Bei Glutarazidurie stehen die Chancen heute gut

HEIDELBERG (eb). Neugeborene, die mit der seltenen Stoffwechselstörung Glutarazidurie Typ 1 (GA I) auf die Welt kommen, können heute meist auf ein fast normales Leben hoffen.

Veröffentlicht:

Wird ihre Krankheit in den ersten Tagen nach der Geburt erkannt und werden sie dann dauerhaft richtig behandelt, bleiben die meisten Kinder von den neurologischen Langzeitschäden des Stoffwechseldefekts verschont. Das haben Mediziner der Uni Heidelberg mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) herausgefunden, teilt das BMBF mit.

"Das Wichtigste ist: Durch die klinischen Studien konnten wir zeigen, dass die Glutarazidurie Typ 1 eine behandelbare Krankheit ist", sagt der Kinderarzt Dr. Stefan Kölker vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin der Uniklinik Heidelberg. Der Arzt und seine Mitarbeiter demonstrierten, dass 90 Prozent der Kinder, bei denen die GA I nach der Geburt erkannt wurde, bei richtiger Therapie von dauerhaften Folgeschäden verschont bleiben. Anders bei später Diagnose: Trotz korrekter Behandlung blieben Schätzungen zufolge nur fünf Prozent der Kinder langfristig unauffällig.

Neue Leitlinie ist auch in Deutschland anerkannt

Die Stoffwechselstörung wird im Zusammenhang mit dem Neugeborenen-Screening diagnostiziert. Die Forscher registrierten und beobachteten zwischen 1999 und 2005 in Deutschland insgesamt 38 Kinder mit der seltenen Erkrankung. Diese Daten verglichen sie mit denen von 62 Patienten, bei denen die Diagnose erst nach Auftreten der ersten Schäden gestellt wurde. Diese Erkenntnisse haben entscheidend zur Entwicklung einer ersten internationalen Leitlinie für die Diagnostik, Therapie und Therapieüberwachung bei Glutarazidurie Typ 1 beigetragen. Inzwischen ist die neue Leitlinie in Deutschland, den Niederlanden, Italien und Portugal offiziell anerkannt.

Ursache der Krankheit ist ein Enzymdefekt

Die Glutarazidurie Typ 1 ist eine lebensbedrohliche Störung des Eiweißstoffwechsels. Laut Statistik tritt sie bei einem von 100 000 Neugeborenen auf. Durch einen Defekt des Enzyms Glutaryl-CoA-Dehydrogenase werden die Aminosäuren Lysin, Hydroxylysin und Tryptophan nicht komplett abgebaut. Zwischenprodukte reichern sich an, die im Gehirn dauerhafte Schäden verursachen können. Zu Schädigungen kommt es dann, wenn sich größere Mengen der Zwischenprodukte ansammeln, zum Beispiel bei fieberhaften Infekten oder Hungerzuständen.

Es kommt zur encephalopathischen Krise, bei der das Gehirn der jungen Patienten durch die Abbauprodukte geschädigt wird. "Vor einer encephalopathischen Krise sind die Kinder meist unauffällig", so Kölker. "Eine einzige Krise reicht jedoch aus, um bestimmte Bereiche im Gehirn zugrunde gehen zu lassen." Geschädigt werden vor allem Hirnareale, die die Bewegung steuern: Schwer Betroffene können dadurch ihre Bewegungs- und Sprechfähigkeit verlieren.

Besonders anfällig sind die sich noch entwickelnden Gehirne von Säuglingen und Kleinkindern. Überstehen die jungen Patienten mit früher Therapie die ersten sechs Lebensjahre ohne Dauerschäden im Gehirn, kommen keine akuten encephalopathischen Krisen mehr vor.

In weiteren Studien will Kölker das Schicksal der Patienten mit GA I weiter verfolgen. Denn die meisten in Deutschland lebenden Patienten sind jünger als zehn Jahre. Vor Einführung des erweiterten Neugeborenen-Screenings konnten Betroffene kaum vor der ersten Stoffwechselkrise erkannt werden.

Die Therapie basiert auf einer Spezial-Diät, der Einnahme von Carnitin, das die Ausscheidung schädlicher Stoffwechselprodukte fördert, und auf Maßnahmen zur Vermeidung encephalopathischer Krisen bei fieberhaften Infekten.

Screening von Neugeborenen

Alle Neugeborenen in Deutschland werden nach 48 bis 72 Stunden auf seltene Stoffwechsel- und Hormonstörungen untersucht. Das erweiterte Neugeborenen-Screening wurde 1999 zunächst als Pilotprojekt eingeführt. Seit 2005 kommt es gemäß einer Richtlinie des GB-A deutschlandweit zum Einsatz. Technische Grundlage für die Ergänzung war ein Analyseverfahren, mit dem sich auch kleinste Mengen von Stoffwechsel-Zwischenprodukten nachweisen lassen: die Elektrosprayionisation(ESI)-Tandem-Massenspektrometrie. Diese Methode spürt - die Glutarazidurie Typ I eingeschlossen - zwölf Stoffwechselerkrankungen auf. (eb)

Mehr zum Thema

Wechseljahre

5 Mythen rund um die Perimenopause: Eine Gynäkologin klärt auf

„ÄrzteTag extra“-Podcast

Die Schilddrüse tickt in jedem Lebensalter anders

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main
Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Therapie

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Medizinischer Infusions-Tropf mit buntem Hintergrund

© Trsakaoe / stock.adobe.com

Hochdosis-Therapie

Vitamin C bei Infektionen und Long-COVID

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Maximale Vitamin-C-Blutspiegel nach oraler (blau) und parenteraler (orange) Tagesdosis-Gabe.

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Infusion

Parenterale Gabe erzielt hohe Plasmakonzentrationen an Vitamin C

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Porträts: [M] Feldkamp; Luster | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

© Portraits: [M] Feldkamp; Luster | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

„ÄrzteTag extra“-Podcast

Die Schilddrüse tickt in jedem Lebensalter anders

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main
Abb. 1: Studie DECLARE-TIMI 58: primärer Endpunkt „kardiovaskulärer Tod oder Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz“ in der Gesamtkohorte

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [4]

Diabetes mellitus Typ 2

Diabetes mellitus Typ 2 Präventiv statt reaktiv: Bei Typ-2-Diabetes mit Risikokonstellation Folgeerkrankungen verhindern

Sonderbericht | Beauftragt und finanziert durch: AstraZeneca GmbH, Hamburg
Patientenzentrierter Ansatz und europäische Produktion

© Springer Medizin Verlag

Unternehmen im Fokus

Patientenzentrierter Ansatz und europäische Produktion

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Advanz Pharma GmbH, München
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Neuer Verschlüsselungsalgorithmus in der TI

gematik verlängert Frist für Austausch der E-Arztausweise

Schwierige Therapiesituation

Kopfschmerzen bei Kindern: Diese Optionen gibt es

Lesetipps
Mit einer eher seltenen Diagnose wurde ein Mann in die Notaufnahme eingeliefert. Die Ursache der Hypoglykämie kam erst durch einen Ultraschall ans Licht.

© Sameer / stock.adobe.com

Kasuistik

Hypoglykämie mit ungewöhnlicher Ursache

Die Glaskuppel zur Notfallreform: Zustimmung und Zweifel

© undrey / stock.adobe.com

Kolumne aus Berlin

Die Glaskuppel zur Notfallreform: Zustimmung und Zweifel