch die zugehörigen Zuschläge gekürzt.

Nahezu kontaktloser Arztbesuch

Für die Sicherheit von Patienten und Mitarbeitern hat die Praxis einen nahezu kontaktlosen Praxisbesuch ausgearbeitet. Die Eingangstür ist offen. Der Patient wird zunächst zum WC geleitet, wo er sich die Hände waschen und desinfizieren soll. Anschließend liest er am Empfang selbstständig seine Versichertenkarte und an einem Rechner über CD-ROM-Laufwerk auch seine Röntgendaten ein. „50 Prozent der Patienten haben eine Bildgebung dabei“, sagt Petermeyer.

Auch Befundbriefe legt der Patient selbst auf den Kopierer bzw. Scanner. Die MFA am Empfang, die die Daten im Praxissystem verarbeitet ist durch eine Plexiglasscheibe ähnlich wie im Supermarkt geschützt.

Zudem wurde der Wartebereich stark reduziert, mehr als zwei Patienten sollen sich dort nicht gleichzeitig aufhalten – mit entsprechendem Abstand.

Weil die langsamen Lockerungen der Shutdown-Maßnahmen aber auch dem Schmerzzentrum wieder etwas mehr Patienten bescheren, hat die Praxis noch einmal im Sicherheitskonzept nachgelegt. „Als problematisch hat sich bei anlaufendem Betrieb und mehreren Ärzten die Größe des Wartezimmers erwiesen“, berichtet Petermeyer. Die Lösung seien Gast-Pager wie man sie aus Pizzerien kenne. Petermeyer: „Der Patient bekommt solch einen ausgehändigt und kann draußen oder in seinem Auto warten. Vibriert und blinkt das Teil, kann er die Praxis betreten.“ Die Kosten hielten sich mit 100 Euro für zehn Stück mehr als im Rahmen. „So habe ich das Wartezimmer um 200 m2 zum Nulltarif erweitert.“

Trotzdem: Zu Beginn der Pandemie habe er zwei schlaflose Nächte gehabt, und er hat für seine Praxis auch tatsächlich Kurzarbeit anmelden müssen. Außer ihm arbeiten zwei Ärzte und fünf Praxismitarbeiterinnen in dem Schmerzzentrum, von denen derzeit zwei bis drei da sind und durchrotieren. Eine MFA arbeitet komplett von zu Hause.

MFA greifen auf Telefonassistent von zu Hause zu

Das i-Tüpfelchen der neuen kontaktlosen Prozesse ist aber auch in der Schmerzpraxis der smarte Telefonassistent. „Mittlerweile haben die Patienten gemerkt, dass wir zurückrufen“, sagt Petermeyer. Dadurch habe sich das Telefonaufkommen deutlich auf die Zeiten außerhalb der Praxisöffnungszeiten verlagert. Was auch hier für weniger Stress bei den MFA sorgt.

Eine der Hauptbelastungen unserer MFA war immer, dass sie keinen Arbeitsvorgang beenden können, ohne dass das Telefon klingelt.

Dr. Michael Petermeyer, Neurochirurg und Anästhesist in Diez

In Petermeyers Praxis haben die MFA auf den Telefonassistenten und Webapplikation auch von zu Hause aus einen Vollzugriff, können die Anrufe also im Homeoffice in Ruhe nacharbeiten. „Dazu müssen wir die Versichertenkarte nicht einlesen“, weist er auf die Ersatzregelung während der Corona-Pandemie hin.

„Eine der Hauptbelastungen unserer MFA war immer, dass sie keinen Arbeitsvorgang beenden können, ohne dass das Telefon klingelt“, beschreibt Petermeyer die Situation vor dem digitalen Helfer. Das habe sich nun geändert. Ein Fortschritt, der wie einige andere, auch nach der Pandemie weiter genutzt werden wird: „Die Digitalisierung, die jetzt kommt, wird bleiben“, ist sich der Schmerzspezialist sicher.

Weitere Infos unter: https://aaron.ai/smart-voicemail-gesundheit oder https://aaron.ai/corona

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