"Adipositas hat sich zur Pandemie entwickelt"

300 Millionen Menschen sind weltweit adipös. In Deutschland haben 40 Prozent der Frauen und 30 Prozent der Männer einen BMI von 30 oder mehr. Etwa zwei Prozent sind morbid adipös, haben also einen BMI über 40.

Von Michael Hubert Veröffentlicht:
Bei stark adipösen Patienten gelingt ohne eine Operation meist keine ausreichende und dauerhafte Gewichtsreduktion. Als Verfahren der Wahl gilt hierbei die Magenbypass-Op.

Bei stark adipösen Patienten gelingt ohne eine Operation meist keine ausreichende und dauerhafte Gewichtsreduktion. Als Verfahren der Wahl gilt hierbei die Magenbypass-Op.

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WIESBADEN. Die Interventionsmöglichkeiten bei Patienten mit Adipositas sind begrenzt, erinnerte Professor Stephan Herpertz von der Ruhr-Uni Bochum. Er nannte die Umstellung der Ernährung, mehr Bewegung, Verhaltensänderungen, Medikamente und die Op. "Die Pharmakotherapie steht nicht im Vordergrund", sagte Herpertz.

Mit Orlistat sei noch eine Arznei zugelassen. Mit den anderen Maßnahmen schaffen nur 15 Prozent der Patienten mit einem BMI zwischen 30 und 40, von ihrem Körpergewicht neun bis zehn Prozent zu verlieren und diesen Gewichtsverlust über einen Zeitraum von mehreren Jahren zu halten.

Bei Patienten mit morbider Adipositas sei dieser Anteil noch geringer. "Die Regel ist, dass es zu Beginn einer Intervention eine rasche Gewichtsreduktion gibt. Aber die meisten Patienten erreichen nach fünf Jahren doch wieder ihr altes Gewicht", so Herpertz.

"Was bei morbider Adipositas bleibt, ist eine Op." Dabei sei das Magenband mittlerweile nachrangig, im Vordergrund stehe die Magenbypass-Op. Diese Operation sei bei Patienten mit einem BMI von 40 und mehr indiziert oder ab einem BMI von 35, wenn Begleiterkrankungen - etwa Diabetes mellitus - vorliegen.

Die Erfolge der Op gingen dabei weit über die Gewichtsreduktion hinaus, sagte Herpertz. So sank etwa die Diabetes-Inzidenz in einem operierten Kollektiv von zuvor 25 auf 8 Prozent. "Und auch die Lebensqualität nimmt stark zu."

So sei in einer schwedischen Studie der Anteil von depressiven Patienten von über 30 Prozent auf unter 10 Prozent gesunken, wenn sie ein Viertel ihres Körpergewichts verloren hatten. Bei weniger Gewichtsverlust war der Effekt auf Depressionen geringer. Ebenso nahmen Muskel- und Gelenkschmerzen ab.

Und vor allen trauten sich die Patienten wieder unter Menschen. "Die Stimmung steigt, Angstzustände verschwinden." Allerdings gelte das nur für Patienten, die durch die Op mehr als zehn Prozent ihres Gewichts reduzieren konnten. "Das sind die Gewinner."

Doch wo Gewinner sind, gibt es oft auch Verlierer. Das ist auch bei Patienten nach Magenbypass-Op so. So habe eine Studie mit fast 6700 Patienten ergeben, dass im Beobachtungszeitraum von 1995 bis 2004 insgesamt 440 Patienten gestorben sind, jeder fünfte davon aufgrund kardiovaskulärer Ursachen.

Aber 3,6 durch Suizid und 3,2 Prozent durch Tablettenvergiftung. "Das ergibt eher eine Suizidrate von sechs bis sieben Prozent", so Herpertz. In einer weiteren Studie mit rund 8000 morbid adipösen Patienten war im Zeitraum von gut sieben Jahren die Sterberate bei den operierten 40 Prozent, die KHK-Rate 56 Prozent und die Krebsrate 60 Prozent niedriger als bei den nichtoperierten.

Allerdings war die Suizidrate fast 60 Prozent höher, so Herpertz. Die Verlierer gelte es früh zu erkennen und psychotherapeutisch zu intervenieren. Generell gilt für Patienten mit einer Magenbypas-Op die Empfehlung, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen.

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