Vision

Pfleger auf Augenhöhe mit Ärzten

Inmitten der schwelenden Debatte über die Zukunft der Pflege setzen die Kreiskliniken Altötting-Burghausen ein Zeichen - für die Akademisierung. Das kann im Kampf gegen den Ärztemangel helfen, findet der Ärztliche Direktor.

Thorsten SchaffVon Thorsten Schaff Veröffentlicht:
In Zukunft könnten Ärzte und Pflegekräfte gemeinsam die Therapie des Patienten besprechen.

In Zukunft könnten Ärzte und Pflegekräfte gemeinsam die Therapie des Patienten besprechen.

© imago/INSADCO

ALTÖTTING Längst vorbei sind die Zeiten, in denen der Krankenpflege-Beruf vorwiegend daraus bestand, Patienten zu füttern und zu waschen.

Der medizinische Fortschritt, der demografische Wandel und die sich damit verändernden Anforderungen führen dazu, dass sich das Berufsbild wandelt. So sehr, dass immer wieder Rufe laut werden, wonach die Akademisierung in der Pflege noch stärker vorangetrieben werden müsse.

In schöner Regelmäßigkeit preschen Pflegeverbände, Fachexperten oder Pflegedirektoren von Kliniken mit Forderungen nach besser qualifiziertem Personal vor, das nötig sei, um die zukünftigen Herausforderungen in der Pflege zu bewältigen.

Zum gleichen Ergebnis kommt der Wissenschaftsrat, der sich dafür ausspricht, dass jeder fünfte bis zehnte Pflege-Schüler seine Ausbildung mit einem Universitäts-Abschluss krönen sollte, damit die Pflege für die Zukunft gewappnet ist.

Einen anderen Weg wollte die EU-Kommission gehen. Sie plante, die Zugangsvoraussetzungen für die Ausbildung in der Krankenpflege zu verschärfen, in dem sie von den Bewerbern eine zwölfjährige Schulausbildung statt der in Deutschland üblichen zehnjährigen forderte.

Das als "Pflege-Abi" bekannt gewordene Ansinnen scheiterte aber im zuständigen Ausschuss des Europaparlaments.

"Akademisierung wird kommen"

Inmitten dieser schwelenden Debatte über die Zukunft der Pflege preschen nun die Kreiskliniken Altötting-Burghausen mit dem deutschlandweit ersten länderübergreifenden Konzept der dualen Pflege-Ausbildung vor. Ab Herbst bieten sie jedem ihrer Pflege-Schüler die Chance auf einen akademischen Abschluss im Nachbarland Österreich.

Das große Ziel der Initiatoren: Hochqualifizierte Fachkräfte heranzuziehen, die bei der Versorgung von Patienten mit Ärzten auf Augenhöhe sind.

"Der Einfluss der Pflegewissenschaft im Gesundheitswesen wird steigen, das zeigen uns schon die Entwicklungen in vielen anderen europäischen Ländern. Und auch in Deutschland werden mittel- bis kurzfristig akademisierte Pflegekräfte Einzug halten", prophezeit Reinhard Graml, Initiator des Altöttinger Modells und Leiter der Krankenpflegeschule.

Diese Aussage unterstreicht Gertrud Stöcker, stellvertretende Präsidentin des Deutschen Bundesverbands für Pflegeberufe (DBfK): "Die Akademisierung kommt, sie ist nicht mehr aufzuhalten."

Sie prognostiziert: "Es wird im Rahmen der Neufassung des Krankenpflegegesetzes zu einem Regelangebot kommen. In den Eckpunkten, die bereits vorliegen, empfehlen die Bundesländer sowohl eine fachschulische als auch eine hochschulische Erstausbildung von Pflegekräften."

Und das wird entscheidende Auswirkungen haben. Das Zusammenspiel von Ärzten mit den Krankenschwestern und Pflegern werde sich verändern - und Verantwortlichkeiten sich verschieben.

Pflegefachkräfte mit Uni-Abschluss für Führungspositionen geeignet

Graml betont: "Pflegefachkräfte werden zur notwendigen Ergänzung, damit sich die Ärzte auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können. Der Arzt wird weiterhin alle diagnostisch-therapeutischen Entscheidungen treffen, aber auf dem Weg dahin werden Pflegekräfte stärker partizipieren."

Darum seien studierte Krankenschwestern und Pfleger, die professionelle Pflege auf wissenschaftlicher Grundlage anwenden können, wichtig.

Doch Reinhard Graml schränkt ein: "Wenn künftig 20 Prozent der Pflegefachkräfte einen Uni-Abschluss haben, reicht das völlig aus. Sie sind dann prädestiniert für exponierte Stellen und Führungspositionen wie Stationsleitungen."

Doch bis es soweit kommt, müssen noch eine Menge Bretter gebohrt und Hürden genommen werden. "Es gibt eine Reihe von Gegnern der hochschulischen Pflege-Ausbildung. Vor allem in der Ärzteschaft auf Funktionärsebene", berichtet Stöcker vom DBfK.

Widerstände gebe es aber auch in der eigenen Berufsgruppe, weiß Graml: "Viele Kollegen nehmen die Pflege-Akademiker als Bedrohung wahr, weil sich das Gefühl entwickelt, nicht mehr gut genug für die Arbeit zu sein."

Richtlinie zur Substitution ärztlicher Leistungen seit einem Jahr in Kraft

Die Ängste und ablehnenden Haltungen zu überwinden, wird Kraft und eine Menge Zeit kosten.

"Um schließlich ans Ziel zu kommen, muss sich das Bewusstsein in den Köpfen ändern. Das kann Dekaden oder auch Generationen dauern", glaubt Graml. Er sieht auch die Politik gefordert, diese Veränderungen gezielt herbeizuführen.

