Ambulantisierung: "Wildwuchs" und "Wüsten"

Krankenhäuser übernehmen immer häufiger die ambulante Versorgung von Patienten. Das schafft Probleme mit der Patientensicherheit. Darauf weist ein aktueller Report hin.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:

BERLIN. Zig Millionen Patienten im Jahr werden in den Ambulanzen der Krankenhäuser versorgt. Knapp zwei Fünftel der Abteilungen können jedoch nicht rund um die Uhr sicherstellen, dass Patienten auch von Fachärzten versorgt werden können.

Verband kontert Kritik

 Das geht aus dem Krankenhaus-Report 2016 der AOK hervor. "In puncto Qualitätssicherung sind ambulante Krankenhausleistungen Wüsten", sagte Professor Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen bei der Vorstellung des Reports am Montag in Berlin. Abhilfe könnten, so die Autoren des Reports, Anforderungen an die Mindestpersonalausstattung der Krankenhäuser mit ambulanten Behandlungsmöglichkeiten schaffen.

Die politische Vertretung der Krankenhäuser reagierte prompt mit der Einnahme einer anderen Perspektive. Der Report zeige deutlich, dass ohne die Krankenhäuser die ambulante medizinische Versorgung der Bevölkerung nicht gewährleistet sei, sagte der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft Thomas Reumann. Die Kassenärzte erfüllten den ihnen übertragenen Sicherstellungsauftrag nur zum Teil.

In den Notfallambulanzen der Krankenhäuser werden ausweislich einer Hochrechnung der Report-Autoren im Jahr 18,6 Prozent der gesetzlich Versicherten vorstellig. 2,4 Millionen Behandlungsfälle registrierten die Psychiatrischen Institutsambulanzen im Jahr 2014, 3,5 Millionen die Hochschulambulanzen.

Auf 7,2 Milliarden Euro, rund zehn Prozent der Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für den stationären Sektor, belaufen sich in diesem Zeitraum die Ausgaben für die 3,7 Millionen Krankenhausfälle, die Untersuchungen zufolge als vermeidbar gelten.

Ineffiziente Konkurrenz zum Schaden der Patienten

Nicht die Vielfalt der Versorgungsmöglichkeiten an sich, sondern der ordnungspolitische "Wildwuchs" im stationären Sektor stößt auf massive Kritik. "Hinter der Vielfalt steckt kein rationales Ordnungsprinzip", bemängelt Jürgen Wasem die in den vergangenen knapp 30 Jahren vorgenommene schrittweise Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung.

De facto würden identische Leistungen in verschiedene Rechtsformen verpackt und unterschiedlich vergütet, so Wasem weiter.

Den Mangel an Kooperationsanreizen zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten bemängelte der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im gesundheitswesen, Professor Ferdinand Gerlach. Das System zwinge die Ärzte stattdessen in eine "ineffiziente Konkurrenz" zum Schaden der Patienten.

Die Folgen seien Informationsbrüche und daraus folgend Behandlungsfehler, unkoordinierte Mehrfachdiagnostik und -therapie sowie unangemessene Mengenausweitungen und die Konzentration auf wirtschaftlich attraktive Leistungen an lukrativen Standorten.

Mehr Transparenz, um Doppelstrukturen und daraus resultierende Qualitätsverluste sichtbar zu machen, forderte AOK-Chef Martin Litsch. Der Šicherstellungsauftrag der KVen solle aufgebrochen werden zugunsten selektivvertraglicher Sicherstellungsmodelle unter Federführung der Kassen.

"Wenn eine Patientin oder ein Patient mit der gleichen Erkrankung zu einem Krankenhaus oder einer Arztpraxis kommt, besteht die Gefahr, unterschiedlich behandelt zu werden", monierte der Sprecher für Krankenhauspolitik der Fraktion der Linken, Harald Weinberg. Marktwirtschaftliche Interessen dürften bei der Behandlung von Patienten keine Rolle spielen.

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