CRISPR/Cas9-Verfahren
Chemie-Nobelpreis für Entdeckung der Genschere
Die Entdeckerinnen des CRISPR/Cas9-Systems werden schon länger als Kandidatinnen für den Nobelpreis gehandelt. Dieses Jahr ist es so weit: Emanuelle Charpentier und Jennifer Doudna wird für ihre Forschung der Nobelpreis für Chemie verliehen.
Veröffentlicht:Stockholm. Für einen Nobelpreis kam die Auszeichnung dennoch relativ schnell. Die beiden Forscherinnen, Professor Emanuelle Charpentier und Professor Jennifer Doudna, erhalten den diesjährigen Chemie-Nobelpreis für die Entwicklung einer Methode zum Genom-Editing, deren Grundlage sie erst 2012 im Fachmagazin Science beschrieben haben: das CRISPR/Cas9-System.
Das von den beiden Wissenschaftlerinnen entdeckte – und weiterentwickelte – System ist „eine elegante Methode, um DNA-Stränge an einer einzigen ausgewählten Position zu zerschneiden und um Genome auf einfache Weise in der gewünschten Form zu editieren“, so die Begründung von Professor Göran K. Hansson, dem Generalsekretär der Königlichen Schwedischen Akademie der Wissenschaften, bei der Bekanntgabe der beiden Preisträgerinnen am Mittwoch.
Eine große Hoffnung, die sich mit dem Genom-Editing verbindet, ist, Krankheiten, die auf genetischen Veränderungen beruhen, heilen zu können.
Bestandteil des Abwehrsystems von Bakterien
CRISPR/Cas9 gehört eigentlich zum Abwehrsystem von Bakterien gegen den Befall mit Viren: Stücke der viralen DNA werden in die bakterielle DNA in sogenannte CRISPR-Sequenzen eingebaut. Stücke der transkribierten CRISPR-RNA lagern sich zusammen mit einer Tracer-RNA und dem Enzym Cas9. Bei einer Reinfektion durch das Virus wird die virale DNA durch CRISPR/Cas9 „wiedererkannt“: Der RNA-Protein-Komplex bindet an die virale DNA und zerschneidet sie.
Dass Tracer-RNA, CRISPR-RNA und Cas9 zusammen eine molekulare Schere bilden, war die entscheidende Erkenntnis von Charpentier und Doudna. Sie fanden bald heraus, dass die Genschere auch mit einem simpleren Zwei-Komponenten-System aus nur einer RNA und dem Cas-Protein und in vitro funktionierte.
Außerdem gelang es ihnen, indem sie die Sequenz der CRISPR-RNA veränderten, andere Sequenzen gezielt zu zerschneiden. Und kurz darauf konnten sie zeigen, dass das Genom-Editing mit CRISPR-Cas in lebenden Zellen vollzogen werden kann.
Erste CRISPR/Cas9-Therapien werden untersucht
Erreichen lässt sich mit der Methode zweierlei: Die Zerstörung der DNA führt zur Aktivierung des körpereigenen DNA-Reparatursystems. Weil dieses System fehleranfällig ist, kann es zu Mutationen kommen und das betreffende Gen inaktiviert werden. Die Schere eignet sich aber auch, um größere DNA-Sequenzen zu entfernen beziehungsweise zusätzliche DNA an der Schnittstelle einzufügen. Die einzusetzende DNA muss dazu an ihren Enden Sequenzen aufweisen, die denen dies- beziehungsweise jenseits der Schnittstelle entsprechen.
„Das heißt, wir können leicht jedes Genom editieren und dadurch etwa genetische Defekte reparieren“, sagte Professor Pernilla Wittung-Stafshede aus Göteborg bei der Pressekonferenz in Stockholm. Die ersten CRISPR/Cas9-Therapien werden derzeit in klinischen Studien untersucht, etwa bei Patienten mit Sichelzellanämie oder B-Zell-Tumoren.
„Die Methode bietet großartige Möglichkeiten“, so die Biochemikerin. Sie erinnerte allerdings auch an die Verantwortung der Wissenschaftler: „Es handelt sich um eine Macht, die wir mit großer Vorsicht nutzen müssen.“
Charpentier, die telefonisch zur Pressekonferenz des Nobelkomitees zugeschaltet war, berichtete, dass es schon immer ein Motiv ihrer Forschungstätigkeit war, „ein Werkzeug zu finden, mit dem sich DNA gezielt verändern lässt“.
Dass sie und ihre Kollegin Doudna dafür nun den Chemie-Nobelpreis erhalten, ist für sie auch „eine starke Botschaft an junge Frauen, dem Pfad der Wissenschaft zu folgen, und zu sehen, dass sie damit Einfluss auf die Forschung haben können“. (bs)
Der Nobelpreis für Chemie ist nicht die erste Auszeichnung, die den beiden Forscherinnen in diesem Jahr gemeinsam verliehen worden ist. Davor habe sie schon den Wolf-Preis in Medizin erhalten. Der Wolf-Preis rechnet in den Naturwissenschaften zu den angesehensten Preisen – nach dem Nobelpreis, versteht sich. Die Lebensläufe der Preisträgerinnen im Überblick: (rb)
Professor Emmanuelle Charpentier wurde 1968 in Juvisy-sur-Orge knapp 20 Kilometer südlich von Paris geboren. Sie hat Biologie, Mikrobiologie und Genetik an der Universität Pierre und Marie Curie in Paris studiert und 1995 am Pariser Pasteur-Institut promoviert.
Nach einigen Stationen in den USA ging sie nach Wien, wo sie in Mikrobiologie habilitierte. Es folgten Tätigkeiten als Professorin an drei kooperierenden Institutionen: der Universität Umeå, der Medizinischen Hochschule Hannover und am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig.
2015 nahm sie einen Ruf als Direktorin der Abteilung Regulation in der Infektionsbiologie am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin an, und seit 2018 leitet Charpentier die Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene in Berlin.
Sich selbst und ihre Arbeit charakterisiert sie mit einem Motto, das auf Louis Pasteur zurückgeht: „Auf dem Feld der Beobachtung begünstigt der Zufall nur die vorbereiteten Geister.“
Professor Jennifer Doudna wurde 1964 in Washington, D.C., geboren, übersiedelte aber im Alter von sieben Jahren mit ihrer Familie nach Hilo auf Hawaii.
Am Pomona College in Claremont, Kalifornien, studierte sie Biochemie, zweifelte aber dermaßen an ihren wissenschaftlichen Fähigkeiten, dass sie überlegte, zu Französisch als Hauptfach zu wechseln. Sie blieb dann doch bei der Wissenschaft und promovierte schließlich 1989 an der Harvard Medical School in Biochemie und molekularer Pharmakologie.
Eine erste Professur erhielt sie 1997 an der Yale University. Es folgte eine Gastprofessur an der Harvard University. 2003 wechselte sie an die University of California in Berkeley, wo sie heute eine Professur am Institut für Molekulare und Zellbiologie innehat.
Dass Wissenschaft aus mehr besteht als bloßen Fakten, soll ihr schon früh durch die Lektüre eines Buches vermittelt worden sein: „Die Doppelhelix“ des Nobelpreisträgers James Watson gibt schon im Titel einen Hinweis auf das künftige Arbeitsfeld der Forscherin, auch wenn Doudna sich mehr mit einsträngiger RNA beschäftigen sollte.