Die ersten Schritte sind gemacht. So hat das Bundesgesundheitsministerium die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Substitution ärztlicher Leistungen nach § 63 Absatz 3c Satz 3 SGB V durchgewunken.

Seit dem 22. März 2012 ist sie in Kraft - sehr zur Freude von Pflegeverbänden und zum Ärger von Ärzten.

In Modellprojekten soll jetzt erprobt werden, in welchem Umfang und in welchen Bereichen heilkundliche Aufgaben künftig von Pflegefachkräften übernommen werden können, und wie sich diese Veränderungen auf die Versorgung auswirken.

Doch die Probeläufe kommen nicht richtig in die Gänge, weswegen der Druck auf die Politiker erhöht wird.

"Im letzten Jahr wurde mit der Heilkundeübertragungsrichtlinie endlich der längst fällige Meilenstein (…) gelegt. Und schon kommt der Prozess wieder ins Stocken, da für eine rasche Umsetzung die für Ihr Ministerium erforderliche Unterstützung bis dato fehlt", kritisiert Peter Bechtel, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Pflegemanagement, in einem am 11. März versendeten Offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr.

Diskussion über Delegation, Substitution, Allokation

Weil es immer mehr Pflegebedürftige geben wird, und sich gleichzeitig ein Ärztemangel abzeichnet, wird die künftige Pflege nur zu stemmen sein, wenn sich Ärzte und Pflegekräfte in ihrer Zusammenarbeit besser aufeinander einstellen. Darin sind sich alle einig.

Unterschiedliche Auffassungen gibt es allerdings, wie die künftige Arbeitsteilung aussehen soll. Dabei gehe es primär "um Macht und Geld", berichtet DBfK-Vorstand Getrud Stöcker.

Die Ärzte sprechen sich für die Delegation ärztlicher Leistungen aus. Den Vorteil, den sie sehen: Es bliebe mehr Zeit für die Patienten.

"Wir müssen dahin kommen, dass die eine oder andere Tätigkeit, die vorher der Assistenzarzt gemacht hat, nun die besonders qualifizierte Pflegekraft macht", hatte Dr. Max Kaplan, Präsident der bayerischen Landesärztekammer, in einem Interview mit der "Ärzte Zeitung" gesagt.

Eine Delegation zur reinen Entlastung der Ärzte kommt für den DBfK aber nicht infrage. Stöcker betont: "Wenn die Pflege heilkundliche Aufgaben erhält und dadurch Verantwortung übernimmt, muss sie auch die Vergütung bekommen."

Sie spricht sich daher für Substitution und Allokation aus - fordert also, die Aufgaben neu zu verteilen: "Im Grunde genommen müssen die heilkundlichen Aufgaben im deutschen Gesundheitswesen hinsichtlich der Zuständigkeit auf den Prüfstand. Diese Omnipotenz der Ärzte bei der Gesamtverantwortung ist nicht mehr zeitgemäß."

Das sehen die Mediziner anders, eine Substitution lehnen sie kategorisch ab. Denn "das würde das Recht des Patienten auf eine Behandlung nach fachärztlichem Standard unterlaufen und zu einem Qualitätsabfall und einer Unwirtschaftlichkeit in der Versorgung führen", wie es in einer gemeinsamen Resolution von 15 ärztlichen Spitzenverbänden heißt.

Patienten sollen von Veränderungen profitieren

Professor Michael Kraus, Ärztlicher Direktor der Kreiskliniken Altötting-Burghausen.

Professor Michael Kraus, Ärztlicher Direktor der Kreiskliniken Altötting-Burghausen.

© Thorsten Schaff

Ganz pragmatisch sieht der Ärztliche Direktor der Kreiskliniken Altötting-Burghausen die Diskussion über Delegation und Substitution. "Es ist doch normal, dass solche Veränderungen erst einmal Ängste schüren", findet Professor Michael Kraus.

"Was letztlich zählt, ist, was für die Patienten dabei herauskommt. Wichtig ist doch nur, dass die Konzepte so gestrickt werden, dass Patienten von den Veränderungen in ihrer Betreuung profitieren."

Gelungene Beispiele dafür gebe es in der Praxis derzeit schon, meint Kraus - und verweist auf die oft gute Arbeit von Fachkräften für Wundbehandlung bzw. Wundexperten oder von Gefäßassistenten in der Gefäßmedizin.

"Und es gibt durchaus noch Bereiche, in denen bestimmte Aufgaben, die im Moment in ärztlicher Hand liegen, von qualifizierten Mitarbeitern aus der Pflege übernommen werden können."

Pflege-Akademiker gegen den Ärztemangel

Ein akademisches Pflegepersonal könne nur von Vorteil sein - und auch mithelfen, das Problem mit dem fehlenden Ärzte-Nachwuchs zu beheben.

"Höher qualifizierte Krankenschwestern und Pfleger können den Ärztemangel in Kliniken zumindest teilweise kompensieren", glaubt Kraus.

Dass sein Arbeitgeber Pionierarbeit für Pflege-Akademiker leistet, sieht der Ärztliche Direktor und Chefarzt der Medizinischen Klinik II positiv. Der Schritt zur Akademisierung in der Pflege sei ohnehin unausweichlich, das zeigten die Entwicklungen in anderen Ländern.

"Um im europäischen Gesundheitsmarkt konkurrenzfähig zu bleiben, dürfen wir uns dem nicht verschließen", sagt Kraus - und fügt an: "Man muss dem Ganzen eine Chance geben."

Lesen Sie dazu auch: Einmaliges Konzept: Altöttinger Pflege-Pioniere

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