Vorrang für den Gesundheitsschutz

KARLSRUHE (HL). Die Verfassungsbeschwerden von zwei Gastwirten und einer Diskothekenbetreiberin gegen die Bestimmungen der Nichtraucherschutzgesetze von Baden-Württemberg und Berlin waren erfolgreich. Gestern hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil festgestellt: Die Regelungen verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf freie Berufsausübung.

Veröffentlicht:
Vorläufig wieder zulässig: Rauchen in der kleinen Kneipe - wenn der Wirt das will.

Vorläufig wieder zulässig: Rauchen in der kleinen Kneipe - wenn der Wirt das will.

© Foto: dpa

Ausdrücklich betonte der Vorsitzende des Ersten Senats des Bundesverfassungserichts, Professor Jürgen Papier: "Nach Überzeugung der Senatsmehrheit ist der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht gehindert, für Gaststätten ein striktes Rauchverbot ohne Ausnahmen zu erlassen - also auch ohne Ausnahme für die getränkegeprägte Kleingastronomie. Denn der Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren - wozu der Gesetzgeber auch die vom Passivrauchen ausgehenden Gefahren zählen darf - ist ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut."

Der Gestaltungsspielraum für die Politik

Das Gericht eröffnet den Gesetzgebern insoweit einen weiten Ermessens- und Gestaltungsspielraum dafür, ob ein absolutes Rauchverbot oder ein Rauchverbot mit Ausnahmen durchgesetzt werden soll. Nur wenn der Gesetzgeber Ausnahmen vom Verbot zulässt, dann muss er diese konsistent und fair gestalten. Genau das ist in den Landesgesetzen in Baden-Württemberg und Berlin nicht geschehen.

Zur Begründung führen die Richter aus: Das Rauchverbot in Gaststätten stelle einen schwerwiegenden Eingriff in die freie Berufsausübung dar. Bei einem Raucheranteil von 33,9 Prozent unter den Erwachsenen könne dies je nach Gaststätten-Typ und Besucherkreis für den Gastwirt zu empfindlichen Umsatzrückgängen führen. Die Regelungen der Landesgesetze belasteten Inhaber von Eckkneipen mit nur einem Raum unzumutbar und unverhältnismäßig. Diese Unverhältnismäßigkeit resultiere daraus, dass Gaststätten mit mehreren Räumen und Einraum-Gaststätten im Ergebnis unterschiedlich behandelt werden.

Denn der Gesetzgeber habe sich für Ausnahmen vom Rauchverbot entschieden, etwa die Einrichtung abgetrennter Raucherräume. Solche Ausnahmen müssten aber folgerichtig weiterverfolgt werden, fordert das Gericht.

Das Gericht kreiert die kleine Raucher-Kneipe

Das Rauchverbot führe für Eckkneipen wegen des außerordentlich hohen Anteils von Rauchern unter den Gästen zu erheblich stärkeren wirtschaftlichen Belastungen als für Betreiber größerer Lokale. Für diese größeren Lokale werde ein relatives Rauchverbot praktiziert, für die kleineren Gaststätten jedoch ein absolutes Rauchverbot.

Das Gericht hat deshalb - bis zu neuen gesetzlichen Regelungen - die Ausnahmetatbestände erweitert: Sie gelten für Kneipen mit einem Raum von weniger als 75 Quadratmetern. Sie müssen als Rauchergaststätte ausgewiesen sein; Personen unter 18 Jahren dürfen keinen Zutritt haben. Für Diskotheken kann ein separater Raucherraum für Erwachsene eingerichtet werden.

Lesen Sie dazu auch:

Karlsruher Grundsatzurteil stößt auf geteiltes Echo :

Mehr zum Thema

Geplante Abwicklung des ÄZQ zum Jahresende

DEGAM wirbt für Fortsetzung des NVL-Programms

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer