Debatte beim Deutschen Ärztetag
KI in der Medizin: Wie Arzt und Patient im Mittelpunkt bleiben
Die Anwendungsmöglichkeiten fortgeschrittener KI-Modelle sind faszinierend. Beim Deutschen Ärztetag werden die Folgen für Patientenversorgung und das ärztliche Selbstbild diskutiert.
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Professorin Ulrike Attenberger beim Deutschen Ärztetag: „Die Transferierbarkeit der KI ist ein Problem.“
© Rebekka Höhl
Leipzig. Wie können Fortschritte bei der Entwicklung von KI-Modellen und Fortschritte in der Medizin als Einheit vorangetrieben werden? Diese Frage prägte Vorträge und Diskussionen am Mittwochmorgen beim Deutschen Ärztetag in Leipzig.
Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt hatte zuvor den Rahmen des Schwerpunktthemas beim diesjährigen Ärztetag abgesteckt. Es müsse darum gehen, „Chancen zu nutzen und Risiken zu minimieren“. „Patient und Ärztin oder Arzt müssen immer im Mittelpunkt stehen“, forderte der BÄK-Präsident.
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Professor Aldo Faisal vom Lehrstuhl für Digital Health an der Universität Bayreuth und vom Centres in AI for Health am Imperial College in London, machte an Beispielen aus Großbritannien deutlich, wie weit dort bereits datengetriebene KI-Anwendungen in der Medizin den Weg in die Praxis gefunden haben. „KI muss lernen dürfen“, warb Faisal und sagte mit Blick auf Vorbehalte in Sachen Datenschutz in Deutschland: „Wir können jede KI-Technologie auf eine Art und Weise bauen, die die Privatsphäre der Menschen schützt.“
KI-Anwendungen in der Medizin können nicht „von der Stange“ sein
Anders als das komplett privatisierte Gesundheitssystem in den USA verfügten die öffentlichen Gesundheitssysteme in Europa zudem über die Möglichkeit, dass alle Versicherten beispielsweise von neuen Optionen der Prädiktion und Prävention von Erkrankungen profitieren können. Ziel müsse es sein, die Translation von KI bei medizinischen Anwendungen mitzugestalten, erläuterte Faisal, stellte aber klar: „KI in der Medizin kann nicht KI von der Stange sein.“
Solche Anwendungen müssten „von Grund auf“ für die spezifischen Herausforderungen in der Medizin entwickelt werden. „Treibstoff“ dieser KI-Modelle seien Daten, und zwar nicht nur medizinische. Von „Tag 1“ an müssten Bürgerinnen und Bürger, Patienten und Mitarbeiter bei diesem Prozess mitgenommen werden, forderte Faisal.
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Die Entwicklung ist von einer großen Ungleichzeitigkeit geprägt, machte Professorin Ulrike Attenberger, Leiterin der Universitätsklinik für Radiologie und Nuklearmedizin der Medizinischen Universität Wien, deutlich. Chatbots könnten bei bestimmten Anwendungen inzwischen mit den Fähigkeiten von Weiterbildungsassistenten mithalten oder übertreffen sie sogar. Unter bestimmten Bedingungen könnten spezifisch trainierte KI-Modelle sogar bessere Leistungen erzielen als Fachärzte mit langjähriger Erfahrung, etwa bei der Brustkrebserkennung.
Transfer in klinische Modelle funktioniert bisher oft nur lokal
Doch bei der Implementierung in klinische Modelle befinde man sich in Deutschland noch in einem „Entwicklungsstadium“, erläuterte Attenberger. Hinzu komme, dass viele KI-getriebenen Lösungen in Deutschland nur lokal eingesetzt werden können. „Die Transferierbarkeit der KI ist ein Problem“, stellte Attenberger klar, der die Federführung des Arbeitskreises „KI in der Medizin“ des Wissenschaftlichen Beirats der BÄK obliegt.
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Mit Blick auf derzeit viel diskutierte Large Language Modelle hob Attenberger hervor, diese Anwendungen könnten derzeit „kein Ersatz für eine komplexe partizipative Entscheidungsfindung“ zwischen Arzt und Patient sein. Insbesondere angesichts des „Halluzinierens“ dieser Modelle müsse die Letztverantwortung etwa für Plausibilitätskontrolle oder die Nutzen-Risiko-Abwägung bei Diagnose und Therapie beim Arzt oder der Ärztin bleiben. „Wir verstehen diese Technologie noch nicht gut genug.“
Eine Hoffnung von Ulrike Attenberger liegt darin, dass KI-Anwendungen Mediziner insbesondere bei administrativen Tätigkeiten entlasten können. Diese Zeitersparnis sollte – Stichwort Empathie – dem salutogenetischen Effekt im Rahmen der Arzt-Patienten-Beziehung zugute kommen. KI, so das Fazit der Vorträge, wird Ärztinnen und Ärzte nicht ersetzen, kann ihre Fähigkeiten aber erweitern. (fst)