Bauchschmerz-Ursachen auf der Spur

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BOCHUM. Es wird immer deutlicher, dass das Reizdarmsyndrom (RDS) eine organische Erkrankung zu sein scheint. Ihre morphologischen Hintergründe decken Forscher nach und nach auf.

Von Thomas Meißner

Ziel sei es, je nach RDS-Subtyp kausal behandeln zu können, hieß es bei einem RDS-Forschungssymposium in Bochum. Mit Subtyp ist gemeint: Liegt etwa eine Zucker- oder eine Gallensalzmalabsorption vor, eine bakterielle Dünndarmfehlbesiedlung, eine Schilddrüsen- oder organische Kolonveränderung?

Bei etwa jedem zehnten RDS-Patienten könnte die Ursache ein postinfektiöses Syndrom sein, sagte Professor Thomas Frieling vom Klinikum Krefeld. So entwickeln bis zu einem Drittel der Patienten nach infektiöser Gastroenteritis ein RDS vom Diarrhoe-Typ. Auch systemische Infektionen könnten RDS auslösen.

Hoffnung ruht auf der Probiotika-Therapie

Nach der Infektion ändere sich womöglich die Bakterienflora des Darmes. Insofern verbinden Gastroenterologen mit der Probiotika-Therapie große Hoffnungen, auch wenn noch nicht ganz klar ist, wie Probiotika wirken. Sie könnten die Darmflora verändern oder direkt auf das enterische Nervensystem wirken oder in die lokale Entzündungskaskade eingreifen.

Untersuchungen des Darmes von RDS-Patienten haben im Vergleich zu Gesunden weitere Auffälligkeiten ergeben: die Zahl der Mastzellen und T-Lymphozyten ist erhöht, in der Darmschleimhaut findet sich ein pro-inflammatorisches Zytokinprofil, die Zahl der Serotonin-produzierenden Zellen ist erhöht ebenso wie die Innervationsdichte. Die enterischen Nervenzellen von RDS-Patienten werden dabei besonders stark gereizt. Das haben Stimulationsexperimente an Nervenpräparaten aus RDS-Schleimhautbiopsien ergeben.

Was bedeutet das für die Behandlung? Da man im klinischen Alltag derzeit noch keine pathophysiologischen Subtypen des RDS identifizieren kann, seien breit angelegte Therapiekonzepte erfolgversprechender als die Modulation einzelner Rezeptoren, meint Dr. Jutta Keller vom Israelitischen Krankenhaus in Hamburg.

Was speziell die Pharmakotherapie angeht, befindet man sich in einem Dilemma. Weil es sich um eine gutartige Erkrankung handele und die Lebenserwartung von RDS-Patienten sogar etwas besser sei als die der Durchschnittsbevölkerung, seien Behörden sehr zurückhaltend mit der Zulassung neuer Medikamente, sagte Professor Peter Layer vom gleichen Krankenhaus. Schon das Auftreten seltener unerwünschter Effekte führe zu Marktrücknahmen oder zu Indikationsbeschränkungen, wie die Beispiele verschiedener Serotonin-Rezeptor-Modulatoren belegen.

Neue topisch wirkende Arzneien sind in der Entwicklung

Der Trend gehe hin zu topisch wirkenden Medikamenten, so Keller und Layer. Ein Beispiel dafür ist das noch in der Entwicklung befindliche und nicht resorbierbare Linaclotide, ein synthetischer Guanylatzyklase-C-Agonist, der bei schwerer Obstipation wirksam ist und den Stuhl weicher macht. Allerdings wurde kürzlich auch ein topisch wirkender Opiatrezeptor-Antagonist mit prokinetischer Wirkung nach Zulassung in den USA wegen fraglicher kardialer Effekte vom Markt genommen.

Diese Situation hat nach Ansicht von Keller die Einstellung vieler Gastroenterologen zu Naturheilmitteln oder zu alternativen Methoden wie der Traditionellen Chinesischen Medizin zum Positiven verändert. So ist Pfefferminzöl ein Relaxanz glatter Muskelzellen mit antibakteriellen und antiviralen Wirkungen. Allerdings kann es auch Sodbrennen und interstitielle Nephritiden auslösen. Womöglich hilfreich seien auch das Mischpräparat Iberogast® sowie Aloe vera oder Ingwer.

Gastroenterologen hoffen, in nicht allzu ferner Zukunft über kausale statt über symptomatische Therapieoptionen verfügen zu können. Solange bleibt nur eines übrig: Diagnose sichern, die Patienten gut führen und, gemeinsam mit nichtmedikamentösen Maßnahmen, verschiedene Mittel testen.

Infos im Internet: eine Leitlinie zur Diagnostik und Therapie beim Reizdarmsyndrom gibt es unter www.dgvs.de

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